Kapitel 62.

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Heather vergräbt das Gesicht in den Händen und schluchzt. Mir entfährt nicht weiter, als ein langgezogenes: „Oh!“

Und jetzt wird mir alles klar. Wenigstens ein Teil meiner Fragen klärt sich. Jayden hat mir etwas von Daniels Familie erzählt. Er hat erwähnt, dass er eine Stiefschwester und einen Stiefbruder hat. Wahrscheinlich meinte er Heather und Seth, ihr echter Bruder.

„Wieso hat Daniels Vater dich nicht auch mitgenommen?“, frage ich ruhig. Ich verstehe, warum Heather so enttäuscht ist. Wahrscheinlich möchte sie genauso gerne hier weg wie alle anderen.

Sie fährt sich mit dem Handrücken über die Nase. „Wir verstehen uns nicht sonderlich gut. Meine Mum, die er geheiratet hat, ist vor zwei Jahren gestorben. Seitdem hat er einen Hass auf mich und Seth. Wir wissen beide nicht den Grund dafür, aber es hat irgendetwas mit unserer Mum zu tun. Wahrscheinlich war sie die einzige Person, die er je in seinem Leben wirklich geliebt hat. Wir sind beide nicht einmal mit Clint verwandt. Meine Mum hat ihn erst geheiratet nachdem...“ Sie macht eine Pause. Es fällt ihr schwer weiterzusprechen. „Seit sie tot ist … Ich glaube Clint gibt uns die Schuld an ihrem Tod.“ Clint, so heißt wahrscheinlich der Chef. „Er tut alles, um uns das Leben schwer zu machen. Ich weiß nicht einmal, warum er uns überhaupt bei sich zu Hause aufgenommen hat. Wahrscheinlich tut er es aus Liebe zu unserer Mutter... Mich hat er gezwungen, hier teilzunehmen, obwohl ich mich dagegen gesträubt habe. Er hat Seth zum zweiten Moderator gemacht, obwohl das sein schlimmster Albtraum ist, vor der ganzen Nation zu sprechen. Clint hat Mason und Kate auf uns angesetzt, damit sie uns fertig machen. Das weiß ich.“ Ich vermute, dass Kate und Mason ihre Stiefgeschwister sind. Ich bin ein wenig sauer auf Heather, weil sie mir das nie erzählt hat, aber ich halte jetzt lieber meinen Mund. Ich frage mich, wie Daniel und Heather es geschafft haben, das so lange vor den anderen geheim zu halten. Und wieso.

Die Fragen brennen mir schon auf der Zunge, aber ich stelle trotzdem eine andere: „Was ist mit deinem echten Vater?“

Sie schaut mich mit schmerzerfüllten Augen an: „Ich kenne ihn nicht. Zwei Monate nach meiner Geburt ist er abgehauen und seitdem nie wieder aufgetaucht.“

Wir schweigen eine Weile, dann stelle ich die Fragen, weil ich es nicht mehr aushalte: „Wie habt ihr es geschafft, die Tatsache, dass ihr Geschwister seid, so lange vor uns geheim zu halten? Und wieso?“

Heather holt tief Luft, dann beginnt sie wieder: „Es war nicht meine Idee, ein Geheimnis daraus zu machen. Daniel hat mich erpresst. Er sagte, es wäre eine Schande für ihn, wenn die gesamte Nation wüsste, dass ich seine Stiefschwester bin. Er hat gedroht, dass er, wenn ich es irgendjemandem erzähle, Clint veranlassen wird, dass mir etwas Schlimmes passiert. Er hat nichts Genaueres gesagt, aber es hat gereicht, dass ich genug Respekt vor ihm habe. Ich weiß, dass Clint sofort auf Daniel hören würde. Eigentlich ist eher Daniel der Vater, als Clint!“, schnaubt sie verachtend. Ich erinnere mich an das Gespräch mit Daniel im Wald gestern. Vielleicht war es ja doch nicht seine Schwester oder sein Bruder, mit dem er geredet hat, sondern sein Vater. Aber das ist jetzt auch egal. Er ist weg. „Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt mitgekommen wäre. Als ich heute morgen mit Daniel darüber gesprochen habe, hat er mir erklärt was Clint vorhat. Also, dass er ihn abholen möchte. Und mich dabei nicht mitnehmen möchte. Zuerst war ich enttäuscht und wütend, doch jetzt erkenne ich, dass ich eigentlich nicht mitkommen möchte. Wenn ich von der Tour nach Hause komme, nehme ich mir eine eigene Wohnung mit Seth.“ Das Wort 'nach Hause' betont sie seltsam.

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, deshalb versuche ich einfach nur, sie zu trösten und sage nichts. Nach einer schweigenden Minute, beginnt sie wieder: „Daniel … Er hat mit heute gedroht, dass er mich eigenhändig umbringen würde, wenn ich irgendjemandem davon erzähle … Aber jetzt ist er ja nicht hier, oder? Deshalb werde ich dir jetzt etwas erzählen...“ Ich glaube der Drohung von Daniel. Bevor er abgehauen ist, hätte ich es vielleicht noch für Quatsch gehalten, aber jetzt würde ich es ihm zutrauen. Schließlich hat er den Piloten auch umgebracht. Ich warte gespannt darauf, was Heather zu sagen hat. Bei einer solchen Drohung muss es etwas Wichtiges sein. Doch sie macht einen Rückzieher: „Ach, vergiss es! Ist nicht so wichtig...“ Ich glaube ihr nicht. Sie will aufstehen, doch ich ziehe sie an einem Arm zurück.

WoodkissWhere stories live. Discover now