*26*

570 104 56
                                    

"Ist alles okay?" frage ich Magnus. Er sieht aus dem Fenster des Wagens, mit den Gedanken ist er weit weg. Jace manövriert uns durch die Straßen von New York. Die Häuser ziehen an uns vorbei. Ich bekomme nur am Rande mit wie wir die Stadt verlassen. Während der gesamten Fahrt schaue ich zu Magnus. Sein Gesicht blass, die Augen feucht glänzend, seine Hände die zittern. Seit längerer Zeit schon hat er Schlafstörungen und unkontrollierte Wutausbrüche.

Sein Körper hat Spuren vom jahrelangen zuführen der berauschenden Pillen bekommen. Aber die Narben aufgrund seiner Prügelattacken sind mir egal. Sie machen ihn nicht minder attraktiv. Ich liebe ihn deshalb nicht weniger. Meine Liebe zu Magnus wächst mit jedem Tag. Und mit jedem Tag wird meine Angst ihn zu verlieren größer. Es hat länger als geplant gedauert einen geeigneten Therapieplatz zu bekommen. Und einen Vorwand für Magnus die Stadt längere Zeit zu verlassen. Ragnor kümmerte sich darum. Er erzählte Magnus Eltern, das dieser eine Auszeit benötige. Und kurz vor unserer Abreise gestand Magnus seinen Eltern sein Suchtproblem. Das er in eine Klinik geht, verschwieg er den beiden.

Ich greife nach Magnus Hand, sie ist kalt. Ein leichtes Zittern begleitet diese Berührung. Ich verschränke unsere Finger miteinander, streichele leicht über die weiche Haut. "Magnus?" frage ich noch einmal. Aber er antwortet nicht, sieht weiterhin stumm aus dem Fenster. Jace räuspert sich.
"Alec?" sagt er nur. Wir blicken uns über den Rückspiegel hinweg an. "Manchmal ist er nicht hier." antworte ich auf seine unausgesprochene Frage.

In solchen Momenten wünsche ich mir, ich könnte in seinen Kopf schauen. Das ich die dunklen Gedanken mit meinen Händen greifen und vertreiben könnte. Denn diese hat er. Das erzählte Magnus in einem Moment der Ruhe in unserem Bett, in unserer Wohnung.
Der Weg in die Klinik ist nicht weit. Zwei Stunden mit dem Auto, aber für mich fühlt es sich an wie zwanzig Stunden und ein anderer Kontinent.

Kurz vor Erreichen der Klinik hat es begonnen zu schneien. Aber auch das ist nur eine Randinformation die mein Verstand registriert. Magnus drückt leicht meine Hand und ich weiß, das er wieder zurück ist. Zurück aus seiner Gedankenwelt und der Dunkelheit. Ein leichtes Lächeln legt sich auf sein Gesicht.
"Es schneit." sagt er. Es sind die ersten Worte die er seit unserer Abfahrt spricht.
"Hmhm." bestätige ich seine Aussage und sehe die Flocken vor dem Fenster tanzen.

Ich höre Jace welcher telefoniert, er kündigt unser Kommen an. Als der Wagen stoppt blicke ich noch immer zu Magnus. Noch immer schaut er aus dem Fenster, ein Lächeln auf den Lippen und beobachtet den Fall des Schnees.
Leise öffne ich die Tür des Wagens, steige aus und gehe zum Kofferraum. Dafür muss ich Magnus Hand los lassen und mir wird augenblicklich kalt.

Ein Pfleger steht plötzlich neben mir und sieht mich freundlich an. "Mr Carstairs?" fragt er und ich schüttele den Kopf.
"Nein. William Herondale. Mein Mann Jem sitzt noch im Wagen." antworte ich und reiche ihm die Hand. Mit seinem freundlichen Lächeln erwidert er meinen Händedruck und stellt sich als Bat vor. Seine langen braunen Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden und er erinnert mich an einen Gitarissten den ich früher einmal kannte.

"Ihr Mann wird bereits erwartet." sagt er und nimmt mir die Tasche die ich in meinen Händen halte ab.
"Dann wollen wir mal." sage ich leise, mehr zu mir und um Kraft zu sammeln. Bat klopft mir auf die Schulter.
"Das wird schon. Wir werden uns gut um ihn kümmern." sagt er aufmunternd und meine Zweifel werden noch größer.

Ich mag es nicht Magnus alleine zu lassen. Es widerstrebt mir. Aber ich habe keine andere Wahl. Langsam öffne ich die Tür und halte Magnus meine Hand entgegen. Zögerlich ergreift er sie und ich ziehe ihn aus dem Wagen. Der Schneefall hat zugenommen. Seine schwarzen Haare färben sich weiß. Dicke Flocken tanzen um uns herum, fallen leise auf den Boden, unseren Haaren, unseren Körpern. Die leichte Wintersonne lässt den Schnee in seinen Haaren glitzern. Wie kleine Sterne liegen die Flocken weiß und hell, strahlend, rein und unschuldig auf seinem schwarzen Haupt.
"Ich liebe den ersten Schnee des Jahres." sagt er. Sein Blick ist in den Himmel gerichtet, ein kleines Lächeln umspielt seinen Mund. Er streckt seine Zunge heraus, weiße Flocken fallen auf den rosigen Muskel. Aus einem zaghaften Lächeln wird ein Lachen. Magnus liebt den Schnee.

