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In mir brodelt die Wut, ich versuche ihn nicht gleich anzuschreien. Er kommt auf mich zu, ich weiche aber zurück. „Reicht es nicht schon, dass du an unserer Schule als Lehrer arbeitest? Musst du jetzt schon wieder hier auftauchen?"

Thomas sieht mich entschuldigend an und möchte etwas sagen. Nicolas spricht jedoch dazwischen: „Er ist hier, weil er sich bei uns entschuldigen möchte und erklären möchte, warum er das alles damals tat."

Ich sehe zu Nicolas, welcher von der Couch aufgestanden ist. „Es ist egal, was er sagt. Nichts wird das was passierte ungeschehen machen.", sage ich und sehe dann wieder zu Thomas.

„Thomas ist nicht daran Schuld, dass unser Vater uns das antat. Er ist auch nicht dran Schuld, dass Mum nach ihrer Trennung immer die falschen Männer kennenlernte. Lass ihn wenigstens erklären, warum er plötzlich weg war." Nicolas kommt zu uns und legt seine Hand auf meine Schulter.

Ich schaue den dunkelblonden an und gebe nach. „Gut. Dann erklär eben. Aber danach bist du hier wieder weg."

Thomas sieht mich an und stimmt dann schließlich zu. Ich setze mich gemeinsam mit Nicolas auf die Couch und Thomas sich in den Sessel. Er fängt an zu erzählen.

„An das was ihr euch vielleicht erinnern könnt, ist wohl eine glückliche Ehe zwischen unseren Eltern, die irgendwann durch Alkohol, Drogen und die Gewalt unseres Vaters gegenüber unserer Mutter und uns anderen zerstört wurde. Aber wirklich glücklich war keiner wirklich gewesen.", erzählt Thomas und macht eine kurze Pause, bevor er weiterspricht. „Ich glaube, dass einzige, was die beiden aneinander gebunden hat, waren wir vier Kinder. Das sah vielleicht vor euch beiden etwas anders aus, aber meistens spielten sie nur das glückliche Paar, dem Wohle unserer wegen."

Er atmet durch. „Die beiden lernten sich kennen, als Mum 16 und Dad 18 waren. Mum erzählte mir mal, dass es für sie Liebe auf den ersten Blick war und es wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Sie kamen schnell zusammen und schon recht bald wurde sie mit mir schwanger..."

„Warum erzählst du uns das jetzt alles? Was hat das denn damit zutun, warum du abgehauen bist?", unterbreche ich ihn und verschränke meine Arme. Nicolas legt wieder seine Hand auf meine Schulter und sagt: „Lass ihr bitte bis zum Ende erzählen." Ich atme tief durch und antworte: „Okay."

„Als sie 17 war, wurde ich dann geboren. Vaters Eltern wollten damals, dass die beiden heiraten. Das taten sie auch, doch schon wenige Tage nach der Hochzeit fing Vater an unsere Mutter zu schlagen. Mum sagte, dass er schon immer einen Hang zum Alkohol hatte und jeden Abend ein Glas Wein trank vor dem Schlafengehen. Sie stritten sich sehr viel deswegen, versuchten es jedoch nicht in der Gegenwart von mir zu tun. Deswegen brachte Mum mich oft möglichst zu ihren Eltern, unseren Großeltern, wenn er wieder betrunken nach Hause kam. Sie schlich sich in einem unbemerkten Moment raus, fuhr zu ihnen und versuchte möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen. . Doch sie konnte mich nicht immer aus der Schusslinie halten. Als ich etwa ein halbes Jahr ging Vater, als ich schrie mit einem Messer auf mich und schnitt mit den halben Oberkörper auf. Davon kann man man nichts mehr sehen, aber der Gedanke daran reicht schon um einen fürs Leben zu brandmarken."

Wir nicken.

„Nachdem er dies tat, verließ Mum ihn das erste Mal. Sie packte ein paar Sachen und zog mit mir zu unseren Großeltern. Nach etwa zwei Tagen stand er dann schon vor ihrer Tür und bekniete sie, dass sie wieder zu ihm zurückkommt. Er versprach eine Therapie zu beginnen und sich zu bessern. Sie glaubte ihm und die beiden fingen noch einmal von vorne an. Vater ging arbeiten, während Mum weiter in die Schule ging und ihr Abitur machte. Wenn sie nicht da waren, war ich etwa bei unseren Großeltern mütterlicher Seits oder wenn sie nicht konnten, passte ihre Schwester auf mich auf. Zu Vaters Eltern und Familie hatte zu dieser Zeit keiner mehr der beiden Kontakt."

Nicolas und ich hören ihm aufmerksam zu.

