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Die Zeit vergeht und zieht mich fort. An einen Ort ohne Magnus, eine Zeit ohne Magnus. Jeden Morgen laufe ich eine Runde am Ufer des Sees. Ich laufe solange wie meine Beine mich tragen, breche keuchend und mit brennender Lunge, schmerzenden Gliedern und unter Tränen auf dem kühlen Sand zusammen. Ich weine und schreie meinen Frust über die spiegelglatte Oberfläche des Sees hinaus. Das Echo verhallt in den Bergen und bringt mir doch keine Erleichterung. Denn noch immer ist mein Herz gebrochen und der Schmerz wird mit jedem Tag größer.

Ich zweifele an meiner Entscheidung und führte viele Gespräche mit Jace und meiner Mutter. Ich erzählte den beiden von Magnus und mir. Wie wir uns und unsere Liebe zueinander kennen lernten. Aber seit mehreren Tagen rede ich nicht mehr. Denn vor einigen Tagen erfuhr ich durch einen Anruf von Ragnor, dass Magnus komplett durchgedreht ist. Er hat seinen Vater mit einer Waffe bedroht und wollte die Wahrheit von ihm wissen. Aber Asmodeus schwieg. Stattdessen lachte er Magnus aus und schloß ihn im Haus ein. Er darf das Haus nur noch in Begleitung von Ragnor und nach Erlaubnis von Asmodeus verlassen. Sie werden auf Schritt und Tritt verfolgt, Magnus leidet wie ein Tier.

Jace sprach mit Luke und dieser berichtete, dass Vater nach uns suchen lässt. Er bat ihn um etwas Zeit damit mein Herz und meine Seele heilen können. Aber Luke steht zu Vater. Und Vater will mich in seiner Nähe haben. Es ist nur eine Frage der Zeit bis jemand hier auftaucht und uns holt. Ich bin noch nicht bereit dazu in diese Welt zurück zu kehren. Die Situation zwischen unseren Vätern hat sich nicht verbessert.

Der Gedanke daran, Magnus als meinen Feind zu betrachten bereitet mir Übelkeit. Wie kann der Mann den ich über alles liebe auch der Mann sein, den ich über alles hassen soll? Das ist für mich unbegreiflich. Aber ich kann mich nicht ewig hier verstecken. Irgendwann wird irgendwer mich hier finden. Ist es ein Lakaie meines Vaters habe ich Glück und er bringt mich nach New York zurück. Ist es aber ein Abgesandter von Asmodeus Bane heißt es er oder ich, Leben oder Tod.

Dieses Schicksal liegt nicht in meiner Hand. Es ist bereits vorherbestimmt und niemand kennt den genauen Zeitpunkt seines Todes. Ich wünschte nur, dass Magnus in dieser Stunde bei mir wäre. Sein Gesicht soll das letzte sein was ich sehe und seine Lippen die letzten die mich küssen.

Wir verstecken uns seit über zwei Monaten am Lake Lynn und ich ertrage es einfach nicht mehr länger. Jeder Tag den ich nicht bei Magnus sein kann, fühlt sich an wie tausend Nadelstiche unter meiner Haut. Wir wußten immer, dass ich ein potenzielles Ziel bin. Wenn ein Krieg zwischen unseren Clans ausbricht bin ich eine Bedrohung für die Sicherheit der Banefamilie. Dabei würde ich nie etwas tun um Magnus zu verletzten. Nie im Leben.

Der Rückweg meiner morgendlichen Runde gestaltet sich heute schwieriger als sonst. Ich bin müde und vollkommen fertig. Ein mir bekanntes Auto steht auf dem Weg vor der kleinen Hütte. Ich beschleunige meine Schritte und das Herz droht aus meiner Brust zu springen. Es schlägt wild und heftig und zieht sich krampfhaft zusammen als ich Ragnor erkenne. Sein Gesicht eingefallen und blass. Dicke Augenringe zieren sein Gesicht und er sieht mindestens genauso schlecht aus wie ich mich fühle.
"Ragnor." rufe ich. Er kommt auf mich zu und klopft mir auf die Schulter. Ein leichtes Lächeln auf den Lippen, aber der Blick leer.

"Liebst du Magnus?" fragt er ohne Umschweife und ich kann nur nicken. Tausend Fragen bilden sich in meinem Kopf und ich habe plötzlich Angst. Angst davor das er hier ist um mir zu sagen, dass Magnus mich nie wieder sehen will. Das er einen anderen hat oder noch schlimmer, dass er nicht mehr am Leben ist. "Dann komme nach Hause. Er braucht dich." sagt er und eine tonnenschwere Last fällt von meinen Schultern.
"Ich will ihn nicht in Gefahr bringen. Wir werden es nicht schaffen uns voneinander fern zu halten. Wir sind wie zwei Magneten die sich anziehen. Du hast es doch gesehen." antworte ich ihm.

"Er hat es dir nicht erzählt oder?" fragt Ragnor und ich schaue verwirrt zu ihm.
"Was soll er mir erzählt haben?" Ich habe keine Ahnung was er meint. "Magnus hat ein Suchtproblem." sagt Ragnor und mich beschleicht ein ungutes Gefühl.
"Alkohol?" frage ich zögerlich. Ragnor schüttelt den Kopf.
"Nein. Schmerzmittel." Mit geweiteten Augen sehe ich den älteren Mann vor mir an. Seine Worte gelangen nur langsam in mein Bewußtsein.
"Ist das dein ernst?" frage ich und Ragnor nickt. Solangsam setzen sich alle Puzzleteile zusammen. Die immer kalten Hände, das Zittern, die Schweißausbrüche. Wie konnte ich nur so blind sein?

"Wie lange schon?" frage ich leise und blicke auf meine Füße.
"Schon länger. Es ist passiert als Magnus noch in Japan lebte. Er hat sich beim Training verletzt und wurde erst ein paar Tage später richtig behandelt. Seitdem braucht er jeden Tag eine bestimmte Menge. Er hat gute und schlechte Tage. Wie das bei Süchtigen eben so ist."
Warum hat Magnus nie darüber geredet? Wir haben über so viele Dinge gesprochen, ich habe ihm meine Gefühle und Gedanke anvertraut, war immer ehrlich. Aber das stimmt nicht. Die Erkenntnis straft mich Lügen. Auch ich war nicht ehrlich zu ihm. Ben.

"Das ist schrecklich. Ich fühle mich gerade wie der letzte Arsch. Ich habe ihn alleine gelassen mit seinem Schmerz und riskiert das sich seine Sucht verschlimmert." schluchze ich und will gerade ins Haus gehen als Ragnor mich am Arm zurück hält. "Warte Alec. Du wußtest es nicht. Also konntest du es auch nicht verhindern. Aber du kannst jetzt für ihn da sein." "Wie stellst du dir das vor? Wir dürfen uns nicht sehen." Er drückt mir wortlos einen kleinen Zettel in die Hand und geht zu seinem Wagen.

"Wenn du Magnus wirklich liebst, dann bist du morgen um 10:00 Uhr an dieser Adresse. Magnus hat damit gedroht sich das Leben zu nehmen wenn dir etwas passiert. Asmodeus wird das nicht riskieren. Er weiß genau das Magnus stark genug ist das durchzuziehen. Du bist frei Alec. Zumindest was dein Todesurteil von Seiten Asmodeus angeht." sagt er, steigt in den Wagen und fährt los. Ungläubig schaue ich ihm hinterher. Erst als der Wagen um die Kurve gebogen und damit aus meinem Sichtfeld verschwunden ist entfalte ich den Zettel. Eine Adresse. Mehr nicht.

Bloody soulsWhere stories live. Discover now