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"Hallo Ragnor. Wie geht es dir?"
Der ältere Mann lächelt mich freundlich an, gibt mir die Hand und schlägt mir auf die Schulter.
"Hallo Alec. Schön dich zu sehen. Danke mir geht es gut. Und selbst?"
Ich nicke kurz und verziehe mein Gesicht.
"Alles okay zuhause?" Ragnor klingt besorgt. Ich seufze und schüttele den Kopf.
"Nein. Es ist nichts okay. Es ist furchtbar. Mein Vater... er zwingt mich zu einer Entscheidung..." Schnell stoppe ich meine Worte, ich darf es Ragnor nicht sagen. Ich muss es erst IHM sagen. Traurig blicke ich Ragnor an, er nickt nur und gibt mir zu verstehen das es okay ist.
"Er wartet auf dich. Heute ist ein guter Tag. Denn heute ist Alexander-Tag." Gemeinsam Lachen wir. Alexander-Tag ist immer ein guter Tag.

Ich betrete die Wohnung, Ragnor verschließt die Tür und bezieht seinen Wachposten. Er wird dafür sorgen, das wir ungestört sind. Das wir in den nächsten Stunden einfach nur wir Selbst sein können. Ein sich liebendes Paar.
Im Flur hänge ich meine schwarze Lederjacke mit den silbernen Flügeln auf dem Rücken neben seine Jacke mit den schwarzen Flügeln. Zärtlich streiche ich über die glitzernden Steine, ein Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Diese Jacke ist ein Geschenk von ihm. Zu meinem 20. Geburtstag. Das war vor zwei Jahren. Das er die gleiche Jacke, nur in einer anderen Farbe hat, macht mich noch heute glücklich. Sie ist ein Symbol für uns, für unsere Liebe. Jeder kann sie sehen, niemand weiß es.

Meine Boots stelle ich neben seine eleganten Schuhe. Wie immer. Wie jedes Mal wenn ich in diese Wohnung komme. Ich gehe in die Küche, hole zwei Gläser aus dem Regal, den Wodka aus dem Kühlschrank. Die klare kalte Flüssigkeit fließt in die Gläser, wird unsere Kehlen erhitzen und unsere Adern brennen lassen. Auch das ist immer gleich. Die Gläser, der Wodka, die Droge. Nur ein bisschen gebe ich in sein Glas. Nur ein bisschen damit das Zittern verschwindet.

Wie jedes Mal erwartet er mich im Wohnbereich. Auf dem großen hellen Sofa sitzend, mit einem Strahlen über das ganze Gesicht das selbst die Sonne vor Neid erblasst und der Mond ehrfürchtig in die letzte Ecke des Universums zieht.
Der Anblick dieses Mannes verzaubert mich jedes Mal aufs Neue. Sein Anzug sitzt wie immer perfekt, seine Haare liegen ordentlich gekämmt und gestylt auf seinem Kopf, sein Bart ist in Form geschnitten. Extra für mich hat er seine Augen schwarz umrandet, sie leuchten in einem gold-braunen Ton und kleine Sprenkel in grün zieren sein rechtes Auge. Ich liebe das Make-up so sehr an ihm, aber seine Familie gestattet es nicht.

Dieser Mann ist das komplette Gegenteil von mir. Seine Haut ist bronzefarben und glänzt im sanften Licht der untergehenden Sonne. Meine Haut dagegen ist hell. Seine Haare liegen immer perfekt, bevor meine Hände sich in ihnen vergraben haben. Meine Haare dagegen sind nicht zu bändigen. Sie stehen wild und verwuschelt von meinem Kopf ab, aber er liebt es so sehr. Er trägt immer einen Anzug und Krawatte, elegante Schuhe und hat eine erhabene Körperhaltung. Ich dagegen trage nur schwarze Klamotten, löchrige Jeans und Shirts oder Pullis. Meine Lederjacke mit den Flügeln und schwere Boots.

"Hallo Baby." sage ich freudestrahlend. "Möchtest du aufstehen oder lieber noch solange sitzen bleiben?" Auch das ist immer gleich. Die gleiche Frage, immer eine andere Antwort. Je nach Tagesform.
"Sitzen bleiben." Ich nicke und setze mich neben ihn auf das Sofa, reiche ihm das Glas und wir prosten uns zu.
"Auf uns." sage ich und blicke ihm fest in die Augen.
"Auf uns. Alles Gute zum Hochzeitstag Alexander." Die Augen fest auf einander gerichtet genehmigen wir uns einen Schluck des brennenden Alkohols. Dieser fließt heiß unsere Kehle hinab in den Magen, rauscht durch unsere Adern und belohnt mit einer wohligen Wärme. Meinem Mann ist oft kalt, aber wenn er bei mir ist, in meinen Armen liegt, verschwindet die Kälte in seinem Körper. Auch das Zittern der Hände wird dann weniger.

Heute ist unser 2. Hochzeitstag. Wir haben kurz nach meinem 20. Geburtstag geheiratet, heimlich, mit zwei Zeugen so wie der Staat es vorschreibt. Ragnor ist der Trauzeuge meines Mannes, Jace ist meiner. Warum wir heimlich geheiratet haben? Ganz einfach. Weil unsere Väter Krieg gegeneinander führen.

Wir lernten uns kurz nach seinem 18. Geburtstag kennen. Unsere Väter machten schon lange Geschäfte miteinander. Oft mussten mein Bruder Jace und ich unseren Vater begleiten. Wir sollten aufpassen und lernen. Denn einer von uns beiden sollte später sein Nachfolger werden. Damals wünschte ich mir nichts sehnlicher als das. Das ich, ältester Sohn und rechtmäßiger Erbe der Nachfolger von Robert Lightwood werde.

Aber am 18. Dezember, zehn Tage nach seiner Rückkehr nach New York änderte sich alles.
Am 18. Dezember traf ich ihn, Magnus Bane, meinen Ehemann das erste Mal. Und diese Begegnung veränderte mein Leben. Alles fühlte sich so anders an. Ich hinterfragte Entscheidungen und Dinge die schon immer so waren. Ich hinterfragte mein Leben und wollte nichts sehnlicher als mit ihm zusammen zu sein.

Unsere erste Begegnung, im Haus seines Vaters hat sich mir tief ins Gedächtnis eingebrannt. Es war unerwartet, ich hatte nicht nach einem Partner gesucht. Und dann traf ich ihn. Und er verzauberte mich vom ersten Augenblick an. Viele schlaflose Nächte durchlitt ich, viele Gedanken kreisten in meinem Kopf. Bis er mich eines Tages küsste. Unerwartet, sinnlich, ein Versprechen nach mehr und ich war ihm verfallen. Wir waren verliebt und so glücklich, machten Pläne für die Zukunft. Es gab keine Geheimnisse zwischen uns. Er wußte immer das ich eine Frau heiraten sollte. Aber zusammen suchten wir nach einer Lösung. Magnus gab mich nie auf. Er gab uns nie auf. Und dafür bin ich ihm so dankbar.

Aber irgendwann stürzte unsere Welt ein. Unsere Väter führten Krieg gegeneinander und wir durften uns nicht mehr sehen. Viele Monate litten wir beide Qualen. Bis Ragnor kam und uns einen Ausweg bot. Er kaufte diese Wohnung, heimlich ohne das Wissen von Asmodeus. Er verschaffte uns neue Identitäten mit denen wir heiraten konnten. Fern ab von unseren Familien leben wir hier in dieser Wohnung ein normales Leben.

So oft es geht treffen wir uns hier. Wir reden, wir lachen, wir weinen, wir lieben. Wenn wir uns hier treffen werden aus Alexander Lightwood und Magnus Bane, den Erben der größten Clans von New York, William Herondale und Jem Carstairs. Ein schwules Ehepaar, Banker mit einer Vorliebe für guten Wodka und Literatur.

Ich küsse meinen Ehemann liebevoll, schmecke das kräftige Aroma des Alkohols und verliere mich in seinen Berührungen. Er streicht mir sanft durch die Haare und zieht mich rittlings auf seinen Schoß. Wir halten uns in den Armen, unsere Herzen schlagen schnell und im Einklang. Ich liebe ihn so sehr und er liebt mich.

"Woran denkst du Liebling." flüstert er. "An dich. Immer nur an dich." Ich lächele und bin glücklich. Denn ich bin bei ihm.
"Erzählst du mir eine Geschichte?" fragt Magnus und ich weiß sofort welche Geschichte er hören will. Unsere Geschichte, meine Sichtweise. Er liebt es sie zu hören. Wie jedes Mal wenn ich ihm diese Geschichte erzähle legt er seinen Kopf auf meine Beine, seine Hand liegt auf meinem Herzen, meine fährt langsam durch sein Haar.

Und so beginne ich zu erzählen. Eine Geschichte über Liebe, Loyalität, Familie, Treue und Verrat.

Bloody soulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt