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Ich kann das Ende dieses beknackten Essens kaum abwarten. Magnus wird entlassen, er darf nach Hause. In drei Tagen habe ich ihn wieder. Ich muss unbedingt mit Ragnor sprechen. Schon öfter habe ich mir Gedanken darüber gemacht wie wir seine Rückkehr feiern. Am liebsten würde ich einen Abend zusammen mit Magnus und meinen Geschwistern richtig feiern gehen. Mit gutem Essen und Wodka, tanzen im Club und noch mehr Wodka. Einfach den ganzen scheiß der letzten Jahre und die Schmerzen der letzten Wochen hinter uns lassen und vergessen. Und dann würde ich Magnus schnappen und mit ihm ans Meer fahren. Einfach raus aus dieser Stadt voller Hass und Gewalt, Krieg und Tod.

Jace unterhält sich angeregt mit Ben. Sie verstehen sich gut. Und wenn ich nicht wüßte, dass mein Bruder hetero und in einer Beziehung mit der kleinen rothaarigen Bardame steckt, würde ich darauf wetten, das die beiden flirten. Sie schmieren sich gegenseitig Honig um den Mund und ich kann mich kaum zurück halten. Am liebsten würde ich aufspringen und Vater die Meinung sagen. Das ich dieses erbärmliche Schauspiel nicht mehr länger ertrage.

Irgendetwas ist vorgefallen und ich weiß nicht im geringsten was es sein könnte. Vater redet über das Treffen und unseren Job als Bodyguards. Jace und Ben reden übers Boxen. Ich schweige. Diese ganze Show zieht Jace nur für mich ab, damit Ben mich in Ruhe lässt.

Der kaputte Spiegel in der Eingangshalle geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Beim letzten Mal erklärte Vater Asmodeus den Krieg. Was also ist es diesmal?
"Vater?" spreche ich einfach zwischen das Gespräch. Es ist mir egal wenn er wütend wird.
"Warum ist der Spiegel zerschlagen? Mal wieder." frage ich gerade heraus. Mein Blick kalt und starr auf ihn geheftet. Seine eisigen Augen blitzen, die Kiefermuskeln zucken und ich höre das knirschen seiner Zähne. Er ist wütend. Es ist mir egal. Sowas von verdammt fucking scheiß egal.

"Ich habe eine Nachricht bekommen. Und diese Nachricht ist nicht in meinem Sinne." Damit steht er auf und verlässt den Raum. Es soll mir signalisieren, dass keine weiteren Fragen erwünscht sind.
Ich bin genauso schlau wie vorher und das ungute Gefühl, das ich seit betreten des Hauses habe, lässt nicht nach. Eigentlich wächst es gerade an.

"Du solltest deinen Vater nicht belästigen. Erledige einfach deinen Job." sagt Ben und ich würde ihn so gerne schlagen. Das Besteck landet lautstark auf dem Teller, mit ein paar langen Schritten bin ich um den Tisch herum gelaufen und packe ihn am Kragen. Ben sieht kurz erschrocken zu mir herauf, dann legt sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Ich kann an dem funkeln seiner Augen erkennen, das ihm gefällt wie ich mich verhalte. Ich weiß genau was er in mir sieht. Den skrupellosen Killer mit den eisblauen Augen. Die Maschine zu der er mich einst machte.

Ruckartig lasse ich von ihm ab und verlasse das Esszimmer. Jace ruft mich, aber ich reagiere nicht darauf.
Bevor ich mich versehe stehe ich vor der Tür zu Vaters Büro. Ohne anzuklopfen betrete ich das Zimmer. Vater steht mit dem Rücken zur Tür und sieht aus dem Fenster. Von hier aus kann man direkt hinter das Haus und zu dem angrenzenden Wäldchen sehen. Genauso wie aus meinem Zimmer. Es ist der gleiche Ausblick, mein Zimmer liegt direkt über dem Büro.

"Was willst du Alec?" Neutral ist das richtige Wort für seine Stimmlage.
"Warum ist Ben hier? Warum hast du deine Wut wieder an diesem unschuldigen Spiegel ausgelassen? Was verschweigst du uns?" Zornig ist meine.
"Was ich verschweige? Das sollte ich eher dich fragen." Noch immer neutral. Und das ist verwirrend. Robert Lightwood zeigt seine Emotionen immer.
"Ich habe keine Lust auf solch einen scheiß."

"Dann sag mir wo du gewesen bist."
"Bei einem Freund." Die Lüge kommt leicht über meine Lippen. Es ist nicht das erste Mal. In den letzten Jahren habe ich das oft getan.
"Hast du dich entschieden?" Vater steht noch immer mit dem Rücken zu mir.
"Nein. Meine Antwort ist nein."

