Kapitel 48.

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Etwas Feuchtes tropft auf meinen gesunden Arm. Ich schreie ein erneutes Mal laut.

„Laura!“, ruft Heather wieder und es hört sich an, als würde etwas ihren Ruf ersticken. Der heiße Atem verschwindet aus meinem Gesicht. Mit einem Gefühl, als würde mein Herz gleich aus der Brust springen, versuche ich, aufzustehen. Doch ich werde von etwas wieder auf den Boden gedrückt. Etwas Schweres liegt auf meiner Brust und erstickt den Schrei, der gerade auf dem Weg an die Luft war. Aber, das, was auf mir liegt, fühlt sich warm an. Ist das ein gutes Zeichen oder ein Schlechtes?

Eher ein Schlechtes, denn egal ob es warm ist oder nicht – es drückt mir die Luft ab. Ich schnappe nach Luft, aber es kommt nicht viel in meine Lunge. Ich versuche, mich hin- und her zu rollen, was aber nicht sehr gut funktioniert. Das Ding, das auf mir liegt, eliminiert alle Bewegungen. Ich kann nur noch flach atmen. „Heath-“, beginne ich, doch ein gefährliches Knurren bringt mich zum Schweigen.

Von ihr kommt keine Antwort zurück und ich versuche nochmals verzweifelt, mich zu befreien. Das Ding, das auf mir liegt, ist leichter als ein Bär. Es muss also etwas anderes sein.

Und kaum habe ich zu Ende gedacht, höre ich ein lautes Bellen. Also ein Hund. In meinem Kopf erscheint ein Bild von dem Speisesaal. Dort in einer Ecke lagen zwei Hunde.

Die Luft wird immer knapper. Dass mein Herz vor Angst und Panik laut klopft, macht es auch nicht gerade besser. Mir bleibt nicht einmal genug Luft, um Hilfe zu rufen. Und ich glaube, Heather geht es genauso, denn von ihr höre ich keinen Laut mehr.

Ich hoffe, dass jemand unsere Schreie gehört hat. Aber das ist eher weniger wahrscheinlich. Die Schlafzimmer der anderen sind zwei Stockwerke unter uns. Also muss ich mich wohl selbst befreien. Immer wieder rolle ich auf dem Boden herum, aber weiter als ein paar Zentimeter komme ich auch nicht. Der Hund auf mir wiegt mindestens 40 Kilogramm und immer wenn ich mich bewege drückt er sich noch fester auf mich. Er schnürt mir die Luft noch mehr ab, sodass ich schnell aufgebe, weil ich nicht riskieren möchte, dass ich noch weniger atmen kann.

Wenn ich nur etwas anderes sehen würde, als Schwärze! Mein gesunder Arm tastet über das Parkett. Heather hat die Taschenlampe fallen lassen. Sie müsste hier irgendwo in der nähe liegen. Meine Hand kommt nicht schnell voran, weil ich nicht riskieren möchte, dass der Hund meine Bewegungen bemerkt. Zentimeter um Zentimeter schleicht meine Hand über den Boden. Doch alles, was ich spüre, ist der kalte Boden und das glatte Parkett.

Also gebe ich es auf. Es würde mich interessieren, wie das Zimmer aussieht. Es scheint, als würde hier kein Mensch drin wohnen. Haben sie etwa ein eigenes Zimmer für die Hunde eingerichtet? Ich könnte es mir vorstellen... Platz dafür haben sie ja genug.

Und plötzlich öffnet sich die Türe und wirft einen breiten Lichtspalt vom Flur herein. Eine Person steht im Türrahmen mit einer Taschenlampe in der Hand. Sie leuchtet damit kurz in den Raum hinein, bevor sie den Lichtschalter findet und Licht das Zimmer durchflutet. Es ist Benjamin, der da im Türrahmen steht.

