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Die körperlichen Schmerzen sind nichts im Vergleich zu den seelischen. Das musste ich selber am eigenen Leib erfahren. Es frisst mich von innen heraus auf. Dieser Schmerz und die düsteren Gedanken.
Die Tage ziehen wie Wolken an mir vorbei. Aber nicht diese weißen flauschigen Schäfchenwolken die man betrachtet während man mit dem Menschen seines Herzens auf einer Sommerwiese liegt. Es sind diese dunklen schwarzen Gewitterwolken die einen Sturm entfesseln und die Welt ins Chaos stürzen.

Mein Urteil lautete schuldig für den Mord an Magnus Bane. Schuldig für die schwere Körperverletzung an drei weiteren Personen. Mehr konnte Detective Underhill mir nicht nachweisen. Zusammen waren das dreißig Jahre. Mum machte einen Deal. Lebenslang war vom Tisch.

Jace ist mit fünf Jahren gut bei weg gekommen. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus verbrachte ich noch eine Weile auf der Krankenstation des Gefängnisses. Jace durfte mich nicht besuchen. Aber ich durfte lesen. Die Bibliothek in Sing Sing ist nicht übel. Jeden Tag brachte ein Mitinsasse neuen Lesestoff für mich.

Und Jace hatte gelernt Tiere aus Origami zu falten. Ich liebe sie. Und besonders die wenigen Worte, versteckt zwischen den Knicken. Ein Buch und ein Tier. Das war das Highlight meines Tages.
Irgendwann durfte ich die Krankenstation verlassen und bezog meine Zelle zusammen mit Jordan Kyle. Ein Kleinkrimineller aus Brooklyn. Er redete ununterbrochen. Aber ich mochte ihn. Vor ein paar Tagen wurde er entlassen. Gerüchteweise soll noch heute Nachmittag ein Transport neuer Häftlinge kommen. Frischfleisch.

Mein Tag besteht aus schlafen, wecken, aufstehen. Zum Frühstück gehen, dann in die Bibliothek zum arbeiten. Hofrunde und Krafttraining mit Jace. Arbeiten in der Bibliothek, Abendessen. Duschen, geschützt vor den Augen der Mitinsassen. Jace der Wache steht, während meine Hand versucht etwas Befriedigung zu erschaffen. Goldfunkelnde Augen und eine warme feuchte Zunge in meinem Mund. Eine liebliche Stimme, geflüsterte Worte an mein Ohr und der schönste Schwanz der Welt in meinem Hintern. Mein Sperma das heiß über meine Hand läuft, gemischt mit dem warmen Wasser der Dusche und meinen Tränen.

Jeden Tag. Jeden Tag seit vier Jahren. Mum kommt uns regelmäßig besuchen. Clary, die Garderobendame aus dem Club und Jace Freundin hält fest zu ihm. Sie ist sein Halt und Lichtblick. Izzy besuchte uns die erste Zeit regelmäßig. Aber jedes Mal brach sie in Tränen aus. Ich wollte das nicht mehr und schrieb ihr einen Brief. Seitdem besucht sie uns nur unregelmäßig und immer in Begleitung von Simon. Simon Lewis hatte es tatsächlich geschafft, dass Herz meiner kleinen Schwester zu erobern. Es freute mich.

Hier drinnen haben wir uns. Jace und ich und unsere brüderliche Liebe. Die Loyalität und das Vertrauen immer im Hinterkopf. Jace fand sofort Anschluss in der Gefängnishierachie. Er ist der uneheliche Sohn von Robert Lightwood, aber er ist der zweite in der Thronfolge. Somit genießt er einen gewissen Respekt bei den Gefolgsleuten unseres Vaters und anderen Insassen, hatte keine Schwierigkeiten seinen Platz zu finden.

Bei mir sah das alles ganz anders aus. Alec Lightwood, ältester Sohn und Thronerbe von Robert Lightwood galt als Geächteter. Jeder in der Unterwelt wußte, dass ich mich von Magnus Bane ficken ließ. Mit diesen Worten begrüßten mich die anderen Insassen auf dem Innenhof. Alec Lightwood, die Schwuchtel die sich vom Feind seines Vaters ficken lässt. Alec Lightwood der Verräter. Die Worte trafen mich tief. Aber meine Wochen der Isolation und die Ungewissheit über Magnus haben mich innerlich verkümmern lassen. Ich litt wie ein angeschossenes Tier, weinte nächtelang still und tränenlos.