"Das ist sehr schade." Jetzt dreht er sich um und kommt auf mich zu.
"Ich habe bereits alles mit Igor besprochen. Es wird in fünf Tagen offiziell. Bei dem Treffen werden wir deine Verlobung bekannt geben."
Und in diesem Moment wird mir klar, heute ist offiziell der schlimmste Tag meines Lebens. Ich bin wie gelähmt, nicht ein Wort kommt über meine Lippen. Mein Verstand versucht gerade zu verstehen was hier passiert.

"Ich nehme dein Schweigen als deine Zustimmung an." sagt Vater.
Er setzt sich an seinen Schreibtisch, ich schaue ihm schweigend dabei zu. Ein großes Buch, rotes Leder und goldene Buchstaben liegt vor ihm. Seine schlanken Finger fliegen über die Zeilen, die Augen huschen über schwarze Zahlen und mir allzu bekannte Namen. Dieses Buch ist der Grundstein unserer Organisation, Vater hütet es wie seinen Augapfel.

"Alec. Ich weiß das du damit nicht einverstanden bist. Du hast deine Antwort monatelang hinaus gezögert. Und nun, hast du in diesem Fall kein Mitspracherecht mehr." Solangsam erwache ich aus meiner Starre.
"Das hatte ich nie. Du hast immer für mich entschieden. Das ist alles nur ein Spiel für dich." antworte ich ihm leise.
"Setz dich."
Ich schüttele den Kopf und bleibe stehen. "Nein."
"Es ist eine solide Partnerschaft. Und Igors Tochter ist ein wirklich reizendes Ding. Gut erzogen und loyal. Sie wird keine Schwierigkeiten machen."

"Sie ist siebzehn." schreie ich. Natascha Petrova ist ein nettes Mädchen. Sie hat braune Haare, braune Augen, volle Lippen und blasse Haut. Sie ist still und höflich, nett und immer freundlich. Sie hat einen guten Umgangston und einen Freund. Zumindest bis vor ein paar Stunden. Denn anscheinend bin ich ihr neuer Freund. Natürlich weiß ich wer sie ist. Natürlich weiß ich alles über sie und ihre Familie.

"Schluß jetzt." schreit Vater und schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Der Rahmen mit dem Familienfoto fällt krachend um. Ich sehe das gesplittete Glas als Vater den Rahmen in die Hand nimmt.
"Das kannst du vergessen." knurre ich.
"Ich weiß das du dich noch immer von ihm ficken lässt. Habt ihr beiden tatsächlich geglaubt ich würde es nicht heraus bekommen? Alec, es ist mir egal ob du dich durch die halbe Stadt vögelst oder ob du dir einen Toyboy zulegst. Aber heiraten wirst du eine Frau. Und Natascha ist perfekt. Diese Verbindung festigt auch unsere Geschäftsbeziehung zu Igor."

"Nein. Woher weißt du davon?" Tränen steigen in meine Augen.
"Lass dich von Ben ficken so oft du willst. Aber komme deiner Pflicht nach."
"Ben?" hauche ich. Ben? Er denkt ich schlafe mit Ben.
"Ja Ben. Er hat mir gesagt das ihr etwas am laufen habt, so wie er sich ausdrückte."
Warum tut er das? Nach unserem letzten Auftrag versuchte er mich ins Bett zu bekommen. Ich habe ihm klipp und klar gesagt das ich keine Beziehung mit ihm eingehe. Auch keinen Sex nur weil wir geil sind. Ich liebe Magnus. Ich würde ihn niemals betrügen.

"Du kannst mich nicht dazu zwingen. Ich liebe einen Mann. Es ist keine Phase oder Verirrung. Ich würde mein Leben für ihn geben. Ich mache das nicht. Das habe ich dir schon so oft gesagt."
Meine Tränen halte ich nicht zurück. Es ist das erste Mal seit sehr sehr langer Zeit das ich vor meinem Vater weine. Es ist mir egal ob er mich für schwach hält. Es ist mir egal wenn er mich bestraft. Ich liebe Magnus und er ist der einzige Mensch dem ich mein Leben und meine Liebe schenke. Magnus ist mein Mann.

Unter Tränen verlasse ich das Büro meines Vaters und sein Haus. Ich blicke nicht zurück. Mein Gesicht ist feucht von den Tränen, der kalte Wind schmerzt auf der Haut. Aber ich spüre es nicht. Zu sehr überdeckt mein schmerzendes Herz die Schmerzen der Kälte.

Bloody soulsWhere stories live. Discover now