Kapitel 78. (Lauras Sicht)

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Jemand ruft meinen Namen. Ich hebe meinen Kopf von den Knien. Mein Herz macht einen wilden Hüpfer, kaum sehe ich, wer nach mir gerufen hat.

Jayden rennt auf mich zu, schlittert über den Boden und fällt mir in die Arme. Ich flüstere seinen Namen und breche in ein Schluchzen aus. Ich sehe die Augenringe unter Jaydens Augen. Seine Augen sind halb geschlossen. Er muss müde sein.

Wir liegen minutenlang in unserer Umarmung und ich bin froh, ihn wieder zu haben.

Irgendwann räuspert sich Max und wir lösen uns sanft voneinander. Ich sehe etwas erstaunt, dass auch in Jaydens Augen Tränen glitzern.

„Ist die Wirkung der Tropfen abgeklungen?“, fragt Max an mich gewandt. Ich habe ihm bereits alles erklärt, aber wenn er es noch einmal hören möchte... Er hat mich früher gefunden wie Jayden. Mein Blick wandert über Max' Softshelljacke und plötzlich fällt mir eine Erhebung an einer Brusttasche auf. Als würde er darin etwas Spitzes, Längliches verstecken.

„Fast. Mir ist noch ein wenig schwindlig und schlecht. Ich kann noch nicht so ganz klar denken. Das Denken fällt mir schwer. Aber es geht schon besser“, antworte ich und wende meinen Blick nicht von Max' Brusttasche ab. Mein Verstand ist einfach noch zu benebelt... Ich erkenne eine kleine Öffnung in der Tasche, aus der etwas schwarzes hervorlugt. Ich weiß nicht, was es ist, aber plötzlich bewegt sich wie von Geisterhand mein Arm zu Max. Als ich es bemerke, ziehe ich ihn schnell wieder zurück. Max mustert mich nur komisch und zieht die Augenbrauen hoch.

„Das ist gut. Du sagtest, dass du hier her gelaufen bist, um nach Essen zu suchen.“ Ich fange einen seltsamen Blick von Jayden auf. „Und dass es das Einzige ist, an das du dich erinnern kannst. Richtig?“

Ich nicke ernst. Eigentlich war da noch mehr. Ich erinnere mich an die Drohungen von Daniel. Dass ich Ärger bekommen werde, wenn ich nicht das tue, was er von mir will. Er sagte, er würde Jayden etwas antun, wenn ich jemandem davon erzähle. Ich glaube ihm, dass er es tun würde. Deshalb tue ich einfach, das, was er verlangt. Dann finde ich noch ein paar dunkle Erinnerungen an verschwommene Bäume. Dann bin ich zusammengebrochen und irgendwann bin ich einmal aufgewacht, als mich irgendjemand getragen hat. Mehr ist da nicht. Aber das sage ich Max nicht. Dann gibt es noch Erinnerungen, bevor ich die Tropfen geschluckt habe. Wie Daniel einfach mitten in der Nacht vor meiner Hängematte aufgetaucht ist. Er sagte, er wolle mich irgendwo hinbringen. Daniel hat mich gefesselt und mich bis zu dem Bus getragen. Ich habe den meisten Weg über geschlafen. Aufgewacht bin ich in diesem Bus, in dem Daniel mich von den Fesseln befreit hat. Ich kann immer noch nicht klar denken. Die Tropfen machen mein Gehirn ganz benebelt. Ich sehe nur die Erinnerungen, kann aber nichts damit anfangen.

„Aber wieso bist du so weit gelaufen?“, fragt Max verwirrt. Jayden schaut mich mit einer seltsamen Mischung an.

„Ich…“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meine Augen huschen von Max zu Jayden und wieder zurück. Ich sehe an Max' Augen, dass ihn die Frage genauso brennend interessiert wie Jayden. Soll ich lügen? Ich halte es für klüger, also stammele ich hilflos: „Ich habe nichts gefunden...“

„Stopp!“, ruft Jayden laut. „Du bist nicht hier her gekommen, um Essen zu suchen! Daniel hat dich entführt! Richtig?“ Ich schaue ihn mit großen Augen an. Ich sehe von ihm zu Max und wieder zurück. Ich weiß, dass er daran denkt, wie Daniel mich dazu gebracht hat, aus der Hängematte zu kommen. Er hat ja alles gesehen. Aber dann muss ich mich wieder an Daniels Drohungen erinnern. Wenn die Tropfen mich nicht so außer Gefecht gesetzt hätten, würde ich vielleicht die Wahrheit erzählen. Aber jetzt hallen nur noch Daniels gefährliche Worte in meinem Gehirn wieder.

„Nein, nein!“, rufe ich laut. „Ich habe nach Essen gesucht.“ Dazu nicke ich wieder übertrieben. Ich spüre, dass die Wirkung der Tropfen bereits nachgelassen hat, aber ich merke sie dennoch.

Jayden zieht nur die Augenbrauen hoch. Er bemerkt, dass ich jetzt nicht darüber reden will. Max fragt an Jayden gewandt: „Hast du gelogen, als du uns erzählt hast, dass Daniel sie entführt hat?“ Er spricht leise, aber ich höre ihn trotzdem.

„Nein!“, zischt Jayden zurück. „Ich weiß auch nicht, was sie meint! Was hat er mit ihr gemacht?“ Er wirft einen kurzen Blick zu mir. Max zieht die Augenbrauen hoch, als würde er Jayden nicht glauben.

Dann sagt er etwas, das ich nicht gut verstehen kann, aber es hört sich an wie: „Du brauchtest doch nur wieder Aufmerksamkeit!“ Ich sehe nur noch Jaydens Reaktion, wie er die Augen zusammenkneift. Dann zieht Max mich an den Armen nach oben und ich schreie auf, weil er meinen gebrochenen Arm erwischt hat. Genervt lässt er los. Zum ersten Mal war er ein wenig durch die Tropfen betäubt gewesen und Max macht alles wieder kaputt. „Wir sollten zurück zu Heather. Sie wartet schon ewig!“ Seine Stimme ist kaum mehr ein Zischen. Warum ist er so wütend? Mein Gehirn kann sich nichts zusammenreimen.

Jayden und ich lassen Max vor uns laufen. Erst als er etwa 30 Meter von uns entfernt ist, spricht Jayden: „Laura. Ich weiß, dass du lügst. Was ist passiert?“ Wieder sehe ich ihn nur mit großen Augen an. „Was ist nur mit dir?“, ruft er verwirrt. Ich kann nicht antworten, denn genau in dem Moment, in dem ich meinen Mund öffnen will, überkommt mich ein neuer Schwindel. Ich kippe nach vorne und Jayden reagiert gerade noch schnell genug, um mich kurz bevor ich auf dem Boden aufschlage, festzuhalten. Ich liege in seinen Armen und wir schauen uns kurz in die Augen. Ich sehe die Verwirrung darin. Er stellt mich wieder aufrecht hin und fragt: „Geht es wieder?“ Ich nicke bloß.

Die Frage von davor habe ich schon komplett vergessen. Mein Gehirn fühlt sich stattdessen wie leergefegt an. Als wäre alles, was ich jemals gedacht habe, wie weggeblasen. Plötzlich fallen mir die Augen zu und ich stürze mit geschlossenen Augen wieder zu Boden. Diesmal ist Jayden nicht schnell genug und ich pralle mit dem gesamten Körper auf. Und dann werde ich bewusstlos.

WoodkissWhere stories live. Discover now