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Im Haus meines Vaters erwartet mich ein längst vergessener Anblick. Ein Deja-Vu aus einer anderen Zeit. Der große Spiegel in der Eingangshalle ist mal wieder zertrümmert. Die Scherben liegen noch am Boden, niemand ist zu sehen. Das Haus ist still und es ängstigt mich etwas. Das Haus ist nie still, nur Nachts wenn alle schlafen. Irgendjemand ist immer hier. Und irgendetwas stimmt hier nicht.

Es ist das Haus meiner Kindheit, meiner Jugend. Es ist das Haus meiner Familie, meines Vaters. Aber es ist nicht mehr mein Haus. Der Erbe des Lightwood-Imperiums wird auch dieses Haus erben. Jahrelang war es mein größter und einziger Wunsch, dass ich es bin. Das Vater mich, seinen ältesten Sohn auch zu seinem Nachfolger bestimmt. Aber seit ich Magnus kenne hat sich alles verändert. Ich will es nicht mehr. Und schon seit längerer Zeit suche ich einen Ausweg aus dieser Situation, diesem Leben.

Jace poltert die große Treppe herunter und stürzt sich in meine Arme.
"Geht es euch gut?" fragt er leise an mein Ohr. Ich nicke. Die letzten drei Wochen war ich kaum hier. Ich schlafe nur noch in unserer Wohnung, so bin ich Magnus am nähesten. Vater ließ mich überwiegend in Ruhe. Innerlich dankte ich ihm dafür. Um Aufträge zu erledigen ist mein Kopf einfach nicht frei genug. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich das bald, wenn nicht schon heute ändern wird.

"Ich muß ins Büro." sage ich und löse mich von Jace.
"Du weißt das du immer mit mir reden kannst. Ich bin für dich da wenn du Hilfe, oder einfach mal eine Schulter zum ausheulen brauchst."
"Seit wann heule ich?" frage ich genervt. Seitdem ich dieses Haus betreten habe sinkt meine Laune stetig in den Keller. Ich rolle mit den Augen und verschränke meine Arme vor der Brust. Die Abgeklärtheit und Kühle der letzten Jahre zahlt sich aus. Ich konnte damit bisher jeden überzeugen. Außer Jace. Er kauft mir das Schauspiel keine Sekunde lang ab. Mit hochgezogenen Augenbrauen und ebenfalls vor der Brust verschränkten Armen steht er vor mir und wir liefern uns ein Blickduell.

Irgendwann gebe ich nach. Aber nicht weil ich vor Jace einknicke, sondern weil Vater gerade aus dem Büro kommt.
"Später." raune ich ihm zu und gehe an Jace vorbei direkt zu unserem Vater.
"Alec. Schön das du uns auch mal wieder mit deiner Anwesenheit beehrst."
Ich antworte ihm nicht. Stattdessen sehe ich an ihm vorbei in grüne Augen. Ben. Schon wieder. Dieser Kerl verfolgt mich.

Aber was wundert es mich. Immer wenn es schwierig wird, holt Vater Ben. Er grinst mich an und leckt sich über die Lippen. Ich habe keine Lust auf dieses Spiel. Noch vor ein paar Jahren war es mir wichtig was Ben denkt. Was er über mich denkt. Mittlerweile ist es mir egal. Auch er geht davon aus, das ich keinen Kontakt mehr zu Magnus habe.

Auch nach all diesen Jahren sind Ben und ich ein eingespieltes Team. Es ist vier Monate her als er das letzte Mal hier war. Vater war sehr zufrieden mit mir. Mit uns. Es war einfach. Rein. Informationen bekommen. Raus. Es war zu einfach wie sich im Nachhinein heraus stellte. Seitdem habe ich einen nervigen Detective an der Backe kleben. Underhill. Andrew Underhill. Allein dieser Name bereitet mir schon Kopfschmerzen.

Als ich das erste Mal bemerkte das ich verfolgt werde, habe ich mit Vater und anschließend mit Magnus darüber geredet. Jace begleitet mich zu allen Aufträgen, keine Alleingänge mehr. Und Magnus gegenüber habe ich ein Versprechen abgegeben. Dark Angel ist Geschichte. Ich hasse es ihn belügen zu müssen. Aber ich kann nicht aus meiner Haut. Ich kann Vater nicht hintergehen. Er würde dafür sorgen, dass ich den nächsten Morgen nicht mehr erlebe. Und Magnus würde er dabei zusehen lassen.

Vor ein paar Wochen hat er mir genau das gesagt. Fast wortwörtlich. Ich wollte einen Auftrag verweigern, habe ihm gesagt das ich kürzer treten möchte. Er wurde sehr wütend. Die Tatsache, dass er schon einiges getrunken hatte, war nicht gerade positiv für mich. Er hat mir gedroht, dass er meinen kleinen Sexsklaven eigenhändig aus dem Loch zieht in dem er sich versteckt und dabei zusehen lässt wie Ben mich langsam und qualvoll töten wird.

Ich sah in seinem Gesicht, dass er von meiner speziellen Beziehung zu Ben weiß. Und das erschreckte mich wirklich. Entweder war er gut informiert, oder Ben hatte uns verraten. Dabei hat er mir vor nicht allzu langer Zeit geschworen den Mund zu halten. Magnus habe ich reinen Wein eingeschenkt. Ich habe ihm von Ben erzählt. Ehrlich, schonungslos, alles. Er war außer sich vor Wut, enttäuscht und fühlte sich hintergangen. Es kostete mich einiges um Magnus klar zu machen, dass er der einzige Mann in meinem Leben ist. Zu dieser Zeit waren die Auswirkungen der Abhängigkeit sehr stark. Auch das war nicht positiv für mich.

Aber Magnus und ich wären nicht Magnus und Alexander, wenn wir das nicht geklärt bekommen hätten. Es ist meine größte Angst das Vater von uns erfährt. Das er Magnus leiden lässt indem er mich bestraft. Oder sogar tötet. Denn Magnus würde das nicht überleben. Magnus würde daran zugrunde gehen. Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Und Vater weiß, dass ich noch Gefühle für Magnus habe. Ich bin ein guter Beobachter. Und ich bemerke den Blick von ihm auf mir wenn über Magnus und seinen Vater gesprochen wird.

"Alec." höre ich die Stimme meines Vaters. Wieder einmal holt er mich aus meinen Gedanken. "Junge was ist bloß los mit dir?" sagt er.
"Nichts. Es ist alles in Ordnung." Vater glaubt mir nicht. Das sehe ich ihm an. "Was wolltest du von mir? Warum sollte ich herkommen?" versuche ich abzulenken.
"Das besprechen wir beim Essen." sagt er und geht ins Esszimmer. Verwirrt schaue ich ihm hinterher. Wir reden nie beim essen. Und schon gar nicht über das Geschäft. Also warum jetzt?
"Warum?" rufe ich ihm hinterher. Aber Vater winkt meine Frage einfach ab. Ich bekomme keine Erklärung.

Dieses Essen verläuft so schlecht wie schon lange nicht mehr. Dann doch lieber schweigen. In fünf Tagen spielen Jace, Ben und ich die Bodyguards für unseren Vater. Super. Ganz toll. Das monatliche Treffen mit anderen Clanoberhäuptern, unter anderem auch Magnus, Vater steht an. Ich soll mich im Hintergrund halten und beobachten. Denn Vater fürchtet um sein Leben. Seit einer Weile gibt es Gerüchte. Aber bisher waren es eben nur Gerüchte.

Mein Telefon vibriert und Vater schaut mich strafend an. Ich ignoriere seinen Blick. Als ich die Nachricht lese, legt sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht.

Baby💗
Liebling, in drei Tagen werde ich entlassen. R holt mich ab.
Er bringt mich direkt in unsere
Wohnung. Ich kann es kaum
erwarten dich endlich wieder
zu sehen. Ich vermisse dich sehr.
Jeden Tag. Ich liebe dich. Und ich
hoffe, du wartest noch immer
auf mich. Mit meiner ganzen Liebe
für dich. M

Bloody soulsWhere stories live. Discover now