8 - Noah

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NOAH

Mit Mayas zarter Hand in meiner fühlte sich jeder Tag gleich ein Stückchen besser an. Okay, eigentlich glaubte ich generell nicht an schlechte Tage. Natürlich gab es schlechte Momente, aber am Ende sollte man sich immer an das Gute erinnern und sich bewusst sein, dass das viel mehr zählte als die ganzen blöden Augenblicke.

„Irgendwie muss ich immer noch an Clems Worte denken“, gab Maya genervt zu. „Wieso kann sie mir nicht einfach egal sein?“

„Sie ist dir nicht egal, weil sie Unrecht hat. Du bist nicht arrogant. Das denkt sie nur, weil sie dich nicht kennt, aber sie ist zu stur, um dich überhaupt kennenzulernen.“ Ich hatte schon oft versucht, mit Clem darüber zu reden, aber Clem war eben Clem. Ich hätte wahrscheinlich mehr Erfolg gehabt, eine Wand davon zu überzeugen, dass sie falsch lag.

„Und was, wenn ich wirklich zu eingebildet bin?“

Das war vermutlich das Lächerlichste, das Maya hätte sagen können. Welcher Mensch, der zu sehr von sich selbst überzeugt war, hätte diese Frage gestellt? Ich sah eindringlich in ihre bernsteinfarbenen Augen und meinte voller Überzeugung: „Du bist das letzte Mädchen auf diesem Planeten, das ich als eingebildet bezeichnen würde.“

Zu gerne hätte ich sie jetzt geküsst, während wir hier in der Aula unserer Schule standen, aber im nächsten Moment hörte ich, wie jemand meinen Nachnamen schrie und ich wandte mich etwas überrumpelt ab.

„Hey, Reeve! Hör auf zu turteln und schwing deinen Hintern auf den Sportplatz. Mister Adams hat gesagt, wir spielen heute Fußball“, erklärte Phil mir begeistert.

Innerlich seufzend meinte ich bloß: „Ich komm gleich nach. Geh ruhig schon zu den Umkleiden.“

„Okay“, flötete er unfassbar gut gelaunt und sein blondes, nach oben gestyltes  Haar wippte mit, als er albern durch die Aula hopste.

Für Typen wie Phil war Sport eines der besten Fächer überhaupt, aber ich konnte meine Unsportlichkeit nur belächeln, mein Bestes geben - und trotzdem bei den meisten Übungen absolut versagen. Fußball war da noch harmloser, weil ich mich ins Tor stellen konnte und mir somit wenigstens das Laufen erspart blieb. Jeder war in irgendetwas schlecht und bei mir war dieses Etwas leider Sport. Das war einer der Gründe, wegen dem ich mir manchmal den Kopf darüber zerbrach, wieso Maya überhaupt mit mir zusammen war.
Ich freute mich natürlich, dass sie meine Freundin war – okay, das war gewaltig untertrieben.
Meistens war sie das Gute, an das ich mich am Ende eines Tages mit einem bescheuerten Grinsen erinnerte.

„Ich muss jetzt auch los“, sagte sie leicht lächelnd. „Wir sehen uns dann nachher in Literatur, ja?“

„Sicher.“ Alle Zellen meines Körpers fingen Feuer und ich verlor die Kontrolle über meine Gedanken, als sie ihre Arme hinter meinem Hals verschränkte und ihre Lippen für ein paar Sekunden auf meine legte.

Viel eher als mir lieb war, ging sie und ich blieb mit einem nicht unterdrückbaren Lächeln zurück, das mich auch noch begleitete, als ich zu den Umkleiden trottete und mich umzog. Während Dex lautstark von irgendeiner Party erzählte und natürlich nicht ausließ, dass er mit einem Mädchen namens Cindy Sex gehabt hatte, lächelte ich immer noch unbewusst vor mich hin und sofort zog Phil mich damit auf, welche Phantasien ich denn schon wieder hatte. Ich schüttelte nur amüsiert den Kopf und nahm meine Brille ab, damit ich nicht Gefahr lief, sie zu ruinieren, sollte ich einen Ball ins Gesicht bekommen.

***

„Hey, was ist denn - Eleanor? Ich hätte dich fast nicht erkannt. Was ist denn los?“

Eigentlich war ich nur vom Sportplatz reingegangen, weil ich aufs Klo musste, doch als ich gerade zurückgehen wollte, hörte ich ein Wimmern aus der Mädchenumkleide, deren Tür halb offen stand. Nur eine einzige Person hielt sich hier auf und nach genauerem Hinsehen hatte ich erkannt, dass es Eleanor war, die hier leise vor sich hin weinte. Sie war eben eher eine Person, die man übersah, auch wenn sie größer war als ich – was allerdings nicht gerade schwer war. Zusätzlich dazu trug ich meine Brille nicht, weshalb ich eh nicht so gut sah.

Eleanor blickte mich nur erschrocken aus ihren geröteten Augen an und schniefte. Sie trug Sportkleidung und hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf zusammengebunden; noch ein Grund, wieso ich sie nicht gleich erkannt hatte. Sonst schien sie sich immer hinter ein paar Strähnen verstecken zu wollen.

Da ich sowieso keine Lust mehr hatte, nach draußen zu gehen und mich im Tor zu verrenken, nur damit ich von den anderen Jungs mit ein paar Fußbällen attackiert werden konnte, setzte ich mich neben sie auf die Bank und sah sie abwartend an. Wir hatten noch nie wirklich miteinander gesprochen und ich war mir nicht einmal sicher, wie ihre Stimme klang.
Sie sagte irgendwie nie etwas, was mir bis jetzt gar nicht so aufgefallen war. Hatte ich sie jemals lachen sehen? Also so richtig?

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte ich vorsichtig nach. „Du musst mir nicht gleich erzählen, was los ist. Aber man kann es sicher wieder gerade biegen. Eigentlich gibt es für fast jedes Problem eine Lösung.“

Sie zuckte nur mutlos mit den Schultern und mich überfiel sofort eine Übelkeit, die ich nicht ganz benennen konnte. Es war ja eigentlich nicht mal direkt, als wäre mir schlecht, sondern vielmehr so, als hätte jemand anders gerade gekotzt und von dem Anblick – oder allein vom Gedanken – würde mir dann selbst irgendwie ungut werden. Ich hasste es, andere Menschen so unglücklich zu sehen und machtlos zu sein.

Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Selbst wenn Eleanor mich nicht hier haben wollte, hätte sie wohl nie den Mut gehabt, mich wegzuschicken. Um schließlich doch einfach irgendwas zu sagen und sie auf andere Gedanken zu bringen, zeigte ich auf ihr T-Shirt. „Hey, du stehst auf die Beatles?“

Ihr Kopf schnellte hoch und endlich sah sie mich ein wenig sicherer an. Ich hatte wohl ins Schwarze getroffen. „Ja“, verkündete sie knapp. Aber auch das war schon besser als nichts.

„Cool. Sie haben ein paar echt gute Songs.“ Ich grinste sie verlegen an. „Gibt’s nicht sogar ein Lied, dass Eleanor Rigby heißt?“

„Stimmt.“ Ihre Lippen waren schmal, aber als sie schmunzelte passten sie einfach perfekt in ihr Gesicht. So sollte sie öfter aussehen. Sie wäre bestimmt auch hübscher, wenn sie häufiger lächeln würde. „Um ehrlich zu sein...“, begann sie. „Meine Mum ist ein riesiger Fan. Von ihr hab ich das wohl irgendwie. Sie hat mich sogar nach dem Lied benannt.“

Keine Ahnung, was ich mir davon überhaupt erhoffte, aber ich begann, leise zu singen. „Eleanor Rigby picks up the rice in a church where a wedding has been. Lives in a dream…

„I-ich würde ja jetzt weitersingen.“ Sie schniefte noch einmal kurz. „Aber dann würdest du hören, wie grässlich meine Stimme klingt.“

„Ich würde ja selbst weitersingen“, meinte ich im selben Tonfall wie sie. „Aber leider hab ich absolut keine Ahnung, wie der Text weitergeht.“

Sie grinste. Eleanor Crain grinste mich an und ja – ich hatte vorhin recht gehabt. Dieses Mädchen würde in meinen Augen wohl nie so schön sein wie Maya es war, aber wenn Eleanor zuließ, dass sich diese Grübchen auf ihren Wangen bildeten und man ihre Zähne sah, war sie auf eine Art hübsch, die Grund genug wäre, hunderte Songs zu schreiben, die den Titel Eleanor Crain trugen.

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- liljaxxx & knownastheunknown -

FeuerwerkWhere stories live. Discover now