43 | Viel zu schön

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Schweigend liefen wir weiter und passierten eine Polizeiwache, die sich in einem grauen Gebäude befand und sich nur durch ein unauffälliges Schild von den anderen abhob. Wahrscheinlich hatten die Bullen Angst, dass sie ansonsten in einem Viertel wie diesem einfach zusammengeschlagen werden würden. Genau wie sie bei der Sache mit mir nicht wirklich etwas tun würden. Lächerlicher Haufen.

»Ey, lass mal da was holen!«, sagte ich und deutete auf den Asia-Imbiss, der nun in unser Blickfeld kam. Die Schaufensterscheiben waren verschmiert und das Plakat dahinter, auf dem die Preise zu lesen waren, vergilbt. Fede nickte zustimmend und folgte mir in das Innere des Ladens, das ziemlich dunkel war. Ein bimmelndes Glöckchen empfing uns.

»Was darf's denn sein?«, fragte die Frau hinter der Theke, die ihre dunklen Haare im Nacken zusammengeknotet hatte. Ihre Gesichtszüge waren streng und irgendwie verkniffen.

»'ne große Nudelbox mit Hähnchen und der scharfen Soße da«, bestellte ich mit Blick auf die Tafel mit den Angeboten. Sie nahm eine der Papierboxen und eine Zange in die Hand, um das matschig aussehende Essen hineinzuschmeißen und es dann auf die Theke zu knallen.

»Drei fünfzig. Und du?« Ihr Blick wanderte zu Fede, während ich meine Box entgegennahm und einen Fünfer aus meiner Hosentasche holte. Ich schmiss ihn ihr genauso unfreundlich hin.

»Ich bekomm' nichts.« Fede schüttelte den Kopf und wartete, bis ich mein Wechselgeld und eine Plastikgabel von der Theke genommen hatte. Gemeinsam verließen wir den Laden und gingen ein paar Schritte, ehe ich mich auf der ausgetretenen Treppe in einem Hauseingang niederließ. Hungrig schlang ich mein Essen runter, auch wenn die Soße echt lächerlich war. Das war alles andere als scharf.

Langsam nervte mich die Scheiße mit dem Schweigen. Ich hing doch nicht mit ihm rum, dass wir blöd dasaßen und er schlechte Laune schob. Was ein Scheiß, Alter. Richtig unnötig.

»Weißt du, die letzte Woche war echt scheiße«, hörte ich Fede auf einmal sagen. Er hatte seinen Ellenbogen auf dem Oberschenkel und den Kopf in der Hand aufgestützt.

Ich schob noch eine Gabel in den Mund und wandte mich ihm zu. »Hm?«, fragte ich kauend nach, wartete, dass er weitersprach.

Einen Moment lang schwieg er und ich dachte schon, das war's jetzt. Dann sprach er doch weiter.

»Das war halt so, ich bin gerade von der Schule heimgekommen, als Leonardo meinte, da hat jemand vom Krankenhaus angerufen. Er hatte so gar nicht gerafft, was los war.« Beim Reden sah er mich nicht an, sondern kratzte an seinem Knöchel herum. »Hab dann halt zurückgerufen und da hieß es dann, dass mein Vater operiert wird. Und die nicht wussten, ob er's schafft. Meine Mutter war nicht da, die war schon auf dem Weg nach Italien, zu unseren Verwandten. Ausgerechnet. Dieser Moment ... das war erst mal so ...«

Er zuckte mit den Schultern und sah auf die Straße, wo ein klappriger Panda vorbeifuhr, dahinter die Häuser, die mit Tags beschmiert waren, manche Fenster waren mit Holzbrettern verrammelt. Aus einer offenen Balkontür klang Schlager, zu dem jemand mitsang. Schrecklich, Alter.

Ich schob mir ein Stück Fleisch in den Mund und sah ihn von der Seite her an. Ein Teil seines Gesichts lag in der Sonne, die ihn seine Augen zusammenkneifen ließ, der Rest im Schatten, den die Hauswand warf. »Hing halt alles an dir, oder?«

»Ja. Und ich hatte auch echt Angst, ganz ehrlich. Dass er's echt nicht schafft. Dass ich papà nie wieder seh.« Fedes Stimme zitterte ein wenig und es war echt seltsam, ihn so zu sehen. Normal konnte ihm nichts etwas anhaben. »Der arbeitet in so einer Firma, die stellen Autoteile her, und irgendwie ... ich glaub, die hatten halt kaum Sicherheitsvorkehrungen da, richtig beschissen. Irgendwas lief schief und er kam unter so 'ne Maschine. Aber naja, ist ja auch egal.« Er schwieg wieder und nahm seinen Rucksack, ehe er dessen Reißverschluss aufzog. Das Teil löste sich fast von dem restlichen Stoff.

»Und jetzt? Also wie geht's ihm und so?«, fragte ich nach, während Fede eine Apfelschorle aus seinem Rucksack holte und aufdrehte.

