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Rain

Ich hatte es wirklich vergessen. Ich war so beschäftigt mit den Vorbereitungen gewesen, dass ich es einfach vergessen hatte. Das war noch nicht einmal gelogen gewesen.

Ich war an dem Abend, an dem die Erwählten bekanntgegeben wurden, noch einmal in die alte Kletterhalle gegangen und geübt. Ich wollte in Form bleiben. Dann bekam ich einen Anruf von Cohen, dass ich zu dem Gesandten des Königshauses, der zu uns kam, und mit mir die Einzelheiten des Castings zu besprechen, möglichst ehrlich sein sollte.

Dann hatte ich im Briefkasten Informationen über Prinz Jemirah gefunden, die ich laut Cohens Auftrag sorgfältigst durchgehen sollte.

Und dann hatte ich... was noch mal getan? Egal.

Wir waren so mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen, dass wir es unmöglich geschafft haben, mich ein wenig netter zu gestalten.

Und das war ein wirkliches Problem. Ich schaffte es schlichtweg nicht nett zu sein, einen Mangel, den Cohen öfters betont hatte. Eine meiner größten Fehler war es, mich nicht zurückhalten zu können.

Da ich noch nie in meinem Leben Fernseher geschaut hatte, konnte ich auch absolut nichts über Jemirahs Persönlichkeit sagen. Laut ein paar Dreier Mädchen, die ich in der Schule belauscht hatte, war er DER TRAUMPRINZ; OMG HABT IHR SEINE FIGUR GESEHEN??!?

Das half mir hier absolut gar nichts.

Heute war der Gesandte vom Königshaus gekommen. Es war alles okay gewesen, die Sachen, die er mir mitteilte, hatte ich von Cohen schon eingebläut bekommen.

Als der Mann mich fragte, ob ich noch Jungfrau war, blieb mir nichts anderes übrig, als es zu verneinen. In den Kasten Sieben und Acht, gab es keine Frauen unter Sechzehn, die noch Jungfrau waren. Das war unser Fluch, es würde immer unser Fluch bleiben. Wie hatte Georgia mich bezeichnet? Als eine kleine miese Schlampe?

Ich gebe es ja zu: Ich war eine kleine miese Schlampe.

Daraufhin hatte er missmutig geschaut.

Er reichte mir ein Formular, wo ich schwören musste, dass meine einzige Gunst dem Prinzen galt. Ich unterschrieb, ohne eine Wimper zu zucken.

Natürlich hätte ich auch nein sagen können. Aber Cohen hatte so viel für uns getan, und ich ließ keine Schuld unbeglichen. Und es war eine Möglichkeit, einige Dinge aus meiner Vergangenheit... gut zu machen.

Ich würde versuchen, so lange wie möglich im Palast zu bleiben, den Standort der Informationen zu lokalisieren, und...

Und Was? Ich wusste es nicht. Ich schob den Gedanke beiseite und begann weiter meine Sachen zu packen. Ich nahm nicht viel mit. Was denn auch? Bücher oder so was besaß ich nicht, meine Kleidung war scheußlich. Also stand ich nach fünfzehn Minuten da, mit einer kleinen Handtasche, die ein Familienfoto, ein paar persönliche Erinnerungen und eine Packung Taschentücher beinhaltete, sowie ein paar Tabletten und natürlich die Wanzen und das ganze Gerätezeug, hatte ich in die etwas größere Tasche gepackt.

◇✵◇

Zur Probe hatte ich meine abgetragenen Schuhe, sowie die traditionelle Tracht der Erwählten – schwarze Hose, weißes Hemd an. Dazu eine Crocus pulchellus im Haar, eine Blüte des Herbstkrokus, sie ist weiß und ziemlich hübsch, jedoch hatte ich ziemliche Schwierigkeiten sie in meinem Haar zu befestigen. Sie war die Blüte der Provinz Columbia. Als ich schließlich genervt feststellte, dass die blöde Blume nicht ohne eine Spange in meinen glatten Haaren hielt, machte ich mich zum Markt, um mir wenigstens noch eine halbwegs passable Spange zu besorgen.

Vi hatte nur ein paar einfache Haargummis und ich trug meine  Haare offen. Da waren Haarspangen im Haus einfach nur Mangelware. Da ich in den letzten Jahren nicht sonderlich auf meine Schönheit geachtet hatte, hatte ich mir meist ein Tuch umgebunden, was jedoch unmöglich aussah.

Auf dem Weg zum Markt kam mir Sally, die Standbesitzerin, von der ich die Karotten geklaut hatte, mir kreischend entgegen. „Hallo Rain! Ich hab gehört, dass du erwählt wurdest – das ist ja toll!“ Und schon war ich in ein völlig unnötiges Gespräch herein gestolpert.

Danach traf ich noch Charlotte und Vera, Mädchen mit denen ich ab und zu zusammen in der Schule gesessen hatten, die mich auch mit großer Begeisterung empfingen.

Am Ende des Marktbesuches hatte ich drei Packungen verschiedener Klammern, sowie ein paar Schönheitsmasken aufgeschwatzt bekommen, die ich mir unbedingt zum Entspannen auftragen sollte. Damit mein Teint erfrischter aussah, sowie eine Packung von diversen Teeblättern, die ich von einer alten Frau geschenkt bekommen hatte, damit meine Haar seidiger glänzten – meine Haare sind pechschwarz und ich frage mich was da glänzen sollte.

Noch eine es nett meinende Frau hat mir Pads gegen Augenringe geschenkt. Ich behielt jedoch für mich, dass ich durch meine karamellfarbene Haut noch nie Augenringe bekommen hatte.

◇✵◇

Ich lud meine Einkäufe auf dem Küchentisch ab und Vi kam hinein gehüpft. Sie nahm es mir zwar immer noch übel, dass ich ihr nichts von meiner Anmeldung gesagt hatte, aber allzu nachtragend war sie nicht.

„Was ist das?“, fragte sie neugierig.

„Von ein paar Marktfrauen. Die meinten damit ich morgen gut aussehe.“

„Oh toll!“, quietschte sie. „Darf ich dir die machen?“

◇✵◇

„Wenn du mir nicht die Ohren vollquietscht.“

„Ich quietsche gar nicht!“, quietschte sie in hohen Tönen und ich verzog das Gesicht. „Und jetzt ab ins Bad mit dir!“ Ich gehorchte.

Von einer Siebenjährigen sich Schönheitsmasken auftragen zu lassen ist sehr... interessant. Besonders wenn sie nicht lesen kann.

„Ich glaube du schmierst mir das Shampoo ins Gesicht...“, murmelte ich unsicher, während mir die Seife übers Gesicht lief. Ich jaulte leise auf, als mir etwas von dem Zeug in die Augen kam.

„Mann Vi, aufpassen!“, maulte ich, doch meine Schwester war schon daran, die nächste der etlichen Packungen aufzumachen. Die Tür ging auf und Eli kam rein.

Als er mich mit einer Hand auf dem Auge und grünen Schleim im Gesicht sah, grinste er nur, riss eine „Wellness – Maske“ auf und kippte sie mir auf die Wangen.

„Wie süß.“, sagte er, lachte und ging heraus.

Ich verdrehte die Augen, als Vi mir die Haare mit irgendwelchen Zeugs vollpampte.

Geschwister.

◇✵◇

A Selection Story: Die Rebellin /  #Wattys2016Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon