~96. Tanz im Regen~

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Während dem Essen hatte uns Gou etwas über ihren Tag erzählt und wir ihr etwas von unserem. Außerdem hatte Rin mir gesagt, dass wir noch diese Woche mit Haruka und Makoto in ein Café gehen würden. Nicht in irgendein Café, sondern in das Café am Strand, wo ich die beiden das erste Mal getroffen habe.

Nach dem Essen machten mein Freund und ich es uns in seinem Zimmer gemütlich. Während er etwas an seinem Handy suchte, rollte ich durch die Gegend und spielte immer wieder mit einem bestimmten Gedanken. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, rollte zum Fensterbrett, stellte die Bremsen meines Rollstuhles fest und zog mich am Holzbrett vor mir hoch. Ich sah hinaus auf die Straße. Auch wenn ich nicht viel sehen konnte. Es ging mir nur um das Gefühl auf meinen eigenen Beinen zu stehen, auch wenn ich mich momentan eher auf meine Arme stützte. Ein erschrockenes Geräusch kam von meiner linken Seite.

„Kara! Was soll das werden?"

Aus Schreck ließ ich mich wieder in meinen Rollstuhl fallen und es fühlte sich an, als würden Ketten meinen Körper an dieses Ding fesseln.

„Ich...ich wollte wieder versuchen aus eigener Kraft zu stehen. Tut mir leid, dass ich dir einen Schreck eingejagt habe.", in meiner Stimme schwang neben Enttäuschung auch ein Hauch Wut mit.
„Schon gut. Bitte gib mir das nächste Mal Bescheid, dann kann ich dir helfen."

Als ich meinen Blick wieder nach oben richtete, hatte Rin mir eine Hand entgegen gestreckt.

„Na komm."

Sanft half er mir hoch und hielt mich an meiner Taille fest. Wären meine Beine nicht so schnell erschöpft gewesen, wäre ich noch ewig an diesem Fenster gestanden und hätte hinaus gesehen.

In den nächsten Tagen übten Rin und ich immer öfter. Mittlerweile konnte ich für kurze Zeit allein stehen. Manche Menschen halten es für selbstverständlich, aber ich weiß jede Sekunde auf meinen Beinen zu schätzen. Wenn es etwas gibt, dass ich gelernt habe, dann ist es definitiv, dass man Dinge erst zu schätzen lernt, wenn man sie nicht mehr hat.

Heute stand das Treffen mit den Jungs an und ich freute mich schon sehr auf diesen Tag. Nachdem Rin und ich uns fertig gemacht hatten, gingen wir den Strand entlang bis zu dem Café. Makoto und Haruka warteten bereits auf uns. Als sie jedoch sahen, dass ich nicht neben Rin stand, blieb ihnen der Mund für kurze Zeit offen stehen. Makoto wank uns zu und Rin schob mich zum Tisch. Wie ein echter Gentleman half er mir auf die Bank und setzte sich dann neben mich. Wir gaben beide unsere Bestellung auf und fingen mit Makoto ein lebhaftes Gespräch an. Auch Haruka meldete sich zwischendurch immer wieder. Im Großen und Ganzen war es ein echt schöner Tag.

Zu Hause sahen wir noch etwas fern, als wir bei den Abendnachrichten hängen blieben. Ein leicht verschwommenes Bild erschien auf dem Bildschirm hinter dem Moderator.

„Die junge Dressurreiterin Kara Nakamura ist scheinbar aus dem Krankenhaus entlassen worden. In den letzten Tagen wurde sie immer öfter gesehen, wie hier in einem Café in Iwatobi, einer kleinen Stadt in der Nähe von Tokio. Wie es ihr momentan geht, ist nicht bekannt, aber laut einigen Augenzeugen bräuchte sie einen Rollstuhl, um größere Distanzen zu überwinden. Unklar ist auch, wie es jetzt mit dem Reitsport für sie weitergeht."

Ein Video aus dem Training von Akito und mir wurde gezeigt.

„Rin schalte bitte um, ich will das nicht unbedingt sehen."

Mein Freund nickte nur und zappte weiter durch die Sender.

„Danke.", flüsterte ich und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab.
„Kein Problem.", bekam ich als Antwort und spürte, wie er seinen Kopf auf meinen legte.

Nach zwei weiteren Wochen Training konnte ich schon kurze Strecken allein gehen und Treppen mit Hilfe eines Geländers erklimmen.

Heute war ein sehr kühler Sommertag und so verbrachten mein Freund und ich den Großteil in seinem Zimmer und sahen uns Filme an. Manchmal quatschten wir auch.

Nach dem mittlerweile fünften Film fanden wir kaum noch einen guten und anstatt von vorne zu beginnen, hatte mein wunderbarer Freund die Idee etwas spazieren zu gehen.

„Wir könnten etwas durch die Stadt schlendern und dann gehen wir direkt neben dem Strand zurück nach Hause.", schlug er vor.

Ich willigte ein und somit machten wir beide gerade Iwatobi unsicher. Naja, nicht wirklich, immerhin gingen wir nur spazieren. Jedes kleine Haus, an dem wir vorbei gingen, jeder kleine Laden der am Straßenrand war und die Schule, all das zeigte mir die Schönheit dieser kleinen Stadt, die ich in den letzten Monaten völlig vergessen hatte. Es tat unheimlich gut ein Leben abseits von dem ganzen Trubel mit Turnieren und Presseterminen zu führen. Zwar mochte ich das Leben als bekanntere Person, aber so ein Leben, in dem man einfach durch die Straßen einer Stadt schlendern konnte, ohne von Menschen angesprochen zu werden war schon schön. Rin bog ab und fuhr mit mir durch eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern. Am Ende konnte ich schon den Strand sehen und ich wusste, dass wir uns jetzt auf den Heimweg machen würden. Ich hatte es schon irgendwie gehofft, denn etwas weiter weg sah ich große, dunkle Wolken, die sich ihren Weg zu uns bahnten. Wir waren keine zehn Minuten neben dem Strand spazieren gegangen, als Rin stehen blieb.

„Alles in Ordnung?", fragte ich und dreht mich um.
„Ich hab eine Idee. Hättest du Lust mit mir im Sand zu tanzen. Ich werde dich natürlich stützten. Ich würde es mir lustig vorstellen und aufgrund der Regenwolken, die immer näher kommen, werden uns vermutlich kaum Leute sehen."

Ich nickte und erhob mich aus meinem Rollstuhl. Rin trug mich etwas weiter den Strand hinunter, bis wir die Wellen brechen sehen konnten. Im nächsten Moment hatte Rin eine langsame Musik gestartet und verbeugte sich leicht vor mir.

„Darf ich bitten m'Lady."

Bei diesen Worten musste ich grinsen. Damals auf seinem Ball hatte er mich mit diesen Worten um einen Tanz gebeten. Sanft legte ich meine Hand in seine und überließ ihm, wie damals die Führung. Wie zu erwarten konnte er noch immer so gut führen, wie damals. Wir sahen uns lange in die Augen und grinsten, während wir uns leicht im Takt der Musik hin und herbewegten. Ein Lied nach dem anderen wurde abgespielt. Wir hatten scheinbar beide kein Zeitgefühl mehr, denn plötzlich prallte auf meiner Nase ein Regentropfen ab. Es störte jedoch weder mich noch Rin und somit tanzten wir einfach weiter. Der Regen wurde immer mehr und so langsam konnten mich meine Beine nicht mehr tragen, aber ich wollte diesen Moment ungerne beenden.

„Ich denke wir sollten nach Hause gehen. Der Regen wird schon echt stark.", sagte Rin aus heiterem Himmel, als könnte er meine Gedanken lesen.

Zustimmend nickte ich. Rin hob mich hoch und trug mich zu meinem Rollstuhl zurück. Die Tropfen wurden immer größer und prasselten mit immer höher Geschwindigkeit auf die Erde herab.

Rin Matsuoka x OCWhere stories live. Discover now