»Liegt halt im Krankenhaus und das auf jeden Fall noch 'ne Weile. Auch danach ... keine Ahnung, er wird wahrscheinlich nie wieder richtig laufen können und arbeiten eh nicht.« Er sah auf die Plastikflasche, trank ein paar Schlucke daraus. »Und wir haben doch eh schon kein Geld«, fuhr er fort und hielt mir fragend die Flasche hin, die ich mit einem Nicken entgegen nahm. Ich setzte sie ebenfalls an meine Lippen und kippte den Inhalt hinunter, während er mit dem roten Deckel herumspielte. »Ich weiß echt nicht, wie das weitergehen soll. Meine Mutter findet halt keine Arbeit. Kein Wunder, die wollen auch niemanden, der kein Deutsch kann.«

»Ganz ehrlich, du machst dir viel zu viele Gedanken. Das ist nicht dein Problem, Alter. Darum sollten deine Eltern sich kümmern.« Ich zog meine Augenbrauen hoch und sah wieder auf die andere Straßenseite. Dort standen mittlerweile zwei Typen zusammen, die sie sich zu streiten schienen. Warum auch immer. Aufgebracht deutete einer von ihnen immer wieder auf einen Kombi, der auf dem Bordstein stand, und brüllte rum.

Fede nahm mir die Flasche aus der Hand und verschloss sie. »Naja, ist halt meine Familie, das hat auch mit mir zu tun«, erwiderte er und drehte den Deckel ein wenig fester als nötig war. »Hab mich darum auch heute morgen mit Mamma gestritten. Wieder dieses Thema, dass sie denkt, ich soll so schnell wie möglich arbeiten gehen. Ich fühl' mich jetzt auf jeden Fall mega egoistisch und scheiße und keine Ahnung. Ich mein, vielleicht hat sie ja recht.«

»Wie meinst du?«, fragte ich und kratzte den letzten Rest Nudeln aus der Box, ehe ich die Plastikgabel in meinen Mund schob.

»Ich kann ja später noch Abi machen und so. Vielleicht sollte ich mir nächstes Jahr echt was suchen, wo ich Geld krieg. Weiß nicht, einfach 'ne Ausbildung.«

»Mann, das bist nicht du!« Ich legte meine Hand auf seinen Oberarm und sah ihm ernsthaft in die Augen. »Fede, das ist dein verfickter Traum, also gib das nicht auf, weil deine Alte dir irgend'ne Scheiße einredet. Du wirst irgendwann so'n richtig guter Astrologe-«

»Das sind immer noch die mit den Horoskopen«, erwiderte er, doch auf seinen Lippen tauchte ein leichtes Grinsen auf.

»Ja, scheißegal. Du machst auf jeden Fall irgendwelches Weltraumzeugs und findest voll die krassen Sachen raus, mit schwarzen Löchern und so.« Ich stellte meine leergegessene Nudelbox auf die Stufe neben mir und legte ihm meinen Arm um die Schultern. »Aber Alter, ernsthaft, du machst dir viel zu viele Gedanken. Lass das. Bringt nichts.«

»Sagst ausgerechnet du. Ich wette, du denkst noch viel mehr nach als ich«, grinste er und strich sich durch die Haare.

»Voll nicht!« Ich erwiderte sein Grinsen und sah ihn einen Moment lang an. Wir waren einander schon wieder viel zu nah. So nah, dass ich an meinem Arm spürte, wie sich sein Rücken vom Atmen hob und wieder senkte. Waren uns so nah wie in der Nacht auf dem Bagger, als ich meinen Kopf an seiner Schulter hatte, er mit seinen Fingern über meinen Rücken gestrichen hatte. Die Erinnerung an diese verfickte Zufriedenheit hallte noch immer in mir nach, auch wenn das mal richtig unnötig war.

Eilig zog ich meinen Arm wieder zurück. »Und ey«, setzte ich an. »Wegen Dienstag. Das war irgendwie echt 'n komischer Moment, oder? Findest nicht?«

»Als wir ewig auf dem Bagger saßen?«, fragte Federico nach und zog seine Stirn nachdenklich zusammen. Keine Ahnung, was schon wieder in ihm vorging.

»Mmh.«

»Du bist echt anhänglich, wenn du voll bist«, sagte er, begleitet von einem Lachen. Wenigstens schien er wieder besser drauf zu sein.

»Lass das mal lieber vergessen«, sagte ich bestimmt.

»Ja, okay. Aber eigentlich fandest du's schön.« Auf seinen Lippen tauchte ein freches Grinsen auf.

»Fresse, Streber.« Ich boxte so grob gegen seinen Oberarm, dass Schmerz durch meine Knöchel zog, und drohte mit meiner Faust ein weiteren Schlag an.

Lachend hob er die Hände. »Verschone mich. Bitte!«

Fede lag verdammt nochmal richtig. Ich hatte das schön gefunden, viel zu schön. Und ich musste dringend damit aufhören, denn so eine komische Scheiße konnte ich in meinem Leben nicht gebrauchen. 

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora