Aus Larissas Perspektive

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***Einen schönen Sonntag euch allen und viel Spaß beim Lesen ***

Die Zeit zieht sich wie Kaugummi, bis ich endlich an der Reihe bin. Ich sitze vor dem Zimmer auf der kleinen Sitzgruppe und warte. Eigentlich wäre ich schon an der Reihe, aber von da drinnen höre ich nach wie vor Gelächter – von Chris und von Nina, die vor mir dran ist. Wut staut sich in mir auf – blanke Wut. Wut auf mich selbst, Wut, dass Chris auch mit den anderen Mädels flirtet und Wut darauf, dass ich überhaupt wütend bin. Also eigentlich ist es ein Wunder, dass ich nicht vor lauter Wut einige Meter über dem Boden schwebe. Endlich öffnet sich die Türe und Nina verlässt den Raum. „Tschüssi Chris. Bis bald!" „Bis bald. Du kannst die nächste reinschicken!" „Du hast es gehört...", sagt Nina herablassend. Soso, ich bin also „nur" die nächste für ihn. Ich balle die Fäuste. Langsam stehe ich auf und gehe zur Türe, betrete das Zimmer und lasse mich auf den Besucherstuhl fallen. Chris schreibt noch irgendwas am PC. Schließlich schaut er nach oben. „Hi Larissa!" Er lächelt mich an. Wärme liegt in seinen Augen. Es fühlt sich ein kleines bisschen, wie nach Hause kommen an. Ich möchte mich einfach nur in seine Arme flüchten und doch erscheint mir das gerade so unfassbar weit weg. „Also auch an dich meine Fragen – heute zum letzten Mal – gibt es Vorerkrankungen die ich wissen muss? Nimmst du Medikamente und hast du andere Allergien, bis auf das eine spezielle Medikament?" „Keine Vorerkrankungen, ich nehme die Pille und bis gestern wusste ich von keiner Allergie..." „Okay.Ist notiert. Dann bitte einmal auf die Waage!" Er behandelt mich tatsächlich wie eine seiner ganz normalen Patientinnen. Ist das zu fassen? Eigentlich sogar weniger. Mit denen hat er ja immerhin geflirtet. „Die anderen sind ja ganz begeistert von dir...", lasse ich anklingen. „Schön, das freut mich! Er grinst mich an und klopft auf die Liege. „Setz dich!" Ich setze mich widerstrebend hin. „Du hast meine Werte doch schon..."„Ja, aber du bekommst keine Extrabehandlung. Er schaut mir kurz tief in die Augen, was bei mir zu einer Ganzkörpergänsehaut führt. Dann umfasst er sanft meine Schulter, während die andere Hand unter mein Shirt fährt. Ich spüre, wie er den Kopf des Stethoskops platziert und halte die Luft an. „Atmen!", flüstert Chris und schaut mir währenddessen erneut tief in die Augen. Mein Herz setzt für einen Moment aus. „Holla. Extrasystolen. Hast du das öfters?" „Nein. Gerade das erste Mal." „Okay, da setzen wir demnächst ein Langzeit EKG an. Das möchte ich überprüft haben!"„Chris?"„Ja?"„Das braucht kein Langzeit EKG!", sage ich fest. „Das bist du und deine Wirkung auf mich. Hör auf das zu pathologisieren!" „Meinst du?", Chris schaut mich betont ahnungslos an und wickelt dann die Manschette des Blutdruckgeräts um meinen Oberarm. Er pumpt es so fest auf, dass es schmerzt. Wieder hält er intensiv meinen Blick. Ich vergesse zu atmen, bis ich Sternchen sehe.„Auch der ist astronomisch hoch. Was mache ich nur mit dir? Vielleicht sollte ich dich doch zur Sicherheit einweisen lassen!" Ich bekomme eine Gänsehaut. Das wird der nicht wirklich bringen, oder doch? „Der 10 Minuten – Slot ist um. Ich gehe dann mal!" „Isa...", sagt er nun ganz sanft. „Du kannst vor mir nicht fliehen. Egal wie oft du versuchst wegzurennen, meine Nummer zu blockieren, oder dich vor mir zu verstecken." Seine Stimme wird ganz leise und er tritt näher zu mir. Mein Atem geht gehetzt, allerdings nicht aus Panik, sondern aus der puren Situation. Sanft streicht er eine Strähne hinter mein Ohr und flüstert dann. „Und das weißt du genau." Ich erschauere einmal mehr, muss den Drang unterdrücken, mich wieder in seine Arme zu schmeißen und seins zu werden. Doch das wird nicht funktionieren. Ich fliehe einmal mehr. Als ich aus dem Zimmer, mehr oder weniger, renne, pralle ich gegen jemand. Ich schaue auf und sehe Elena, die sich, genauso wie ich den Kopf reibt. „Aua. Bist du auf der Flucht oder was?"„Ha ha, sehr lustig. Was machst du hier?" „Chris hat Urinstix bestellt. Das hat allerdings relativ lange Lieferzeiten und so hat er Daniel gefragt, ob er ihm welche ausleihen kann. Und da ich eh hier in der Gegend war, bringe ich es ihm vorbei."„Und du? Du siehst ziemlich angepisst aus. War Chris etwa nicht lieb zu dir?" Sie kichert leise. „Hör bloß auf!," antworte ich und balle die Fäuste. „Nein, jetzt mal im Ernst. Du bist doch voll durch den Wind. Komm wir gehen mal ein paar Schritte."„Du wolltest doch zu Chris!," sage ich lahm. „Ich gebe es ihm kurz. Zwei Minuten!," kommandiert Elena lächelnd. Ich verdrehe die Augen und lasse mich auf die kleine Sitzgruppe fallen. Mein Tag ist eh schon gelaufen. Kurze Zeit später kommt Elena wieder aus dem Zimmer. „Na komm!," Sie legt schwesterlich einen Arm um mich und wir gehen gemeinsam den Gang hinunter und nach draußen. Ich atme tief durch. Die frische Luft tut mega gut.„Also, was genau ist dein Problem. Warum funktioniert es nicht mit Chris. Dass die Chemie zwischen euch stimmt, sieht doch ein Blinder mit Krückstock!"„Weil, weil es nicht funktionieren kann. Wir sind so unterschiedlich."„Gegensätze ziehen sich an. Ich meine, du musst dir nur mich und Daniel anschauen. Oder Magnus und mich – okay, schlechtes Beispiel!" Elena grinst mich an und ich kann nicht anders, als zumindest kurz zurück zu grinsen.„Aber ich weiß einfach nicht, wie das werden soll. Du kennst die Szene. Einmal BDSM, Blut geleckt und du hängst für immer mit drin. Ich habe Dinge erlebt, über die ich gerade noch nicht sprechen kann und die machen eine praktische Ausübung quasi unmöglich. Und ich will Chris da nicht im Weg stehen. Klar kann man für eine gewisse Zeit das Bedürfnis sich dahingehend auszuleben auch unterdrücken, aber da wird man unglücklich bei."„Ja, aber wie du schon sagtest, einmal Blut geleckt... und genau das hast du auch Larissa. Ich hab dich doch im Club beobachtet. Deine Blicke gesehen. Ich würde darauf wetten, dass du vor deinem inneren Auge dich selbst in dem ein- oder anderen Zimmer gesehen hast, oder?," fragt Elena leise. Tränen steigen in mir auf, die ich entschlossen weg blinzle. „Ach Larissa. Weißt du, es gibt diesen dummen Spruch, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und Chris, das ist ein Guter! Wirklich! Er ist ein erfahrener Dom, der nie über harte Limits gehen würde!"„Aber.."„Was sagt denn dein Bauch dazu, also wenn du den Kopf ganz außen vorlässt?"„Go for it!" „Und dein Kopf!"„Lauf weg!"„Mit welchem Gefühl bist du denn, wenn du rekapitulierst, besser gefahren, bisher?" „Dem Bauch. Der hat mir damals, als das passiert ist schon lange vorher gezeigt, dass da was nicht stimmt. Aber der Kopf wollte es unbedingt!"„Na siehst du! Dann probiere es doch dieses Mal anders herum aus!" Elena drückt mir sanft die Hand und zieht mich dann in eine feste Umarmung. „Aber was, wenn das Chris auf Dauer unglücklich macht? Ich will das nicht."„Willst du lieber auf Dauer unglücklich sein? Chris ist ein erwachsener Mann. Er kann selbst entscheiden, was er möchte. Und er will DICH, Larissa!"„Denkst du wirklich?", fragend und innerlich ganz weich schaue ich ihn an. „Ja, das denke ich. Und jetzt schlaf mal nochmal darüber." Elena lächelt mich an. „Danke. Elena!", sage ich schließlich leise. „Gern. Das Leid kann man ja nicht mit ansehen!" Sie grinst mich frech an. Ich verdrehe die Augen. Ich gehe wieder hinein und in die Umkleidekabine. Kurz überlege ich, tatsächlich noch bei Chris vorbeizuschauen, doch dann entscheide ich mich doch dagegen und steige wenig später in den Bus nach Hause ein. Ich nehme mein Handy in die Hand und lasse in meinem Messengerprogramm zu, dass Chris mir wieder Nachrichten schreiben kann.

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