~86. Das Mädchen von damals~

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Das restliche Turnier war ich kaum noch anwesend. Zwar bekam ich mit wie sich Rin in den zwei anderen Kategorien durchsetzte, für die dritte hatte es leider nicht mehr gereicht, doch ich bekam kaum mit, wie das Bad immer leerer wurde. 

Wir stiegen draußen in die Bahn, als ich beschloss, doch noch zu Rin zu fahren. 

„Ihr könnt zum Hotel fahren. Ich werde noch schnell bei Rin vorbei schauen und die Sache mit ihm klären und ihm natürlich zu gratulieren."
„Soll ich mitkommen?", fragte Yuno, doch ich verneinte.
„Ich bin spätestens in einer Stunde wieder da. Sollte es länger dauern, schreibe ich euch."
„Okay. Wir werden im Hotel auf dich warten." 

Yuno lächelte mir nochmals zu, bevor die anderen aus dem Zug stiegen und ich die nächsten Stationen allein weiter fuhr. 

Ich konnte mich noch etwas daran erinnern, wo Rins Wohnung war und somit stand ich bald vor dem hohen Gebäude. Ich drückte die Klingel und wurde hinein gelassen. Mit dem Aufzug fuhr ich in das richtige Stockwerk und drückte erneut an der Klingel, als mir das Mädchen von heute die Tür öffnete und heraus trat. 

„Entschuldige, aber kann ich vielleicht zu Rin?", fragte ich und spielte etwas mit meinen Fingern.
„Nein. Der ist gerade unter der Dusche.", bekam ich knapp zurück. 

An ihrem Akzent konnte ich hören, dass sie scheinbar aus den USA war, was auch zu der Flagge auf ihrem T-Shirt passte.

„Ich...ich kann auch kurz warten.", versuchte ich es.
„Nein. Er wird etwas länger brauchen, weil er sehr müde ist. Wer bist du überhaupt?"
„Ich bin Kara Nakamura. Rins Freundin." 

Jetzt fiel es mir wieder ein. Sie war das Mädchen von damals. Das Mädchen auf dem Foto, das Rin mir geschickt hatte, als er bei Lori und Russell grillen war. Sie war das Pflegekind der Nachbarn. 

„Das kann nicht sein. Ich bin seine Freundin. Was soll er überhaupt mit dir. Ich meine, sieh dich an. Was hast du schon erreicht und eine Schwimmerin bist du sicher auch nicht."
„Naja...eigentlich habe ich schon einiges erreicht und du hast Recht. Ich bin zwar jetzt keine Schwimmerin mehr, aber ich war mal eine."
„Was früher war spielt jetzt überhaupt keine Rolle mehr. Rin hat dich, zum Glück, ersetzt. Was will er mit jemandem wie dir? Du bist viel zu...hässlich für ihn. Deine Beine sind zu dick, du hast zu viel Bauch um bauchfrei umher zu laufen, deine Haut ist unrein und auch sonst kannst du einem Mann wie Rin nicht sonderlich viel bieten. Er hat Besseres verdient." 

Die Erinnerungen kamen zurück. Wie mein Vater mich fett genannt hatte und damit meine Essstörung provozierte. Wie ich mir den Finger in den Mund gesteckt hatte, um mein Essen wieder loszuwerden. Und noch mehr dieser Dinge. Ich traute mich einfach nicht, mich zu wehren. 

„Ich...ich...aber..."
„Versuch erst gar nicht gute Gründe zu finden, warum du bei ihm bleiben solltest, oder warum dein Körper schön ist. Du bist ein Nichtsnutz ein Niemand. Für Rin warst du nur Zeitverschwendung. Warum denkst du hat er dich nicht mehr angerufen. Sicher nicht, weil er mit dem Training beschäftigt war. Träum schön weiter Süße, aber nicht zu viel, sonst verlierst du wieder den Bezug zur Realität und redest dir ein du wärst besonders, oder wichtig für jemanden, denn eigentlich halten es alle sehr gut ohne dich aus. Niemand braucht dich hier. Begreife es doch endlich. Du bist allein auf dieser Welt. Und wehe du wagst es noch einmal dich in die Nähe von mir und Rin zu begeben und unser gerade so perfektes Leben zu stören."
„Es tut...es tut mir leid...ich werde euch beide nicht wieder stören. Auf Wiedersehen." 

Tränen sammelten sich in meinen Augen, doch bevor das Mädchen noch etwas sah machte ich auf den Absätzen kehrt und rannte weg. Quer durch die Straßen Australiens bis zu einem kleinen Strand den Rin mir gezeigt hatte. Ich versteckte mich zwischen mehreren Büschen und ließ meinen Tränen freien Lauf. Die Zeit vergas ich dabei völlig und erst als es zu dämmern begann, richtete ich mich auf und schlurfte entkräftet zum Hotel zurück.

Am Zimmer ließ ich mich gleich in mein Bett fallen, wickelte mich in eine Decke ein und schlief. Später hörte ich noch, wie jemand ins Zimmer kam und etwas redete, ich war aber zu müde, um es zu verstehen.

Am nächsten Morgen, während die anderen beim Frühstück waren, packte ich meine Tasche und legte einen Zettel auf mein Bett. Ich würde schon früher abreisen, weil ich meinen Urlaub hier nicht verschwenden möchte und einfach nur nach Hause wollte. 

Mit meinem Gepäck schlenderte ich durch Sydneys Straßen zum Flughafen. Am Schalter meinte ich, dass es einen Notfall gab und ich schnell nach Hause müsste und somit durfte ich in die Maschine einsteigen, die mich nach Japan zurück brachte.

Nach neun Stunden Flug war ich wieder in meiner Heimat und fuhr mit dem Bus nach Iwatobi. Zu Hause ließ ich mich in mein Bett fallen und schlief mich erstmal aus. Ich ignorierte dabei die unzähligen Nachrichten auf meinem Handy und konzentrierte mich mehr auf das, was das Mädchen zu mir gesagt hatte. 

„Ich sei zu fett. Was soll man mit mir?" 

Diese Worte hallten immer wieder durch meinen Kopf. Sie verfolgten mich in meinen Träumen und die nächsten Wochen im Training. Nur Yuno hatte ich von dem Vorfall erzählt und auch nicht alles. Ich ging nur noch raus, um einzukaufen, oder um mit Akito zu trainieren. Meinen Hunger hatte ich unter Kontrolle. Ich aß kaum noch etwas und wenn war es ein Apfel alle zwei bis drei Tage. Meine Freunde machten sich große Sorgen um mich, doch die Worte „Niemand braucht dich hier.", steckten weiterhin in meinem Kopf fest. Ständig versuchte mich jemand zum Essen einzuladen, oder mit mir zu telefonieren, doch ich verwahrloste weiterhin in meiner Wohnung. All meine Spiegel hatte ich mit einem Handtuch zugedeckt, damit ich meine erbärmliche Silhouette nicht sehen musste. Wenn ich mit den anderen trainierte bekam ich verwirrte und teils auch angeekelte Blicke. Als mein Trainer und mein Manager versuchten mit mir zu sprechen blockte ich jeden ihrer Versuche ab und verzog mich wieder. Seit dem letzten Versuch meines Managers trainierte ich nur noch nachts, denn dann war niemand am Platz und zum Glück war es im Sommer angenehm warm, so fror ich auch nicht so viel.

Mittlerweile war es Ende Juni. Knapp drei Monate war der Zwischenfall in Australien her. Mein Körper war bis auf meine Knochen abgemagert, doch wenn ich unter Menschen ging, trug ich immer eine Jacke, um meinen dünnen Körper zu verstecken. Von meinen Freunden hatte ich seit mehreren Wochen nichts mehr gehört. Mein nächtliches Training führte ich fort, denn in weniger als vier Tagen hatte ich ein Nationales Turnier, bei dem viel Aufmerksamkeit auf mir liegen wird. Ich hoffte einfach nur, dass ich meine Kür gut hinüber bringen kann und mich dann für die nächsten Wochen wieder vor der Öffentlichkeit verstecken kann.

Rin Matsuoka x OCDonde viven las historias. Descúbrelo ahora