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Nein. Nein nein nein. Das kann nicht sein. Krieg. Unsere Familien befinden sich im Krieg. Das ist mein wahrgewordener Albtraum. Auf dem Weg nach draußen schnappe ich mir meinen Helm und die Schlüssel. Ich muss so schnell wie möglich zurück. Der Fußweg dauert mir gerade zu lang. Und selbst fahren ist nicht schnell genug.

Ruckartig werde ich zurück gezogen und drehe mich schwungvoll. Ben hält mich an den Armen fest und ich schaue ihn verwirrt an.
"Was willst du?" herrsche ich ihn an. "Wo willst du hin?" Genervt verdrehe ich die Augen. Eine Gegenfrage auf eine Frage. Ich hasse es und Ben weiß es. Oft genug hat er den Zorn in meinen Augen gesehen wenn ich eine Frage stellte und statt einer Antwort eine Gegenfrage bekam.

"Deine Augen glänzen noch immer so schön wenn du zornig bist." sagt er kehlig und ich starre ihn ungläubig mit offenem Mund an.
"Damit kommst du jetzt? Alter geht's noch? Verschwinde und lass mich in Ruhe." schreie ich und entwinde mich seinem Griff. Er ist nur halb so stark wie er aussieht.
"Alec warte. Lass uns darüber reden okay? Mache jetzt nichts unüberlegtes. Bitte Alec. Denk auch an dich." Der flehende Ton in seiner Stimme macht mich stutzig. Ben fleht nie.

Mit gesenktem Kopf aber noch immer den Rücken zugekehrt bleibe ich stehen.
"Rede." sage ich.
"Hast du eine Beziehung mit Mark?" Was? Wovon redet er?
"Mark?" frage ich verwirrt.
"Heißt er nicht so? Ach ne warte. Aber der Name begin-"
"Sein Name ist Magnus." unterbreche ich ihn. "Ich liebe ihn und wir führen eine Beziehung. Offiziell ist es noch ganz frisch. Aber wir treffen uns schon länger."

"Schläfst du mit ihm?" Ich schnaube. Es geht ihn nichts an.
"Ben das geht dich nichts an." sage ich klar und deutlich.
"Ich verstehe das als ein ja. Dein Vater wird nicht erfreut sein wenn er erfährt das du mit ihm zusammen bist. Er ist der Sohn eures Feindes." Als wenn ich das nicht wüsste.
"Vater wird es nie erfahren." sage ich und treffe in diesem Moment eine Entscheidung. Dieser Gedanke zerreißt mein Herz und lastet schwer auf mir. Tränen sammeln sich in meinen Augen, ich schüttele leicht den Kopf. Ich muß hier weg, ich muß es Magnus sagen. Aber mein Herz schmerzt zu sehr.

"Alec. Ist alles okay?" Wütend drehe ich mich um, mein Finger bohrt sich in seine Brust und ich knirsche mit den Zähnen.
"Das fragst du mich allen Ernstes? Ob alles okay ist?" Das Wort okay betone ich besonders.
"Was denkst du denn wie ich mich fühle? Ich hatte heute Morgen den unglaublichsten Sex meines Lebens. Mit dem wunderschönsten und liebevollsten Mann auf diesem Planeten. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir wollten es heute unseren Familien sagen. Und jetzt kommt Vater und sagt das wir im Krieg sind? Ich bin nicht mit Magnus im Krieg. Ich bin sein Freund, sein Lebenspartner. Und du fragst mich ob alles okay ist?" Ich schreie Ben meinen gesamten Frust ins Gesicht und es ist mir egal wer uns hört. Ich kann einfach nicht mehr, mein Leben ist zerstört. Ich habe meine einzige Liebe verloren.

"Beruhige dich bitte. Ich weiß das es schwer ist."
"Einen scheiß weißt du." Ich drücke ihn nach hinten.
"Ich habe eine Zielscheibe auf dem Rücken. Ich bin eine Gefahr. Für das Leben von Magnus und seinen Eltern. Und... und du weißt das ganz genau. Ich bin Henker und Richter in einer Person. Mein Handeln entscheidet über das Leben von Magnus."

Er sieht mich an und lächelt.
"Warum lachst du? Erfreust du dich an meinem Elend?" frage ich wütend. Ben kommt auf mich zu und legt seine Hand an meine Wange. Er fixiert meine Lippen und ich entziehe mich ihm.
"Dark Angel." haucht er. Diesen Namen hat er mir gegeben.
"Ich bin so stolz auf dich. Du bist unglaublich weißt du das?"
Wortlos lasse ich ihn stehen. Die Kraft für eine weitere Auseinandersetzung mit ihm fehlt mir. Er ist nicht wichtig. Magnus ist wichtig. Magnus und seine Sicherheit.
Ben folgt mir nicht. Bevor ich los fahre schreibe ich Magnus das ich dringend mit ihm reden muss.

