Kapitel 37.

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Wir sitzen am Ufer auf leicht feuchter Erde und betrachten stumm unsere Angeln, deren Schnüre tief im Wasser hängen. Logan hat mir erklärt, wie der Ablauf beim Angeln ist und hat prompt einen Fisch gefangen. Jetzt sitzen wir wieder still da und wissen nicht über was wir reden sollen. Das hätte ich eigentlich nicht von ihm erwartet. Als wir durch Ottawa gelaufen sind, haben wir uns die ganze Zeit unterhalten, ohne dass uns der Gesprächsstoff ausgegangen ist. Aber jetzt wissen wir einfach nicht, wie wir anfangen sollen.

Ich hänge mit meinen Gedanken irgendwo bei letzter Nacht und frage mich ob es wohl etwas bedeutet hat. Tief in mir sagt eine optimistische Stimme, dass es ihm etwas bedeutet hat. Aber da ist ebenso eine pessimistische Stimme, die mir zuflüstert, dass er es rein aus der Situation heraus getan hat. Vielleicht um mich zu trösten? Ich erinnere mich noch genau an den Schmerz, der danach wieder in meiner Brust gepocht hat, nur weil ich mich an alle schrecklichen Dinge erinnert habe, die ich bei Liam erlebt habe... Aber ob er es gemerkt hat, dass es mir Schmerzen bereitet hat, es ihm nochmal zu erzählen? Ich könnte es mir vorstellen, schließlich hat er auch gewusst, dass ich gelogen habe, was das mit dem Grund für meine Teilnahme hier angeht.

Mein Verstand stimmt eher der pessimistischen Stimme zu, doch dann gibt es noch eine andere Stimme – tief in mir drin – die sagt, dass es nicht bedeutungslos war. Jayden würde das nicht tun. Ich weiß, ich kenne ihn noch nicht lange, aber er ist nicht oberflächlich. Er würde das nicht ohne Grund machen. Und diese Stimme klammert sich mit aller Kraft daran.

„Wir haben länger nicht mehr geredet“, sagt Logan plötzlich und reißt mich somit aus meinen Überlegungen.

„Stimmt“, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. „Das letzte Mal war sehr lustig, in Ottawa.“

Jetzt lächelt auch er. Doch so schnell wie es gekommen ist, weicht es auch wieder einem anderen Gesichtsausdruck – Frustration, mit einer Brise Schmerz. Wieso? Habe ich etwas Falsches gesagt? Oder weil wir seit einer halben Stunde hier herumsitzen und gerade mal einen Fisch gefangen haben? Oder hat es andere Gründe? Ich möchte fast fragen, was los ist, aber dann traue ich mich doch nicht.

Wieder sagt eine Weile lang niemand etwas, doch dann bekommen wir doch ein richtiges Gespräch zustande.

Mit Logan kann man über alles reden und lachen. Das habe ich auch schon beim letzten Mal herausgefunden. Plötzlich fangen wir einen Fisch nach dem anderen. Ich bin stolz, als mein erster anbeißt. Und er ist gar nicht mal so klein! Irgendwie freue ich mich darüber. Früher habe ich mich immer gefragt, ob es nicht langweilig ist, Angeln zu gehen, aber es kann mit den richtigen Menschen durchaus lustig sein. Damals habe ich es auch nie verstanden, wenn Liam mit Freunden manchmal zu einem See gefahren ist, nur um Fische zu fangen. Und daraus einen Wettbewerb zu machen, wer am Ende des Tages den größten Fisch im Eimer hat, fand ich erst recht sinnlos. Aber jetzt macht es mir sogar Spaß!

Wir sind den ganzen Vormittag über beschäftigt und am Ende haben wir sogar mehr Fische wie wir eigentlich benötigen. Das bereitet mir zwar ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass man nie mehr produzieren (oder wie in unserem Fall) fangen soll, als man braucht. Aber zum Glück werden wir heute Abend ja noch etwas zum Essen brauchen.

Wir heben gerade die vollen Eimer vom Boden auf, als Logan sagt: „Eigentlich ist es schade, dass wir nicht wenigstens einmal im See waren.“ Sehnsüchtig schaut er zum Wasser. „Ich würde gerne mal darin schwimmen. Kommst du mir?“

„Tut mir leid, aber ich möchte wirklich nicht nochmal eine Unterkühlung bekommen-“

„Das ist doch Quatsch!“, unterbricht er mich. „Es ist keine einzige Wolke am Himmel!“ Augen verdrehend schaut er nach oben. „Und außerdem ist es warm! Jetzt wird bestimmt kein Regen aufziehen, glaub mir. Und wenn doch, dann nicht so schnell. Wir sind ja auch nicht ewig im See, nur ganz kurz...“ Ganz ehrlich – er hat mich überzeugt.

