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"Hallo Alec. Es ist schön dich zu sehen." Natürlich bin ich pünktlich an der Adresse die Ragnor mir genannt hat.
"Lass uns rein gehen." sagt er und wir betreten das großzügige Foyer. Ein Portier in bestsitzender Kleidung begrüßt uns und zeigt den Weg zu den Fahrstühlen. Ich komme mir etwas schäbig vor in diesem wirklich hübschen Gebäude. In meinen verwaschenen Jeans, den schlammverkrusteten Boots und der alten Lederjacke sehe ich im Vergleich zu Ragnor in seinem eleganten Anzug aus wie ein Penner.

Es regnete in der letzten Nacht und ich saß stundenlang am Ufer des Sees und blickte in die Ferne, über das Wasser hinaus zu den Bergen. Tiefschwarz und bedrohlich ragten sie empor. Blitze in der Ferne erhellten die Nacht für einen kurzen Augenblick. Und jedes Mal sah ich Magnus schönes Gesicht vor mir. Seine funkelnden Augen mit den grünen Sprenkeln auf der rechten Seite und diesem liebevollen Lächeln auf seinen perfekten Lippen. Ich weinte dicke Tränen, sie vermischten sich mit den Tropfen des Regens der schwer und kalt auf meinen Körper fiel.

"Wo sind wir hier?" durchbreche ich die Stille als der Fahrstuhl uns in die obere Etage bringt.
"Ich bringe dich in die Wohnung von Will Heronale und Jem Carstairs." gab Ragnor mir als Antwort. Schulterzuckend sehe ich ihn an. "Kenne ich nicht." Damit wende ich meinen Blick von ihm ab und hänge meinen Gedanken nach. Wer sind diese beiden Männer und was sollte ich hier? Würde Magnus auch kommen? Wie reagiere ich auf ihn wenn ich ihn wiedersehe? Mit einem sanfen Ruckeln stoppt der Fahrstuhl. Die Türen öffnen sich mit einem leisen Pling. Der Gang durch den Flur lässt mich frösteln. Der Teppich unter unseren Füßen dämpft das Geräusch unserer Schritte.

Ragnor öffnet die Tür mit einem Schlüssel und ehe ich mich darüber wundern kann, stehe ich bereits im Flur der Wohnung.
"Zieh bitte deine Schuhe aus." sagt er. Mir ist mein Aussehen etwas unangehm. Hätte ich gewußt wo er mich hinbringt, hätte ich andere Sachen gewählt. Aber ich trage nicht gerne Anzüge und Krawatten. Das hier bin ich. Jeans, Shirt, Lederjacke, Boots. Am liebsten in schwarz oder dunkelblau. Das bin ich. Alec.

Gemeinsam betreten wir den Wohnbereich und mir stockt der Atem. Meine Knie werden weich und ich drohe auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen. Denn mein Herz setzt ein paar Schläge aus und ich kann nicht mehr atmen. Mit zittrigen Händen gehe ich zu dem Sofa und blicke in die goldfunkelnden Augen des Mannes den ich so sehr liebe.

"Magnus." hauche ich und stürze mich in seine Arme. Ich klammere mich wie ein Ertrinkender an seinen Körper und dicke Tränen laufen über meine Wangen. Es ist so schön ihn wieder zu sehen. Mit meiner Nase an seinem Hals atme ich den vertrauten Geruch nach Sandelholz ein. Wie sehr habe ich das vermisst. Magnus. Seine Hände auf meinem Körper, seine Haut an meiner, Sandelholz. Aber nichts von alledem passiert hier. Er stößt mich weg und Wut liegt in seinem Gesicht und heißer Zorn funkelt in seinen Augen.

"Was macht er hier? Warum Ragnor?" fragt Magnus zornig und beide schauen wir zu dem älteren Mann der lässig im Türrahmen lehnt.
"Wo sind denn diese beiden Typen die hier wohnen?" frage ich irritiert darüber, dass Magnus mich von sich stößt. Meine Traurigkeit darüber versuche ich zu verstecken. Nicht hier, nicht vor Ragnor und diesem Will und James. Nein das war nicht der Name, aber J ist schon richtig. Ach egal, sie werden sich schon noch vorstellen.