Ich zog mich zurück in eine Welt in der niemand Platz hatte. Alleine Jace kommt an mich heran. Ich muss regelmäßig zum Therapeuten weil ich nicht mehr spreche. Seit meiner Einweisung in das Krankenhaus, nachdem Mum mein Zimmer verließ und ich die Botschaft von Magnus erhielt, blieb ich stumm. Jace ist der einzige mit dem ich manchmal rede. Leise geflüsterte Worte voller Schmerz und Leid. Jia ist seit diesem Tag ein regelmäßiger Gast. Nach ihrer Schicht blieb sie immer eine Weile bei mir. Sie saß einfach nur an meinem Bett und manchmal redete sie. Aber ich antwortete nie. Und auch hier im Gefängnis kommt sie mich regelmäßig besuchen. Wir sitzen uns an dem kleinen Tisch gegenüber. Sie erzählt von ihrer Arbeit und dem Leben da draußen. Ich höre einfach nur zu und blicke mit leerem Ausdruck auf meine Hände.

Und jedes Mal erzählt sie von ihrem Neffen in Japan. Von einem jungen Mann mit schwarzen Haaren und goldenen Augen, einem bezaubernden Lächeln und gebrochenem Herzen. Und jedes Mal weine ich stumme Tränen, sie drückt meine Hand und legt einen Kuss auf meine Stirn. "Ich liebe dich. Vergesse das nie. Bleib stark." flüstert sie. Und ich weiß das diese Worte von ihm stammen. Von dem jungen Mann aus Japan. Von Magnus.

Vor vier Jahren brach unsere Welt zusammen. Seit vier Jahren sitze ich hier in diesem Loch und erfreue mich an den kleinen Dingen. Die Besuche von Jia und ihren Kuss auf meine Stirn. Mum die mir Geschichten von früher erzählt. Jace der mich zum Krafttraining begleitet, weitere Origamitiere schenkt und für mich da ist. Simon mit Izzy und dem stetig wachsenden Babybauch. An Feiertagen und meinem Geburtstag mit Gideon, mein Neffe, mein Sonnenschein. Die warme Frühlingssonne auf meiner Haut und der kalte Winterwind in meinen Haaren. Den ersten Schnee des Jahres begrüße ich immer mit einem Stich im Herzen und einem Lächeln auf dem Gesicht. Jedes Jahr steh ich im Innenhof der Haftanstalt, umgehen von hundert anderen Männer. Den Kopf in den Nacken gelegt, das Gesicht zum Himmel und die Zunge heraus gestreckt. Ich schmecke die kalten Flocken auf meiner warmen Zunge und denke an Magnus.

In Sing Sing ist allgemein bekannt, die Lightwood-Brüder sind immer für einander da. Und nach einer schweren Zeit voller Beleidigungen und Hass, Schlägereien, blutigen Nasen und gebrochenen Knochen fand auch ich meinen Platz in der Hierarchie der Strafanstalt. Neben Jace, gleichberechtigt. Heute ist ein Tag wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt habe. Ich bin nervös und fahrig. Die kleinsten Dinge wollen mir nicht gelingen und ich fühle mich beobachtet. Es ist zum verrückt werden. So habe ich mich das letzte Mal vor vielen Jahren gefühlt. An dem Abend als ich Magnus das erste Mal sah. Es ist so viele Jahre her. Wir waren so jung und unbeschwert, aber nicht frei. Freiheit ist ein großes Wort. Sie ist kostbar und selten. Und wir werden sie nie erfahren.

"Alec. Helf mir mal." Jace Stimme holt mich aus meinen Gedanken. Er liegt auf der Hantelbank und versucht verzweifelt das Gewicht zu halten. Typisch mein Bruder. Immer zeigen wer der Stärkere ist.
"Na Kleiner, wieder überschätzt?" ertönt eine Stimme rechts neben mir. Ich rolle mit den Augen und Jace schnaubt nur.
"Mach es besser Santiago." kontert Jace und ich grinse.
"Das Frischfleisch ist da."

Das interessiert mich eigentlich gar nicht. Die Wärter wollten Jace nicht sagen wer mein Neuzugang wird. Jordan ist schon eine Weile nicht mehr da. Den Luxus alleine in einer Doppelzelle zu sein hat nicht jeder. Eigentlich ist es sogar ziemlich selten. Daher genoss ich diese fünf Tage sehr. Solange er nicht schnarcht, penetrant nach Knoblauch stinkt oder sich ständig einen von der Palme wedelt ist es mir eigentlich egal wer kommt.

"Das glaube ich jetzt nicht." sagt Jace und ich schaue in die Richtung in die er blickt. Mit einem letzten kräftigen Schlag zerfällt die Mauer um mein Herz und dieses kommt laut polternd auf dem Boden auf. Es rollt über den sandigen Boden und bleibt vor den Füßen eines Mannes liegen von dem ich glaubte, ihn nie wieder sehen zu dürfen. Auch nach mehrmaligem blinzeln und Kopfschütteln verändert sich das Bild nicht. Es ist keine Fata Morgana. Es ist echt. Er ist echt.

Dort drüben am Tor, mit wild durcheinander liegenden schwarzen Haaren, erhobenen Hauptes und einem orangefarbenen Overall steht er. Magnus Bane und strahlt über das ganze Gesicht als sich unsere Blicke treffen.

Bloody soulsWhere stories live. Discover now