Der Hund, der auf mir liegt, springt auf und läuft bellend auf ihn zu. Ich genieße das Gefühl, mit dem frische Luft in meine Lungen strömt. Der Hund, der Heather festgehalten hat, steht ebenfalls auf und trottet, als wäre nichts geschehen, zu Benjamin. Stöhnend richten wir uns gleichzeitig auf.

„Was macht ihr denn hier?“, fragt er seufzend und fährt sich mit einer Hand durch das kurze Haar. Seine Stimme klingt verschlafen und alles, was er trägt, ist ein langer Bademantel.

Ich sehe fragend Heather an. „Wir … wir haben uns verlaufen“, stammelt sie schnell.

„Ach ja?“, fragt Benjamin misstrauisch. „Mitten in der Nacht?“

Kurz scheint sie zu überlegen. „Ich wollte auf die Toilette. Ich habe sie im Dunkeln nicht gefunden, denn meine Taschenlampe war kaputt und deshalb habe ich Laura aufgeweckt, um mir zu helfen. Gemeinsam sind wir durch das Stockwerk geirrt und sind irgendwie in diesem Raum hier gelangt. Frag uns nicht wie wir das geschafft haben – das wissen wir nämlich selbst nicht! Es tut uns Leid!“, erzählt Heather. Ich pflichte ihr nickend bei.

„Die Toiletten sind im rechten Flügel, nicht im Linken!“ Benjamin klingt ein wenig verärgert.

„Es tut uns wirklich Leid!“, sage ich nochmal.

„Ja ist schon okay.“ Jetzt lächelt er leicht. „Dann sollte ich euch jetzt vielleicht das Badezimmer zeigen!“ Er gibt beiden Hunden einen leichten Klaps, damit sie sich in ihre Schlafkörbe legen. Sie gehorchen sofort. Mit zitternden Beinen stehe ich auf und muss sofort den stechenden Schmerz in meinem Unterarm feststellen. Jetzt, nachdem das Adrenalin aus meinem Körper gewichen ist, spüre ich ihn wieder stärker.

Heather nimmt ihre Taschenlampe vom Boden, dann folgen wir Benjamin den Gang entlang zum Badezimmer. Heather ist noch ganz blass im Gesicht, was wirklich kein Wunder ist, nach der Aktion gerade. Ich meine … auf uns lagen zwei Hunde! Irgendwie ist die Vorstellung jetzt, hinterher, leicht komisch.

„Unsere Hunde sind ausgebildete Wach- und Jagdhunde“, erklärt uns Benjamin. „Deshalb haben sie euch angegriffen. Sie haben angenommen, ihr wärt Einbrecher. Versteht ihr?“ Ich und Heather nicken nur stumm.

Er hält vor dem Badezimmer an und sagt noch: „Gute Nacht. Ich hoffe, ihr findet den weg zurück in euer Zimmer?“ Er wartet gar nicht mehr auf unsere Antwort, sondern dreht sich einfach zur Treppe um und verschwindet hinter einer Ecke.

Und dann brechen wir beide in Lachen aus. Zuerst ist es nur gedämpft, weil wir Angst haben, dass Benjamin es hören könnte. Wir lachen einfach aus Erleichterung, dass die Hunde uns nichts Ernsthaftes getan haben und Benjamin unsere Lüge nicht entdeckt hat. Dann entwickelt sich daraus aber ein stärkeres Lachen, das alle Sorgen wegspült. Es ist einfach das Gefühl, dass ich Heather jetzt vertrauen kann, das mich glücklich macht. Es tut gut, wieder zu lachen und es bewirkt, dass ich die letzten Wochen und den Absturz ein Stück weit vergessen kann.

Wir schleichen zusammen zu unserem Zimmer zurück und hoffen, dass niemand unser Lachen gehört hat. Aber eigentlich kann es mir auch egal sein. Ich kenne diese Familie hier kaum und wenn wir weiterreisen, werde ich sie nie wieder sehen.

WoodkissWhere stories live. Discover now