Kapitel 57.

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Mir ist von dem „Mittagessen“ so schlecht geworden, dass ich ohne Abendessen (was sowieso nur ein paar übrige Beeren gewesen wären) zu Bett gegangen bin. Oder besser gesagt, in die Hängematte. Es war unbequemer als ich erwartet hätte, sodass ich zuerst nicht eingeschlafen bin. Das lag vielleicht auch ein wenig an den Gedanken, die mich wach hielten. So sehr ich es versucht habe, ich konnte sie nicht abstellen. Immer wieder spukten die Erinnerungen an das seltsame Gespräch von Daniel in meinem Kopf herum. Er möchte also, dass die Person, mit der er gesprochen hat, ihn irgendwo rausholt. Ich war mir sicher, dass er die Tour meinte. Aber wieso? Er sagte, er hielte es nicht mehr aus. Meinte er damit die Tour? Natürlich, ich wäre auch lieber zu Hause, als hier irgendwo auf einem Fluss, von dem ich nicht einmal den Namen kenne. Aber dass er es so schlimm findet hätte ich nicht gedacht. Und mit wem hat er überhaupt gesprochen? Ich könnte mir vorstellen, dass er mit jemand aus seiner Familie geredet hat. Er war mit dieser Person umgegangen, als würde er sie herumkommandieren. Ich glaube nicht, dass er so mit seinem Vater sprechen würde. Vielleicht hat er Geschwister? Aber ich denke nicht, dass diese ihn aus der Tour herausholen könnten... Sein Vater ist der Chef der Tour. Er hat viel Macht darüber, was mit uns geschieht. Vielleicht haben dann auch seine Geschwister viel Einfluss darauf. Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, war es die beste Lösung, die mir einfiel.

Jetzt sitze ich hier allein im Morgengrauen auf einem Stuhl, in eine Decke eingewickelt, auf unserem Floß, das an einem Ufer liegt. Der Himmel ist noch grau, aber es ziehen sich blaue Streifen hindurch. Ich hoffe, dass heute die Sonne scheinen wird. Während ich so den Himmel beobachte, werden meine Lider schwer und sie wären fast wieder zugefallen, wäre ich nicht durch ein plötzliches Geräusch erschrocken.

Ein lautes Brummen, wie von einem Hubschrauber oder einem kleinen Flugzeug, unterbricht die angenehme Stille. Verwirrt schaue ich zum Himmel auf, sehe jedoch nichts. Das Geräusch klingt sehr nah. Als würde jederzeit ein Flugzeug hinter den hohen Bäumen auftauchen, die am Ufer wachsen. Doch das Geräusch wird immer leiser, bis es schließlich ganz verstummt.

Ich sinke wieder zurück in den Stuhl, kann aber nicht lange still sitzen, ohne etwas zu tun. Ich habe das plötzliche Bedürfnis, mich nützlich zu machen. Ich könnte zum Beispiel nach etwas Essbarem suchen.

Ehrlich gesagt bin ich es langsam Leid, Tag für Tag für mein Essen zu sorgen. Wenn es zur Abwechslung wenigstens mal etwas Fleisch gäbe... Aber niemand von uns weiß, wie man richtig jagt und ich möchte auf keinen Fall ein Tier töten! Ich weiß, dass wir das die ganze Zeit bei den Fischen getan haben, doch da war es irgendwie anders. Wenn ich zum Beispiel ein Eichhörnchen töten würde, hätte ich ein schlechteres Gewissen als bei einem Fisch. Obwohl es im Grunde dasselbe ist.

Plötzlich taucht ein Bild des Buches auf, welches wir von dem Fernsehsender bekommen haben. Vielleicht steht da etwas Brauchbares über das Jagen drin. Aber dann fällt mir ein, dass wir das einzige Exemplar, das wir hatten, im Bus gelassen haben.

Ich hole einen Korb aus der Hütte, dann mache ich mich auf den Weg in den dichten Wald, in dem schon die ersten Vögel zwitschern. Es hat etwas Beruhigendes an sich.

Ich trotte nicht weit vom Ufer entfernt auf dem sandigen, mit Blättern bedeckten Boden herum und finde einfach nichts, das man als Essen hätte durchgehen lassen können. Wieder einmal denke ich, dass ich das Buch hätte lesen sollen. Vielleicht hätte ich dann mehr Glück gehabt...

Frustriert halte ich an einem großen Ahornbaum mit dicken Ästen an und lehne mich an den starken Stamm. Bis auf ein paar Bucheckern liegt nichts in meinem Korb. Meine Mum hat einmal gesagt, dass Bäume viel Energie haben und sie sogar an uns Menschen abgeben können, wenn wir ihnen nahe sind. Ich hoffe das sehr, denn diese Energie könnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen! Langsam rutsche ich an dem Stamm hinunter, bis ich auf dem leicht feuchten Boden sitze.

WoodkissWhere stories live. Discover now