Kapitel 74. (Lauras Sicht)

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Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Irgendwann, auf dem langen Weg, den Daniel mit mir zurückgelegt hat. Irgendwann ist es heller geworden. Die Sonne ist aufgestiegen. Hat mich aufgeweckt. Und erst dann habe ich gesehen, wo ich bin. Über mir ist eine graue Decke. Wie in einem Auto. Es erinnert mich an den Bus. Ich drehe meinen Kopf links und bemerke, dass jemand den Knebel aus meinem Mund genommen hat. Nur meine Hände und Füße sind noch gefesselt. Ich liege auf einer harten Matratze, die trotzdem das Gemütlichste ist, auf dem ich in den letzten Tagen geschlafen habe. Und dann erkenne ich, dass ich tatsächlich in einem Bus liege. Ich weiß nicht, ob es wirklich der ist, mit dem wir auf Tour waren. Ich setze mich mühsam auf und bemerke die Schmerzen, die meinen Körper beherrschen. Ich bin wie eingesperrt in dem Bus. Vor mir ist wie in einem Gefängnis ein Gitter angebracht, das mich wahrscheinlich daran hindern soll, auszubrechen. Aber wohin soll ich überhaupt gehen? Im Fahrerhaus sind welche. Die Gitterwand hat eine Tür, durch die ich vielleicht ins Fahrerhaus klettern könnte. Wenn ich mich von den Fesseln befreien könnte, könnte ich versuchen, hier raus zu kommen.

Mein Blick fällt auf meinen rechten Unterarm. Der Gips ist aufgebrochen und es geht ein höllisches Stechen davon aus. Getrocknetes Blut umrahmt mein Handgelenk. Es ist die Stelle, wo Daniel seine Finger hineingegraben hat.

Die Wut kocht wieder in mir auf. Wo ist er?, schreit mein Gehirn. Ich versuche wild, meine Hände aus der Fessel zu befreien. Doch es funktioniert nicht. Frustriert heule ich auf. Ich bin völlig am Ende. Mich quälen die Gedanken an Jayden und die anderen. An meine Familie. Und an Daniel.

Ich schaue aus dem kleinen Fenster, durch das die Sonne mich blendet. Aber das ist auch schon das einzige Licht, das hier rein fällt. Zumindest in meinen Teil. Im Führerhaus sind noch Fenster. Ich versuche, einen Blick nach draußen zu spähen. Aber mit den gefesselten Armen und Beinen fällt es mir schwer. Ich kann fast nichts erkennen, außer einer glitzernden blauen Fläche, die aussieht wie ein Fluss oder See.

Meine Augen suchen nach irgendeinem spitzen Gegenstand, mit dem ich das Seil durchtrennen könnte. Aber außer der harten Matratze und einer Decke gibt es nicht mehr zu sehen.

Und wieder versuche ich, mich zu befreien. Ich hebe meine zusammengebundenen Hände an meinen Mund und schlage meine Zähne in das kratzige Seil. Wahrscheinlich bringt es sowieso nichts... Aber ein Versuch ist es trotzdem wert. Es ist mindestens zwei Zentimeter dick. Es müsste ein Wunder sein, wenn ich mich da durchbeißen könnte. Aber ich mache trotzdem weiter. Einerseits aus Langeweile und andererseits könnte es mir vielleicht wirklich etwas bringen. Doch das ist ein großes vielleicht.

Ich kämpfe mit dem Seil, bis mein Zahnfleisch ganz wund gescheuert ist. Ich schmecke Blut. Bis dahin habe ich etwa die Hälfte davon durchtrennt. Ich reiße mit meinen Händen daran. Aber es bringt nichts.

Und dann höre ich Geräusche von außen. Es klingt, als würde jemand ein Wort schreien. Aber ich verstehe es nicht. Ich versuche, wieder einen Blick durch das Fenster zu werfen, aber ich kann nichts erkennen. Nur ein paar Bäume. Aber keine Personen. Ich setzte mich wieder auf die Matratze zurück. Und genau in diesem Moment öffnet sich die Türe im Fahrerhaus. Ich erkenne sofort an dem schwarzen Haarschopf, wer es ist.

„Daniel!“, zische ich wütend. Das Lachen, das darauf folgt, lässt mir einen Schauer über den Rücken wandern.

„Du bist aufgewacht“, stellt er fest. Daniel klettert über den Fahrersitz und kommt auf die Türe in der Gitterwand zu. Ich beobachte, wie er einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche zieht. Er steckt einen Schlüssel in das Loch in einem dicken Schloss und ich höre das Knacken. Langsam öffnet er die quietschende Türe. Als ich in sein Gesicht sehe, erkenne ich die Spuren von meinem Schlag. Er hat das Blut um seine Nase herum bereits abgewischt, aber sie ist in eine seltsame Position gerutscht.

WoodkissWhere stories live. Discover now