~93. Vier Tage~

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Die Tage zogen an mir vorbei, als eines morgens mein Telefon klingelte. Draußen schüttete es in Strömen. 

„Ja bitte?"
„Hallo Rin. Ich wollte fragen, ob du Lust hast vorbeizukommen. Seit du da warst habe ich meine Gedanken etwas geordnet. Seit diesen vier Tagen ging mir der Satz nicht mehr aus dem Kopf, den ich dir gesagt habe. Aber ich würde dir gerne alles persönlich erzählen. Also...hättest du Lust?" 

Ich konnte es kaum glauben, dass wirklich Kara zu mir sprach. 

„J...ja auf jeden Fall. Ich bin gleich bei dir."
„Super. Bis gleich." 

Ich sah meine Silhouette im Spiegel, der von meiner heißen Morgendusche beschlagen war. Mit meiner Hand wischte ich eine kleine Fläche frei. 

„Es waren nur vier Tage...", belächelte ich mich. 

Die Zeit kam mir viel länger vor. So schnell ich konnte zog ich mir ansehbare Kleidung an und fuhr zum Krankenhaus.

An der Rezeption sagte ich Karas Namen und die ältere Dame sagte mir im Gegenzug Karas Zimmernummer. Sofort rannte ich in den zweiten Stock. Vor mir öffnete sich einen Automatische Tür, durch die ich hastig schlüpfte. In Windeseile lief ich durch den Korridor. Die Zimmernummern überflog ich nur, bis ich schließlich vor Nummer 201 stand. Kurz sammelte ich mich, zupfte mein Shirt zurecht und holte noch einmal Luft, um meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Mit zwei Fingern klopfte ich an der Tür. 

„Verdammt, das war vielleicht etwas zu laut.", murmelte ich. 

Eine weibliche Stimme drang gedämmt durch die Tür. Vorsichtig drehte ich den Knauf und trat in den Raum. Der Boden war mit grauem Laminat belegt, die Wände waren weiß gestrichen und gegenüber der Tür war ein Tisch für zwei Personen, wobei ein Sessel etwas aus dem Weg geräumt war. Noch konnte ich keins der Betten sehen, erst als ich zwei Schritte neben dem Schrank nach vorne ging sah ich die beiden Betten, die im Raum standen. Eines davon war scheinbar nicht belegt. 

„Hallo.", brach ich die Stille. 

Kara drehte sich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zu mir um. 

„Hey." 

Kara saß in einer Leggins und einem schwarzen T-Shirt auf ihrem Bett und sah nach draußen. Mittlerweile regnete es nicht mehr so stark und die Sonne kämpfte sich durch die dicke Wolkendecke. 

„Setz dich.", lächelte Kara mir zu und gab mir zu verstehen, dass ich auf dem Stuhl neben ihrem Bett Platz nehmen sollte. 

Als ich mich in die Lehne sinken ließ, versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, dass ich sehr nervös war. 

„Ich habe damals alles gehört." 

Meine Augen wurden groß. 

„Wie jetzt?!"
„Ich habe alles gehört, was du mir gesagt hast. Alles. Jeden Tag. Danke, dass du mich immer besucht hast. Und das mit deiner Freundin. Ich kann dir verzeihen, aber ich werde lange brauchen, um das Vertrauen zu dir wieder aufzubauen, wenn du verstehst, was ich meine."
„Das heißt also, wir sind noch zusammen?"
„Ja, wenn du das möchtest. Ich werde halt nur Zeit brauchen."
„Das ist okay, solange ich dich bei mir habe."
„Da wäre noch etwas. Wie machen wir das jetzt mit deinem Training. Du solltest doch eigentlich in Australien sein."
„Mein Trainer meinte, dass es okay ist, wenn ich einige Zeit in Japan bleibe. Ich sollte nur zu den Vorentscheidungen nach Australien kommen und die nächste ist erst in einem Jahr."
„Und das ist wirklich okay für dich?"
„Aber sowas von."
„Dann bin ich ja beruhigt. Apropos..."

Wir redeten mehrere Stunden über alles, was in den letzten Wochen passiert war. Von dem Rummel in den Medien, wie ich alles erfahren habe und wie es meiner Familie ging bis hin zu Akito, wer sich um ihn kümmerte und wie es ihm ging. 

Es klopfte an der Tür und eine Krankenschwester betrat das Zimmer. 

„Guten Tag Frau Nakamura. Guten Tag Herr Matsuoka. Wie ich sehe, geht es Ihnen bereits besser. Wir müssten noch einmal Blut abnehmen und wenn die Werte stimmen, können Sie morgen nach Hause." 

Karas Mimik war eher neutral. Ich wusste, dass sie ungeheure Angst vor Nadeln hatte und Blut abnehmen ging demnach gar nicht, aber ich wusste auch, dass sie unbedingt aus diesem Gebäude wollte. 

Während die Schwester alles vorbereitete, legte ich meine Hand neben die von Kara, damit sie meine greifen konnte. Nur für den Fall, dass sie sich damit sicherer fühlte. Sofort als Kara meine Hand gesehen hatte, griff sie danach. Die Krankenpflegerin kam mit ihrem Equipment. Die ganze Zeit über hielt ich die Hand meiner Freundin fest umschlossen und sah ihr in die Augen. Mit meinem Daumen zeichnete ich kleine Kreise auf ihren Handrücken. 

Die Pflegerin trat schließlich einen Schritt zurück, löste das Band, das sie zuerst um Karas Arm gebunden hatte und schwenkte einen kleinen Behälter mit Blut darin. 

„So das wars. Das hier kommt jetzt ins Labor und dann können wir Ihnen morgen sagen, ob Sie nach Hause dürfen. Ihr Essen sollte auch gleich kommen. Und Sie Herr Matsuoka haben noch circa eine Stunde Besuchszeit."
„Vielen Dank.", lächelte Kara und ich nickte nur freundlich.
„Was gibt es denn heute Feines zu essen?", fragte ich, sobald die Krankenschwester das Zimmer verlassen hatte.
„Ramen.", grinste Kara und legte ihr Handy auf die Seite.  

Schon wenige Minuten später klopfte es an der Tür und eine Dame brachte ein Tablett mit dem Essen. 

„Wollen Sie an ihrem Bett, oder am Tisch essen?"
„Am Tisch bitte." 

Meine Freundin lächelte der Dame zu und rutschte an den Rand ihres Bettes. Dort zog sie aus einem Eck hinter ihrem Nachtkästchen einen Rollstuhl hervor. Mit wenigen Handgriffen war dieser aufgeklappt und das Mädchen wollte zu ihrem Tisch rollen. Selbstverständlich half ich ihr, damit sie schneller ihr Essen genießen konnte. Kara nahm die Abdeckung von ihrem Teller und begann die Nudeln zu essen. 

„Ich kann dich beruhigen, ich werde den Rollstuhl nicht lange brauchen.", meinte sie, als könnte sie meine Gedanken lesen.
„Ich habe ihn nur noch etwa vier Wochen, oder zumindest so lange, bis sich meine Beine wieder ans Bewegen gewöhnt haben. Dann sollte ich alles wieder normal machen können."
„Das freut mich. Hast du schon einen Plan, was du machen wirst, wenn du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest? Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es in deinem Wohnkomplex keinen Aufzug, der dich nach oben bringen könnte."
„Das stimmt, aber ich werde schon noch eine Lösung finden. Vielleicht frage ich Yuno, ob ich einige Zeit bei ihr einziehen kann.", Kara schlürfte eine Nudel und sah mich schief lächelnd an.
„Also, wenn es dir nichts ausmacht, kannst du auch bei uns wohnen. Mit Gou hättest du eine Freundin, meine Mutter mag dich auch sehr und ich hätte sowieso nichts dagegen."
„Das wäre wirklich lieb von euch, aber geht das wirklich klar. Ich kann euch nirgendwo helfen, außer vielleicht beim Kochen, oder Putzen."
„Du musst uns nicht helfen, wir schaffen das auch allein. Solange ich weiß, dass es dir gut geht, ist mir alles recht."

„Dankeschön.", Kara grinst und legte die Stäbchen auf dem Tablett ab.

Rin Matsuoka x OCWhere stories live. Discover now