Gemächlich fahre ich durch die Straßen von New York, lasse diese laute und pulsierende Stadt hinter mir. Ich habe Zeit, denn Magnus hat einen Treffpunkt außerhalb der Stadt von mir geschickt bekommen. Er wird eine Weile brauchen um den Weg zu finden. Das verschafft mir etwas Zeit um eine wichtige Sache zu klären. Etwas abseits der Straße komme ich zum stehen und warte. Während ich warte hänge ich meinen Gedanken nach. Der Regen hat aufgehört, die Sonne hat die graue Wolkendecke durchbrochen. Es riecht nach frischem Regen auf erhitztem Asphalt. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und lasse die Strahlen mein Gesicht erwärmen, genieße die letzten Momente der Ruhe bevor das Chaos über uns zusammen bricht.

"Alexander." höre ich Magnus gedämpft sagen. Ich hatte bereits gehört das er da ist. Mit einem Lächeln sehe ich dabei zu wie er sein Motorrad in die Parkposition stellt, den Helm öffnet und von seinem Kopf nimmt. Seine Haare sind zerstört und ich liebe es.
"Hallo Baby." sage ich zögerlich und Magnus legt den Kopf schief.
"Was ist los?" fragt er mich und sieht nachdenklich aus.
"Weißt du es nicht? Hast du nicht mit deinem Vater gesprochen?" frage ich irritiert.

Ich bin eigentlich davon ausgegangen, das Magnus vollkommen aufgelöst hier ankommt.
"Nein. Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Er hat sich in seinem Büro eingeschlossen. Zusammen mit Ragnor und ein paar anderen höhergestellten Männern. Was ist los?" Magnus hat keine Ahnung das wir uns im Krieg befinden. Er weiß nichts davon, dass sein Vater den meinen hintergangen hat. Und weiß nicht, dass ich mich von ihm fernhalten soll.
"Alexander?" fragt Magnus leise. Die Unsicherheit ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, seine Stimme zittert und ebenso seine Hände. Jetzt bemerke ich es erst. Fuck warum bemerke ich das erst jetzt? Magnus sieht schrecklich aus. Seine Augen zieren dunkle Ringe, er ist ungeschminkt und Schweiß liegt auf seiner Stirn.

Schnell gehe ich zu ihm, seine Hände sind eiskalt und er zittert. Sein ganzer Körper zittert und bebt. Auch sein Gesicht ist kalt.
"Magnus warum zitterst du so? Und warum bist du so kalt? Bist du krank?" frage ich besorgt und das Lächeln was er mir schenkt könnte nicht falscher sein. Ich erkenne es wenn er sein 'Es-ist-alles-in-Ordnung-mache-dir-keine-Sorgen' Lächeln trägt. Denn alles andere ist der Fall. Es ist nicht in Ordnung. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.
"Vielleicht nur eine kleine Erkältung die sich anbahnt. Mach dir keine Sorgen." Gedankenverloren streiche ich durch seine Haare, wische den Schweiß von seiner Stirn und drücke ihn fest an meinen Körper. Ein letztes Mal.

Ein letztes Mal liegen meine Lippen auf seinen. Die Kälte seiner Haut überrascht mich, ist es doch anders als sonst. Aber dieser Kuss ist genauso gefühlvoll wie die anderen davor. Ich lege meine gesamten Gefühle in diesen Kuss, lasse Magnus meine Zunge schmecken. Seinen allesbetörenden Duft nach Sandelholz atme ich tief ein, speichere diese Erinnerung und begebe mich auf Erkundungstour nach dem Geschmack seiner Lippen. Das Aroma von Orange empfängt mich und seine Lippen werden mit jeder Sekunde wärmer. Das wohlige seufzen aus seinem Mund treibt mir Tränen in die Augen und ich schluchze. Magnus löst den Kuss und lehnt seine Stirn gegen meine. Seine Hände umfassen mein Gesicht, die Daumen streichen über meine geschlossenen Augen, vertreiben die Tränen.

"Warum fühlt sich das hier wie ein Abschied an?" flüstert Magnus und ich möchte innerlich sterben. Dann würde dieser Schmerz vergehen und ich hätte die notwendige Kraft für meine nächsten Worte.
"Weil es einer ist Baby. Ich werde die Stadt verlassen." sage ich und Magnus schnappt lautstark nach Luft.

Bloody soulsWhere stories live. Discover now