„Okay“, sage ich lachend und ziehe meine Jacke aus. Ich renne mit T-Shirt und kurzer Hose los. „Wer zuerst drin ist!“

Ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen, laufe ich, doch kurz vor dem Wasser überholt er mich und springt mit einem eleganten Sprung ins Wasser. Ohne abzubremsen renne ich in das kühle Nass hinein und spritze dabei so viel Wasser auf, dass Logan, als er wieder auftaucht, noch einen Schwall Wasser in den Mund bekommt. Wir beide müssen heftig lachen und er fällt dabei sogar rückwärts ins Wasser.

Wir bleiben länger darin, als wir eigentlich geplant hatten. Nach wildem Herumspritzen und ins Wasser tauchen, bleibt er plötzlich stehen. „So viele Fische!“, staunt er. Zuerst weiß ich gar nicht, was er meint, doch dann folge ich seinem faszinierten Blick durch die Wasseroberfläche aus seine Füße. Und da sehe ich es: Zwischen unseren Beinen schwimmt ein ganzer Schwarm an Fischen! Das Wasser geht mir gerade mal bis zur Hüfte und die Tiere scheinen fast den ganzen Raum zwischen Boden und Wasseroberfläche auszufüllen. Sie kitzeln mich an den Beinen und ich zucke vor Schreck zurück. Das, was danach passiert, ist wirklich faszinierend. Wie eine Welle reagieren die Fische auf meine plötzliche Bewegung. Alle Fische bewegen sich etwa zehn Zentimeter von mir weg. Kaum stehe ich wieder still, kommen sie wieder näher.

„Bleib stehen und versuche, dich nicht zu bewegen!“, sagt Logan lachend.

Während man die Tiere, dessen Haut im Licht der Sonne so wunderschön glitzern, beobachtet, scheint es fast, als wären sie ein einziges großes Tier. Sie richten sich immer nach den anderen aus! Immer wenn sich auch nur ein einziges Mitglied dieses großen Lebewesens bewegt, machen die anderen dieselbe Bewegung. Die Tiere bleiben ewig bei uns. Und wir bei ihnen. Ich spüre sie überall. An meinen nackten Schienbeinen. Wenn ich keine Fingerspitzen ins Wasser halte, kommen sie angeschwommen. So kenne ich Fische gar nicht! Ich dachte immer, sie wären furchtbar scheu, das hier ist alles andere, was ich erwartet hätte! Anfangs hatte ich Angst vor diesen wundervollen Tieren, jetzt möchte ich gar nicht mehr hier weg!

Während ich so die Fische beobachte, fällt es mir fast nicht auf, wie dicht Logan an mir steht. Er hat lange Zeit nichts gesagt, hat mich nur die Fische anschauen lassen. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er näher zu mir gekommen ist. „Ich habe euch gesehen“, sagt er ganz plötzlich. Was meint er? „Dich. Und-“ Der Name scheint ihm schwer über die Lippen zu kommen. „Jayden.“ Als ich nicht reagiere, redet er weiter: „Gestern Nacht.“ Mehr bekommt er nicht zustande. An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, wie wütend er ist. Sehr wütend. Es ist klar, dass er den Kuss meint.

Ich weiß nicht, was ich jetzt darauf sagen soll. Am liebsten würde ich ihn trösten, ihm sagen, dass es nichts bedeutet hat. Aber das würde dann gegen das sprechen, was ich eigentlich hoffe.

Ich bin seinem Blick nur kurz ausgewichen, doch als ich wieder aufschaue, passiert wieder etwas, was mich überrascht. Logan streckt zuerst seine Arme zu mir aus, dann zieht er mich nah an sich und drückt dann seine Lippen auf meine. Oh nein, denke ich nur. Langsam schiebe ich ihn von mir weg. Gleichzeitig tut es mir auch irgendwie Leid, aber es hat sich nicht richtig angefühlt.

„Es tut mir Leid“, murmelt er betreten und schaut auf das Wasser um uns herum. Und wieder entsteht dieser peinliche Moment, in dem niemand weiß, was er sagen soll.

„Lass uns gehen!“, meine ich und versuche, so zu klingen, als wäre nichts passiert. Langsam waten wir durch das Wasser ans Ufer, ohne ein Wort zu sagen.

Und das Schweigen hört auch nicht auf, als wir wieder zum Bus gehen.

Ich denke nach. Ich war überrascht über Logans Kuss. Aber jetzt erinnere ich mich wieder daran, wie schnell Logan gesagt hat, dass er mit mir Fischen gehen möchte. Und der Ausdruck von Frustration und Schmerz in seinem Gesicht, als ich ihn daran erinnert habe, wann wir zuletzt richtig geredet haben. Aber ich habe es nur für Freundschaft gehalten, nicht für … mehr.

WoodkissWhere stories live. Discover now