Kapitel 72.

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Ich ignoriere den Schmerz, der schlagartig meinen Unterarm durchfährt. Es war schon wieder mein rechter, verletzter Arm, weil ich in diesem mehr Kraft habe. Ich glaube, etwas krachen gehört zu haben. Ich bleibe nicht länger, um Daniels überraschtes Gesicht zu sehen. Ich drehe mich schnell um und springe von der Hängematte.

Ich lande etwas ungeschickt auf dem Boden und meine Beine werden von Schmerz erschüttert. Aber wie immer ignoriere ich es mühsam. Ich rappele mich auf. Und renne. Einfach nur weg. Von Daniel. Ich weiß nicht, was er macht. Ich weiß nicht, ob er noch in der Hängematte ist. Ich weiß nicht, ob er mir schon folgt. Aber ich weiß, dass er mich verfolgen wird.

Während ich renne, denke ich nur an Jayden. Wo ist er? Ich laufe zuerst zu den anderen, um Hilfe zu holen. Dann werde ich Jayden befreien. Ich weiß nicht, ob mein Plan so aufgeht. Aber ich weiß, dass ich schnell laufen kann. Sehr schnell, wenn ich will. Ich hoffe, dass Daniel mich nicht einholt. Ich werfe keinen Blick zurück. Ich lasse mich nicht ablenken. Die Dunkelheit macht es mir schwer. Ich habe die Orientierung verloren. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich in die richtige Richtung laufe. Aber ich schreie. Die anderen sollen aufwachen. Ich konzentriere mich darauf, nicht über eine Wurzel zu stolpern. Es macht mich verrückt, dass ich nicht weiß, wo Daniel ist. Alles, was ich höre, ist mein eigenes Keuchen und das Rascheln unter meinen nackten Füßen. Ich will nicht zurückschauen, aus Angst danach über eine Wurzel zu stürzen. Daniel könnte mich fangen, wenn ich es tue. Ein Stein bohrt sich in meine Fußsohle. Wieso habe ich nur beschlossen, ohne Socken zu schlafen?

Ich werde kurz langsamer und stöhne auf. Doch dann renne ich wieder schneller. Wahrscheinlich schneller, als ich es je gewesen bin. Ich erschrecke, als ein neues Geräusch hinter mir auftaucht. Ein wildes Keuchen. Ich muss nicht lange nachdenken, um zu wissen, dass es Daniel ist.

Und doch mache ich den größten Fehler, den ich heute tun kann. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Ich schnappe ein Bild auf, wie Daniel hinter mir her ist, wie ein wildes Tier. Er ist gerade mal fünf Meter von mir entfernt. Und er kommt näher. Verdammt schnell! Und dann passiert es. Ich übersehe ein Wurzel und stolpere darüber. Ich kann gerade noch meinen Kopf nach vorne drehen, dann schlage ich auf dem harten Boden auf. Wieder bekommt mein Unterarm alles ab. Ich schreie auf vor Schmerzen. Und dann ist Daniel über mir. Er packt mich an den Armen, wirbelt mich herum, sodass ich gerade an einem Baum lehne. Ich heule auf. Schlage mit den Armen um mich herum, doch Daniel hält mich fest. Sein Griff ist so stark, dass er mir mit seinen bloßen Händen das Blut abschnüren könnte. Er drückt seine Finger in mein Fleisch an den Unterarmen. Ich schreie wieder. Ich sehe, dass etwas ins einem Gesicht glitzert. Etwas Dunkles. Und dann weiß ich es. Als ich ihm ins Gesicht geschlagen habe, muss ich seine Nase gebrochen haben. Ich trete mit den Füßen aus und versuche, ihn von mir wegzustoßen. Doch irgendwie schafft er auch dabei, meine Beine festzuhalten. Er holt ein Seil aus seiner Tasche. Ich zappele so stark, wie ich kann. Ich weiß, dass er gleich das Seil um meine Gliedmaßen schlingen wird. Er hat Schwierigkeiten, mich festzuhalten.

„Halt still, verdammt!“, brüllt er mich an. Ich mache genau das Gegenteil. Ich zappele noch stärker und schneller. Und ich schreie. So laut, dass es sogar mir selbst in den Ohren weh tut. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Oder wie weit die anderen von uns entfernt sind. Ich schreie einfach. Daniels Finger graben sich noch tiefer in meinen Unterarm. Ich spüre, wie meine Haut aufplatzt. Warmes Blut fließt auf Daniels Finger. Aber er lacht nur darüber. Wie kann ein Mensch nur so bösartig sein? Schmerz überspült meinen Körper wie Wellen.

Er schlingt das Seil um meine Hände und knotet es fest. So fest, dass es meine Haut aufschürft. Es scheint Daniel Spaß zu machen, mich zu quälen. Ich schreie lauter. „Das bringt gar nichts!“, lacht er laut. „Schrei, so viel du willst. Es hört dich sowieso keiner!“ Für einen Augenblick höre ich tatsächlich auf zu schreien. „Falls du zu deinen Gefährten laufen wolltest – du bist in die falsche Richtung gelaufen!“

Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll. Daniel ist gut im Lügen. Er will mir nur Angst einjagen. „Lügner!“, schreie ich wieder. Daniel lacht nur abfällig. Es macht mich misstrauisch. Ich versuche, meine Hände aus der Fessel zu ziehen, doch er hat es zu fest geschnürt. Ich heule frustriert auf. Seine Worte haben Zweifel in mir gesät. Vielleicht bin ich tatsächlich in die falsche Richtung gelaufen. Und niemand kann mir helfen. Die Vorstellung lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Und doch schreie ich weiter.

„Du machst deine Stimme nur heiser. Spar dir deine Luft für später!“ Was meint er damit? Was hat er vor? Daniel schnürt das Seil um meine Füße fester. Und wieder schneidet sich das borstige Seil in meine Haut. Er greift erneut in seine Hosentasche und zieht einen Stofffetzen hervor. Er ballt ihn zu einem Knäuel zusammen und drückt mit seinen Händen meinen Mund auf. Er scheut dabei nicht, mir wehzutun. Er stopft den Stoff hinein. Ich muss würgen, weil das, was ich schmecke, wirklich nicht sehr angenehm ist. Ich schreie weiter, und es hört sich genauso an, wie Jaydens Schreie. Jayden!, ruft mein Gehirn. Wo ist er? Was hat Daniel mit ihm gemacht?

Daniel schiebt seine dreckigen Finger unter meinen Rücken und hebt mich mit seinen starken Armen hoch. Ich liege in seinen Armen wie ein kleines Kind, das unfähig ist, sich zu wehren. Ich fange an, zu zappeln, doch ich gebe es schnell wieder auf. Aus Angst, auf den Boden zu stürzen. Daniel läuft mit mir irgendwo hin. Ich sehe nur die Bäume an uns vorbeiziehen. Ein Stamm nach dem anderen passieren wir. Und ich sehe kein Anzeichen von Jayden oder den anderen. Ich würde Daniel anschreien, ihn fragen, was er vorhat. Doch ich kann nicht. Der Knebel drückt auf meine Zunge und ich muss würgen. Ich krümme mich in Daniels Griff. Und er ignoriert es. Er setzt einfach unbeirrt seinen Weg fort. Meine Wut kocht erneut auf. Und das Schlimmste ist, dass ich nichts dagegen tun kann.

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