„In den nächsten Jahren trank Vater weder Alkohol oder nahm Drogen. Er schlug unsere Mutter auch nicht mehr und sie hatten so etwas wie eine gute Ehe. Als ich jedoch 6 war und Sonja geboren wurde, ging es wieder los. Er schlug sie, jedoch ohne Einfluss von Alkohol. Ich kann mich noch erinnern, wie Mum mich damals mit Sonja auf dem Arm in meinem Zimmer im Kleiderschrank versteckte und danach der Streit los ging."

Er macht wieder eine Pause und ich frage: „Aber wenn er doch eigentlich vom Alkohol weg war, warum war er dann jedes Mal betrunken, wenn er uns anfing zu schlagen?"

„Das er wirklich vom Alkohol weg war, stimmt nicht. Er trank heimlich. Das fand ich aber erst vor kurzem heraus. Aber auch ohne Alkoholeinfluss konnte er grausam sein.", erklärt der schwarzhaarige und wir nicken.

„Mum wollte die Jahre danach so oft mit uns abhauen, jedoch traute sie sich nicht. Vater drohte ihr sie vors Gericht zu ziehen und als schlechte Mutter darzustellen, was nicht stimmte. Sie hatte aber dennoch riesige Angst und blieb bei ihm."

Kurzes Schweigen. „Und dann wurdet ihr geboren. Schon von Anfang an sah das Monster euch nur als eine Plage an. Er wollte euch beide loswerden. Dich, Nicolas wollte er zur Adoption freigeben und dich Julius hätte er am liebsten an die Wölfe verfüttert. Er war schon mit zwei Kindern, die er nie wollte, überfordert, doch das Geld, was es vom Amt oder von Verwandten zur Versorgung von uns Kindern gab, war ihm dann doch wichtiger. Das Geld konnte er gut in seine Alkoholsucht stecken, obwohl es eigentlich zur Ernährung und Kleidung von uns vier gedacht war."

Seine Erzählungen jagen mir schon einen kalten Schauer über den Rücken, aber wenn ich so zurückdenke, so etwas konnte man diesem Kerl gut zutrauen.

„Aber die Gewalt ließ er niemals bleiben. Euch beide ließ er in Ruhe, bis ihr 4 und 5 wart. Und an den Rest könnt ihr euch vielleicht noch halbwegs erinnern. Er schlug jeden von uns Kindern und unsere Mutter ohne überhaupt einen Grund zu haben. Mit oder ohne Alkohol im Blut."

„Und warum bist du dann abgehauen?", frage ich, obwohl die Frage eigentlich überflüssig ist.

„Wenn ich das genau sagen könnte. Mir wurde einfach alles zu viel und ich freute mich einfach endlich 18 werden und aus dieser Hölle auszubrechen. Auch wenn das gerade selbstsüchtig klingt."

„Aber wir verstehen dich.", sagen Nicolas und ich gleichzeitig, worauf Thomas nickt.

„Ich weiß das. Als dann Mum den Mut fasste endlich abzuhauen und Vater angeklagt wurde und ins Gefängnis kam, sah ich meine Chance. Ich packte meine Sachen und bin, ohne nur an euch zu denken und wie es euch damit geht, abgehauen. Ich reiste ein Jahr um die Welt mit ein bisschen Taschengeld und nur auf dem Fahrrad unterwegs. Die verschiedenen Länder und Sitten zu sehen, war für mich wie eine Befreiung und ich konnte für einige Zeit die ganzen Sachen von damals zu vergessen."

Nicolas und ich nicken nur wortlos.

„Das Jahr zog ich durch und fing dann ein neues Leben an. Ich suchte mir eine Wohnung, studierte und lernte meine Frau kennen."

„Du bist verheiratet?", frage ich überrascht und mein älterer Bruder nickt.

„Ja, sie heißt Mia. Wir lernten uns vor drei Jahren in der Uni kennen. Sie studierte Jura und vor einem Jahr kam unsere gemeinsame Tochter zur Welt..."

Ich unterbreche ihn. „Warte mal kurz. Das ist gerade mal zu viel für mich. Du bist verheiratet, soweit komme ich schon mit. Aber du hast ein Kind?"

Thomas nickt. „Sie heißt Luna."

„Wie der Mond.", flüstere ich und Thomas antwortet: „Genau. Sie ist aber eher wie eine Sonne, sie erhellt uns den Tag jedes Mal, wenn sie lacht."

Wir schweigen nun wieder, bis Thomas wieder das Wort ergreift. Wir sprechen noch lange miteinander und Thomas schwärmt von seiner Frau und seiner Tochter. Er zeigt uns ein Foto von den beiden und auch Nicolas und ich erzählen. Von dem, was nach der Trennung von Mum und Dad passierte und von dem, was gerade im Moment los ist. Wir reden uns einfach alles von der Seele und es tut gut, auch endlich wirklich darüber zu sprechen.

Aber ich bin mir dennoch nicht sicher, ob ich ihm so schnell verzeihen kann. Auch wenn ich ihn jetzt ein wenig verstehe.

Mein Mobber und ichWhere stories live. Discover now