Kapitel 36.

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Ich bin völlig überrascht. Ich würde den Kuss erwidern, doch immer wenn ich es tun möchte, habe ich plötzlich das Gefühl, einen Fehler zu machen. Es erinnert mich zu sehr an Liam. Und trotzdem zögere ich wieder, den Kuss zu erwidern und gerade als ich es trotzdem tun will, entfernt er sich wieder von mir. „Es … es tut mir furchtbar Leid! Das wollte ich nicht!“, entschuldigt er sich und springt auf.

Völlig perplex sage ich einfach gar nichts. Das war gerade alles andere, was ich von ihm erwartet hätte. „Nein, ist schon gut! Das macht nichts!“, stammele ich zurück und stehe ebenfalls auf.

Peinliches Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Und doch bleiben wir einfach stehen. Irgendwann meint Jayden: „Ich … wir sollten jetzt gehen... Die anderen könnten sich Sorgen machen...“ Ich bezweifle, dass sie sich um mich Sorgen machen, aber ich nicke trotzdem. Schweigend entfernen wir uns von einander. Er geht in die eine Richtung, ich in die andere. Kurz vor dem Bus drehen wir uns beide nochmal um und schauen uns direkt in die Augen. Das helle Mondlicht zeichnet Schatten auf sein Gesicht.

Dann öffne ich die Türe und es ist mir egal, wie laut ich bin. Diesmal nehme ich einfach keine Rücksicht auf die anderen Mädchen, die inzwischen schon schlafen. Kaum habe ich sie wieder geschlossen, spüre ich die Wärme des Busses. Ich suche meine Isomatte auf dem Boden neben Heather und decke mich mit meinem Schlafsack zu.

Und dann fangen diese quälenden Fragen an. War es richtig, Jayden von Liam zu erzählen? Er hat nicht mit Worten reagiert, weshalb ich nicht weiß, was er jetzt denkt. Aber er hat mich geküsst! Ich frage mich, ob es etwas mit dem zu tun hat, was ich ihm vorher erzählt habe, oder ob er es einfach unwillkürlich getan hat. Und über diesem Gedanken schlafe ich ein.

- - -

Sonnenstrahlen wecken mich auf. Avery, Heather und Kim sitzen an dem Tisch im Bus und unterhalten sich leise. Leider kann ich kein Wort verstehen. Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass auf dem Tisch das Frühstück steht.

„Du bist wach“, stellt Avery trocken fest. Ich antworte nicht, sondern schäle mich aus meinem Schlafsack. „Wir fahren heute die Hälfte der Strecke nach Timmins. Wir werden an einem See, der 'Little Spring Lake' heißt, übernachten. Das heißt, wir sind wirklich von keiner einzigen Stadt umgeben, nicht einmal einem kleinen Dorf oder der Hauptstraße!“, erklärt sie mir. „Die Jungs sind schon mal voraus gefahren, um Vorräte zu kaufen, weil sie früher mit dem Frühstück fertig waren.“ Ich nicke bloß als Antwort. Sie klingt mir gegenüber immer noch sehr schroff und unfreundlich.

Während ich mein Brot esse, fügt Heather noch hinzu: „Ach ja, wir werden dort zwei Tage bleiben.“ Sie wirft mir einen abschätzigen Blick zu. Irgendwie finde ich es so langsam ein wenig kindisch, vor allem, weil es nicht bewiesen ist, dass ich die Platten überhaupt verursacht habe.

- - -

Wir bauen unser Quartier irgendwo auf einer von Autos zu befahrenen Lichtung auf. Ich bin dafür zuständig, Stühle und Tische aufzubauen. Ich erkenne noch genau die Campingstühle, auf denen ich und Jayden gestern gesessen sind. Seiner war rot und meiner blau. Heute habe ich Jayden noch nicht einmal richtig gesehen. Der Gedanke, er könnte mir aus dem Weg gehen, macht sich in meinem Kopf breit.

Wir haben Anweisungen von Andrew und Daisy bekommen, dass wir heute nur mit Dingen kochen sollen, die wir in der Natur finden. „Wir haben heute viel zu tun!“, ruft Avery quer über den Platz, die inzwischen sozusagen die 'Anführerrolle' übernommen hat. „Ich denke zwei Leute sollten frisches Trinkwasser holen und reinigen. In den Bussen sind zwei Angeln, das heißt zwei Leute müssen Fische fangen gehen. Ich weiß wie man Fisch zubereitet, also macht euch darum keine Sorgen. Vielleicht könnten die Übrigen noch Kräuter oder Früchte sammeln gehen und wenn ihr euch mit essbaren Pilzen auskennt könnt ihr auch solche sammeln. Also, wer macht was?“ Kim ist mit dem Videotagebuch beschäftigt.

Jeder sagt, was er gerne machen möchte und kaum habe ich mich für etwas entscheiden, spricht jemand anderes für mich: „Ich gehe mit Laura Angeln!“ Logan.

Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! Ich habe noch nie zuvor geangelt! Ich will gerade den Mund aufmachen, um das zu sagen, als Avery schnell fortfährt: „Schön. Wer holt das Trinkwasser?“

Ich schaue zu Logan, weil ich mich frage, warum er das so schnell gesagt hat. Aber er beachtet mich überhaupt nicht. Er starrt stur geradeaus auf den Boden. Stattdessen folge ich Jaydens Blick, den er Logan zuwirft. Seine Augen zeigen eine Mischung aus Wut und Frustration. Als sein Blick langsam zu mir wandert, schaue ich schnell weg.

Carter und Heather beschließen, das Trinkwasser zu holen. Und Daniel und Avery möchten Früchte sammeln. Jayden muss sie wohl oder übel begleiten.

WoodkissWhere stories live. Discover now