Kapitel 49.

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Kaum habe ich mich in mein Bett gelegt, falle ich auch schon in einen unruhigen Schlaf.

Ich träume wilde Dinge. Ich renne mit Jayden durch einen hellen Wald, in dem die Blätter golden sind und von den Bäumen regnen. Die Bäume stehen weit auseinander. Er versucht, mich zu fangen und ich laufe lachend vor ihm weg. Es ist wunderschön. Bis sich plötzlich die goldenen Pflanzen in schwarze verwandeln und nicht mehr Jayden hinter mir herrennt, sondern ein böses Tier. Es sieht aus, wie eine Mischung aus einem Wolf und einem Bär. Allein diese Tatsache verwandelt den Traum noch mehr in einen Albtraum. Alles ist stockdunkel und ich laufe an immer gleich aussehenden Bäumen vorbei. Sie stehen dicht aneinander und bedrängen mich. Das Maul des Monsters schnappt oft nach mir. Es verfehlt mich jedes Mal um Haaresbreite. Es versucht, mir Schaden zuzufügen, doch ich schlage Haken und mache Bogen um die Bäume, sodass es Schwierigkeiten hat, mir zu folgen. Einmal denke ich, ich habe es abgehängt. Ich kann es nirgendwo erkennen. Ich bleibe unvorsichtig stehen. Ich bin umgeben von Dunkelheit. Der Einzige Gegenstand, der Licht abgibt, ist der Vollmond, der durch die Bäume scheint. Plötzlich nehme ich eine Bewegung hinter einem dicken Baum wahr. Das Monster macht einen großen Satz und wirft mich auf den Boden. Es steht direkt über mir und ich spüre den heißen Atem im Gesicht. Das Biest öffnet den Mund, als wollte es mir den Kopf abreißen. Es ist nur noch Zentimeter von mir entfernt.

Und dann wache ich auf. Durch ein Fenster dringt schwaches, graues Licht. Die Vorhänge sind noch halb zugezogen.

Immer noch müde erhebe ich mich aus dem Bett und werfe einen Blick aus dem Fenster. Der Himmel ist von Wolken bedeckt. Von dem Fenster aus sehe ich in nicht allzu weiter Entfernung den Wald, der in dem schwachen Licht dunkel erscheint. Das Haus der Familie „Edmonton“ steht direkt am Waldrand und etwas außerhalb der Stadt.

Ich möchte mich umdrehen und mich noch einmal ins Bett legen, als Heather aufwacht. „Du bist schon wach“, stellt sie fest.

Wir machen uns beide für das Frühstück fertig, ohne auch nur ein Wort über irgendetwas zu verlieren. Weder über letzte Nacht, noch über den kommenden Tag. Wir sind beide viel zu müde dafür. Ich spüre immer noch die letzten paar Tage in den Knochen – und das wortwörtlich. Außerdem haben wir letzte Nacht gerade mal fünf Stunden geschlafen.

Im Speisesaal hat schon jemand das Essen her gerichtet und Johanna und Ethan sitzen an dem Tisch. Helene kommt in einem seltsamen Kleid dazu und begrüßt uns freundlich. Sie scheint nichts von letzter Nacht mitbekommen zu haben. Benjamin und sein Vater fehlen, obwohl auch für sie der Tisch gedeckt ist.

Es gibt große Schalen voller Wildbeeren und Pancakes mit Ahornsirup. Das sind Platten voller Lachs und anderem Fisch und weiße Brötchen. Das erinnert mich irgendwie an zu Hause. Mum hat manchmal am Sonntag frische Eier gekocht und Speck dazu gebraten. Manchmal gab es sogar auch Pancakes. Irgendwie schmerzt es mich, an meine Familie zu denken.

Schnell schiebe ich die Gedanken an sie weg und nehme mir für heute fest vor, mir ein Telefon zu nehmen und sie anzurufen. Jetzt denke ich, ich hätte niemals an der Tour teilnehmen sollen. Wenn ich das nie beschlossen hätte, hätte ich jetzt keine Bruch im Unterarm und hätte keine Unterkühlung erleiden müssen. Ich muss plötzlich wieder an die Worte meines Dads denken. „Laura, hör zu. Mein Chef … er hat etwas vor. Ich weiß nicht genau was er tun wird, aber du musst dich in Acht nehmen. Vertraue niemandem! Er ist gefährlich!“ Genau das hat er gesagt. Die vielen Geschehnisse haben mich das in letzter Zeit fast vergessen lassen.

Was hat der Chef vor? Und wieso soll ich niemandem vertrauen? Denn das habe ich schon längst getan. Ich vertraue Heather. Und Jayden. Hat mein Dad das gesagt wegen solchen Dingen wie der Vorfall mit dem Platten? Davor habe ich Heather meine schlimmsten Gefühle anvertraut – und danach hat sie nicht mehr zu mir gehalten als ich sie wirklich brauchte. Meinte er das? Oder etwas ganz anderes? Ich weiß es nicht und ich kann auch nicht weiter darüber nachdenken, denn in diesem Moment stößt wieder jemand die Türe auf. Mit derselben Energie wie gestern Abend tritt Benjamin in den Speisesaal.

WoodkissWhere stories live. Discover now