Dieser Anblick lässt eine Erinnerung in mir wachsen. Ein Streit vor ein paar Monaten. Worte die verletzten und nicht wieder zurück genommen werden konnten. 'Die Zunge gleicht des Schwertes Spitze. Ein böses Wort verwundet mehr als ein scharfes Schwert.' Unser Leben ist wie eine Handvoll Schnee in der Sommersonne. Die Zeit vergeht viel zu schnell und jeder Moment ist kostbar. Diese Erkenntnis traf uns wieder einmal unvorbereitet.

Ich nehme sein Gesicht zwischen meine Hände. Die Haut ist kalt und leicht feucht vom Schnee der auf sein Gesicht fällt. Eine Flocke bleibt in seinen Wimpern hängen, er blinzelt und wie in Zeitlupe läuft dieses Bild vor meinen Augen ab. Er ist so schön und ich ihm so verfallen. Ich küsse seine Wimpern, die Flocke schmilzt unter der Wärme meiner Lippen. Kalt und rein legt sich der Geschmack von Schnee auf meine Lippen. Magnus schlingt seine Arme um meinen Körper, zieht mich in eine feste Umarmung.
"Bitte geh nicht." sagt er und ich schließe für einen Moment meine Augen.

Als ich sie wieder öffne sehe ich Jace an der anderen Seite des Wagens stehen, er schaut zu uns und in seinem Blick liegt die Kraft und Bestätigung die ich brauche. Ich muss Magnus gehen lassen. Ich muss für uns beide stark sein. Auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünsche als bei ihm zu sein. Aber den nächsten Schritt muss er alleine wagen. Den Schritt in ein neues Leben, eine neue Zukunft. Ich werde für ihn da sein wenn er mich braucht. Ich werde auf ihn warten. Ich werde ihn schmerzlich vermissen.

Mit der letzten Kraft die ich aufbringe löse ich mich von Magnus, ziehe meinen Schal vom Hals und lege ihn meinem Mann um den Hals. Er ist hellblau und lang, Magnus versinkt in den Bahnen voll Stoff. Er schmiegt seine Wangen in das zarte blau, atmet den vertrauten Geruch meines After Shave ein. "Vergesse mich nicht." flüstert Magnus.
"Die Sterne gehen aus bevor ich dich vergesse." sage ich und hauchen einen Kuss auf Magnus Lippen. Sie sind kalt, aber weich und schmecken so wunderbar nach Orange und der Kälte des Winters. Eine Träne perlt aus meinen Augen, läuft kalt über meine Wange. Ich seufze und Magnus küsst mich leidenschaftlich. Ein Abschied auf Zeit, ein Abschied so bittersüß. Seine Zunge umspielt meine und ich kann nicht länger warten. Es zerreißt mich noch länger hier zu sein.

Schwer atmend löse ich mich. Auch wenn Magnus wimmert, weiß er doch das es keinen anderen Weg gibt.
"Ich liebe dich." sage ich so gefasst wie möglich.
"Ich liebe dich auch." sagt er und flüstert 'Alexander', so leise das nur ich es hören kann. Mit einem letzten tiefen Blick nehme ich seine Hand und wir gehen gemeinsam zum Eingang. Vor den Stufen bleibe ich stehen, Magnus löst den Griff aus meiner Hand und geht weiter. Sein Gang ist aufrecht und erhaben. Seine gute Erziehung lässt keine Blöße zu, mit sicheren Schritten erklimmt er die Stufen und lässt mich zurück. Mit einem Blick über seine Schulter, einem liebevollen Lächeln verabschieden wir uns. Worte sind keine nötig, wir haben bereits alles gesagt.

Magnus tritt durch die Tür und verschwindet im Inneren des Hauses. Dunkelheit umgibt mich und ich drohe zu fallen. Die Stimme von Jace holt mich zurück in diese Welt. Wie ferngesteuert gehe ich zum Wagen und setze mich auf den Beifahrersitz. Noch vor Verlassen des Grundstückes schließe ich meine Augen. Und als wir um die nächste Ecke biegen bin ich bereits auf dem Weg ins Traumland.

Ich sehe Magnus und mich am Strand, seine Haare länger als sonst, schwarz mit einem blauen Schimmer. Goldfunkelnde Augen und ein strahlendes Lachen. Glockenhell und rein. Er hält mir seine Hand entgegen, ich ergreife sie. Warm und weich liegt sie in meiner, ein goldfarbener Ring glänzt im hellen Licht der Sonne, unsere Körper spiegeln sich auf der flachen Wasserfläche zu unseren Füßen. Zwei Männer die sich lieben, zwei Männer die nicht mehr leiden.

Bloody soulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt