Kapitel 46.

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„Vielleicht“, sage ich nur und zucke mit den Schultern.

Kurz schweigen wir beide, dann beginnt sie wieder: „Als du die Unterkühlung hattest...“ Sie macht eine kurze Pause. „Du warst ewig bewusstlos und Jayden hat die ganze Zeit an deinem Bett gewartet, bis du wieder aufwachst, obwohl er selbst noch total geschwächt war. Die Ärzte sagten, er solle sich selbst erst mal hinlegen, aber er hat solange gefragt und nachgehakt, bis er bei dir bleiben durfte.“

„Das hat er getan?“, frage ich verwundert, doch dann fällt mir wieder ein, wie ich neben ihm aufgewacht bin. „Wieso?“, hauche ich, obwohl ich die Antwort wahrscheinlich sowieso schon kenne.

„Ich schätze mal, er mag dich!“, grinst Heather. Da waren so viel Momente zwischen uns, die dafür sprechen würden. Der Kuss, das Warten bis ich aufwache, die Gespräche. Jayden zeigt mir, dass er da ist, wenn ich ihn brauche. Er ist mir in allen schwierigen Situationen beigestanden.

Und plötzlich muss ich ihn mit Liam vergleichen. Er ist anders wie er, auf jeden Fall. Er ist … aufbrausender, wenn er wütend ist oder auch ein wenig romantischer. Liam war viel gelassener, ausgeglichener. Jetzt, nachdem er mich verlassen hat, frage ich mich manchmal, ob er nur deshalb so gelassen war, weil er die Gefühle vertuschen wollte, die er wegen seinem Vater hatte. Und ob er nur schüchtern war, weil er seine Gefühle nicht zeigen wollte. Erst als ich das nicht wollte, was er mochte, hat er sich geöffnet.

Ein stechender Schmerz durchfährt meine Brust und ich schiebe die Gedanken sofort wieder weg.

Den restlichen Nachmittag verbringen ich und Heather auf unserem Zimmer. Wir sprechen über Gott und die Welt und sie bringt mich wieder zum Lachen. Und kurz vor bevor uns der Butler zum Abendessen ruft, erzählt sie mir plötzlich, dass sie Carter sehr gerne mag. „Aber da ist auch noch Avery. Hast du ihre Blicke gesehen, die sie Carter zuwirft?“ Ihre Stimme trieft auf einmal vor Eifersucht.

„Avery und Carter?“, frage ich skeptisch. „Die ärgern sich doch bloß gegenseitig...“

Heather zuckt mit den Schultern, dann stößt sie die Türe zum Speisezimmer unserer Gastfamilie auf. Wieder ist das erste, was mir auffällt, die vielen ausgestopften Tiere, die in allen Ecken stehen.

Eine Frau und ihre Kinder sitzen bereits an einem Tisch, der mit seinen vielen Verschnörkelungen und dem dunklen Holz aussieht als wäre er uralt. Vier Plätze sind noch frei. Heather und ich setzen uns einfach auf die zwei Stühle gegenüber der Frau. Trotzdem sind immer noch zwei Stühle frei. Einer ist neben mir und der andere am Tischende, das etwa zwei Meter von mir entfernt ist. Der Tisch erinnert mich irgendwie an diese ewig langen Tafeln, die man manchmal in Filmen sieht.

In einer Ecke des Speisesaals liegen zwei gewaltig große Hunde auf einem Kissen. Ich vermute, es sind Bluthunde, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Der Butler serviert uns das Essen, das heute streng nach dem Motto „japanisch“ geht. Es gibt Sushi mit einem seltsam schmeckenden Fischsalat. Der Butler hält mir Stäbchen hin, mit denen man Sushi normalerweise ist, aber irgendwie ist es mir lieber, es mit einer gewöhnlichen Gabel zu essen. Heather macht es genauso. Ich muss die Gabel in der linken Hand halten, weil ich im rechten Arme in wenig unbeweglich bin, wegen dem Gips.

Die Mutter, die Ärztin ist, erzählt uns, dass ihr Mann tatsächlich Jäger ist und all die ausgestopften Tiere selbst gejagt und präpariert hat. Die Kinder – Ethan und Johanna, laufen in Klamotten herum, die vielleicht höchstens meine Großeltern in ihrer Kindheit noch getragen haben. Seltsam, aber außer dem ungewöhnlichen Stil, in dem das Haus eingerichtet ist und die Klamotten der Kinder, sind sie ganz normal. Ethan ist gerade zwölf Jahre alt geworden, erzählt uns die Mutter, welche Helene heißt, und Johanna ist zehn Jahre alt. Das Mädchen durchlöchert ihre Mutter immer wieder mit der Frage, wo ihr Vater und Benjamin bleiben. Ich weiß nicht, er Benjamin ist, aber eigentlich interessiert es mich auch gar nicht. Vielleicht meint sie ja ihren Bruder.

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