"Das ist echt nicht auszuhalten mit euch zwei. Wochenlang schleicht ihr umeinander herum. Bemerkt die Gefühle des anderen nicht. Seit entweder zu blind oder zu blöd. Dann habt ihr euch endlich gefunden und du Alec zerstörst alles. Und warum? Wegen einer Kleinigkeit die so einfach aus der Welt zu schaffen ist." sagt er und Magnus wie auch ich schauen verwirrt. Seine Worte haben für mich keine Bedeutung, ich weiß nicht was er uns damit sagen will. Ja wir haben etwas länger gebraucht um uns darüber klar zu werden das wir zusammen gehören. Aber die Feindschaft zwischen unseren Familien verändert nunmal alles. Mir dröhnt der Kopf von den vielen Gedanken und Emotionen, die gerade über mich herein brechen.

Ich verstehe das Magnus sauer auf mich ist. Aber das er mich so behandelt, mich von sich stößt trifft mich hart.
"Jetzt schaut nicht so. Ich habe etwas für euch." Ragnor hält uns jeweils einen Pass entgegen. Ich öffne das Dokument und runzele die Stirn. Meine Augen blicken mir entgegen und auch das Gesicht auf dem Foto ist das meine. Aber der Name, das Geburtsdatum und der Ort stimmen nicht.
"William Herondale, geboren 30. Dezember in London." Verwirrt blicke ich zu Ragnor.
"Was soll das?" frage ich aber bekomme keine Antwort. Ich höre Magnus seufzen und dann seine Worte.
"Jem Carstairs, geboren 30. August in Shanghai."

"Ich bin Chinese?" sagt er empört und ich sehe Ragnor schmunzeln.
"Lass das bloß nicht meinen Großvater hören." kichert Magnus.
Ich habe es noch immer nicht verstanden. Was soll das hier? Wer sind diese Menschen? Sind wir das?
"Du hast uns andere Identitäten verschafft." dämmert es mir. Ragnors Grinsen breitet sich über sein ganzes Gesicht aus.
"Bin ich nicht ein Genie?" sagt er lachend. Er breitet seine Arme aus und deutet auf die Wohnung.
"Das hier, ist eure Wohnung. Will und Jem wohnen hier. Sie sind Banker und arbeiten beide viel. Auch im Ausland und sind deshalb nur sporadisch in New York. Sie lieben guten Wodka und Literatur, Kunst und Musik. Und sie haben ein sehr aktives Sexualleben." Sein anzügliches Grinsen lässt mich die Augen verdrehen. Das war ja klar.
"Deshalb ist das Schlafzimmer schallisoliert."

"Alexander?" fragend sehe ich zu Magnus. Er sieht wirklich schlecht aus. Seine Augen rot und verquollen, die Haut blass und leicht glänzend. Seine Hände zittern und er trägt keinen Anzug, nur ein schwarzes Shirt was ihm locker vom Körper hängt. Das Shirt gehört mir, ebenso die Jogginghose die er trägt. Ich schlucke schwer und Tränen sammeln sich in meinen Augen. Mein Egoismus schreit bis zum Himmel. Warum habe ich Magnus alleine gelassen? Ich wollte ihn beschützen. Dabei habe ich es nur noch schlimmer gemacht.

"Im Leben geht es um mehr, als ums Überleben." zitiere ich eine Stelle aus einem meiner Lieblingsbücher.
"Es tut mir leid Baby. So sehr." Magnus steht auf und kommt zu mir, schließt seine Arme fest um mich und diesmal fühle ich es. Seine Hände auf meinem Körper die sanft über meinen Rücken streichen. Seine Haut an meiner, seine Lippen an meinem Hals. Der Geruch von Sandelholz der uns umhüllt. "Ich liebe dich Alexander." flüstert er in mein Ohr und gemeinsam lassen wir unseren Tränen freien Lauf.

Bloody soulsWhere stories live. Discover now