Kapitel 14.

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Daisy schickt einen Arzt für Jayden, der seine Wunden an den Knien behandelt. Seine Jeans ist an den Stellen aufgerissen und in Blut getränkt. Ich stehe die ganze Zeit neben ihm, während unser Tour – Arzt Mike seine Knie verbindet. Im Hintergrund höre ich, wie Daisy den anderen ein neues Spiel erklärt, aber ich bleibe nur mit dem Rücken zu ihnen stehen. Ich möchte nicht, dass sie mein Gesicht sehen, das mindestens so rot ist wie eine Tomate. Ich spüre die Blicke der anderen in meinem Rücken und ich bin mir sicher, dass mindestens die Hälfte von allen es gesehen hat, wie er gestürzt ist. Am liebsten würde ich jetzt im Erdboden versinken, vor lauter Scham.

Gerade eben habe ich noch über den Jungen, der Heather geführt hat, gelacht und im nächsten Moment ist es mir selbst passiert! Und schlimmer noch ist, dass Jayden sich deswegen verletzt hat.

Nach etwa zehn Minuten ist Mike mit Jayden fertig und wir müssen wieder zur Gruppe zurückkehren. Ich schaue die ganze Zeit auf den Boden, damit niemand mein Gesicht sehen kann. Daisy hat die anderen in zwei Gruppen unterteilt. Aus dem Augenwinkel sehe ich Heather, Kim und den blonden Jungen links von mir. Heather steht in der Mitte wie ein Brett und muss sich immer in die Arme der anderen fallen lassen. Sie fällt nach hinten und Kim fängt sie auf.

„Jayden, du gehst zu Heather, Kim und Logan,“ weist Daisy ihn zu. „Und du, Laura, gehst zu Daniel, Carter und Avery.“

Mit immer noch gesenktem Blick gehe ich zu meiner Gruppe und schaue auf dem Weg kein einziges Mal auf. „Laura!“, sagt Avery erfreut, als sie mich sieht. „Möchtest du in die Mitte?“, fragt sie freundlich.

„Nein … ich stehe lieber außen“, antworte ich. Ich möchte auf keinen Fall in der Mitte stehen und mich von den anderen hin- und herschubsen lassen. Aber ich habe Jayden schon in Stich gelassen, als er mir vertraut hat, weshalb ich jetzt kein sehr großes Selbstvertrauen habe. Ich habe Angst die anderen auch noch fallenzulassen. Aber jetzt kann ich meine Entscheidung nicht mehr rückgängig machen.

- - -

Nach einer weiteren schrecklichen Viertelstunde haben wir es endlich geschafft. Daisy lässt uns mit den 'Vertrauensspielen' in Ruhe und wir haben bis zum Mittagessen Zeit, miteinander zu reden.

Die anderen gehen zu einem der Busse, um sich dort in Ruhe unterhalten zu können. Alle – nur ich nicht. Ich entferne mich von der Gruppe und gehe alleine in den Wald. Ich weiß eigentlich selbst nicht so recht wieso, aber in meinem Inneren schreit eine Stimme danach, allein zu sein. Kurz bevor die Tour beginnt, möchte ich nochmal Kraft auftanken. Und das kann man nirgends besser als im Wald.

Also gehe ich einfach dorthin, wohin mich meine Füße tragen – zu einem großen Felsen der mit Moos bewachsen ist. Er ist etwa zwei Meter hoch und auf dem höchsten Punkt steht eine kleine Birke. Ich erkenne sie an dem glatten Stamm, der einen weißen Schimmer hat. Eigentlich sind Birken hier eher ungewöhnlich. Das Moos fühlt sich gut an, als ich es berühre - weich, ein bisschen feucht, und kühl. Ich grabe meine Finger hinein und achte nur darauf, wie es sich anfühlt. Meine Finger waren vom Herlaufen leicht verschwitzt, das Moos kühlt sie ein wenig ab. Unter der dicken Schicht kann ich leicht den kalten Stein fühlen. Ich lehne meinen Kopf an den Felsen. Ich schließe die Augen und höre nur noch der Natur zu. Ich höre die Vögel zwitschern, höre, wie die Eichhörnchen über die Äste springen. Ich weiß selbst nicht, seit wie lange ich das schon nicht mehr gemacht habe. Bestimmt sind es schon 4 oder 5 Jahre her. Aber es beruhigt mich. Das Einzige, auf das ich mich konzentrieren muss, sind die Geräusche.

- - -

Ich schrecke auf. Hinter mir hat doch gerade irgendein Ast geknackt oder? Ich drehe mich um, kann aber nichts Auffälliges sehen. Wahrscheinlich war es nur ein Eichhörnchen. Ich drehe mich wieder zum Felsen um. Ich schaue zu der Birke auf. Ich kann erkennen, wie sich ihre Wurzeln um den Felsen schlingen und sich daran festhalten.

Ich setze meinen Fuß auf einen winzigen Felsvorsprung und will mich daran hoch stützen. Doch er bricht ab und ich stehe wieder auf dem Boden. Ich versuche es nochmal – diesmal an einem anderen Felsvorsprung. Doch ich rutsche an dem nassen Moos ab.

Dann höre ich auf einmal das Knacken nochmal. Jetzt ist es näher. Schnell drehe ich mich um – und ich kann etwas erkennen: Hinter einem schmalen Baum steht eine Person – nicht einmal zwei Meter von mir entfernt. Mein Herz klopft wie verrückt.

„Ich kann dich sehen“, sage ich und versuche, meine Stimme so stark wie möglich klingen zu lassen.

Jetzt tritt die Person hinter dem Baum hervor – es ist Jayden.

„Hey...“, sagt er langsam und schüchtern.

„Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken?“, sage ich und es kommt nicht einmal halb so selbstbewusst rüber wie beabsichtigt. Eigentlich wollte ich gar nicht so unfreundlich klingen, doch im Moment kann ich nicht anders, weil ich eigentlich allein sein wollte. „Was machst du hier?“, frage ich danach leiser, streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr und mache einen Schritt auf ihn zu.

„Ich...“, beginnt er und kommt näher. „Du bist nicht mit zu den Bussen gekommen...“ Pause. „Wieso?“

„Ich … ich wollte einfach für mich allein sein...“, erkläre ich und schaue ihm kurz ins Gesicht.

Einen Moment lang sagt er nichts, dann fragt er unsicher: „Soll ich wieder gehen?“

„Nein, ist schon okay“, sage ich und schaue auf den Boden.Schüchtern füge ich noch hinzu: „Ich wollte sowieso gerade gehen...“ Eigentlich wollte ich das nicht. Aber ihm zu Liebe tue ich es.

Ich mache noch ein paar Schritte auf ihn zu, dann dreht auch er sich in Richtung Parkplatz um und wir gehen zusammen.

„Weist du …“, beginnt er. „Du musst dir keine Sorgen machen wegen meinem Sturz vorhin. Ich bin nicht sauer. Es ist doch bloß ein Kratzer“, sagt er und ich lächle ihn dankbar an. Obwohl ich genau weiß, dass es nicht 'bloß ein Kratzer' ist. Schließlich sehe ich ja, dass er humpelt. Und ich habe wirklich keine Ahnung, wieso er es wegen mir herunterspielt.

WoodkissWhere stories live. Discover now