57 - Clem

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CLEM

„Mal sehen, ob du das toppen kannst, Nimy", murmele ich dümmlich grinsend im Versuch, die Aufmerksamkeit von mir wegzulenken. Wieso kann ich nicht ein einziges Mal meine verdammte Klappe halten?

Mein Herz rast und am liebsten würde ich alle anderen Worte loswerden, die in meinem Kopf herumschwirren, aber ich kann nicht. Würde ich jetzt all die Schimpfwörter von mir geben, die dem Chaos in mir nicht einmal gerecht werden, müssten wir wahrscheinlich die Bar verlassen und ich würde herumschreien, ohne es zu wollen, hysterisch werden, ja, vielleicht sogar weinen.

Aber unsere Gruppe ist so schweigsam und ich will nicht, dass sie diese beschissene Verletzlichkeit bemerken. Ich war noch nie eine gute Schauspielerin – anders als Maya oder Phil. Wie soll ich denn all diese Gefühle in mir behalten, wenn sie einer Granate gleichkommen, die mich von innen heraus zerfetzt?

Vielleicht sollte ich einfach aufstehen und wegrennen.

„Okay", sagt Nimy schließlich und verhindert mein Vorhaben, bevor ich es überhaupt zu Ende geplant habe.

Sie sieht mich kurz an; es ist das erste Mal, seit ich gebeichtet habe, dass ich Dex geküsst habe. Aber ich kann ihren Blick nicht deuten. Sie sieht aus, als hätte sie eine Maske aufgesetzt und egal, was ich tue, ich komme nicht dahinter, was meine beste Freundin denkt. Schließlich atmet sie einmal tief aus und greift unauffällig nach Ace' Hand, die auf seinem Schoß liegt.

„Ich war vor ein paar Jahren im Just chill. Bevor Palma begonnen hat, dort zu arbeiten, hat hauptsächlich Steve den Job übernommen. Keine Ahnung, wie viele von euch ihn kennen, er ist zwei oder drei Jahre älter als wir." Ich kann nicht verhindern, dass ich auf die zwei Hände starre, die nun miteinander verschlungen auf der Sitzbank liegen. Mein Magen fühlt sich komisch an. Ich fühle mich komisch an. „Phil hat immer gemeint, dass Steve ziemlich auf mich steht. Irgendwann war ich also im Just chill, um mich mit Phil zu treffen und Steve ist immer wieder zu meinem Tisch gekommen, während ich gewartet habe. Eigentlich haben wir nur Smalltalk geführt und er musste alle paar Sekunden die anderen Tische bedienen, aber irgendwann ist er einfach so mit zwei riesigen Stücken Schokotorte aufgetaucht und hat sie an meinem Tisch abgestellt. ‚Die gehen aufs Haus'", Nimy verstellt ihre Stimme und klingt so bescheuert tief, dass trotz der seltsamen Stimmung ein Lachen durch die Runde geht. Sogar ich schaffe es, ehrlich zu lächeln. „Er hat gesagt, dass seine Schicht gleich um ist und er sich dann zu mir setzt, damit ich nicht so verloren aussehe. Ich habe gar nicht die Möglichkeit gehabt, ihm zu antworten, da ist er auch schon zum nächsten Tisch gehuscht. Mit ihm zu reden, war okay, aber Steve ist eben... Steve. Ein Junge, der schon mit zwölf davon geträumt hat, die Schule abzubrechen, um bei McDonald's zu arbeiten, einer, für den jedes zweite Mädchen die Liebe seines Lebens war und der mit fünfzehn das Nacktfoto seiner Exfreundin herumgeschickt hat. Momentan ist er arbeitslos und verbringt wahrscheinlich achtzig Prozent seines Tages damit, Videospiele zu spielen." Sie macht eine kurze Pause und beißt sich auf die Lippe, während sie wohl nach dem roten Faden sucht. Ace' Blick ruht auf ihr und ich muss wieder so eindringlich auf diese Hände starren, dass mir fast schwindelig wird. „Jedenfalls", fährt Nimy fort, „ist Phil endlich aufgetaucht, nachdem ich eine halbe Stunde auf ihn gewartet habe."

„Typisch", meint Noah und grinst, bevor er in eigene Erinnerungen abdriftet.

„Phil hat sich sofort zu mir an den Tisch gesetzt und gehetzt angefangen, die Schokotorte in sich reinzuschaufeln, während er irgendwas gebrabbelt hat. Von wegen, ich hätte ja jetzt sicher Tortenvorsprung, den er aufholen muss." Die Bilder in meinem Kopf sind unvergleichlich und mit einem Mal erwische ich mich dabei, dass ich diese alte Zeit herbeisehne. Für uns alle, aber hauptsächlich für Phil. Dabei habe ich mir nie allzu viele Gedanken um Phils Situation gemacht. Was bin ich nur für ein egoistisches Arschloch. Nur wenige Sekunden später trägt mich mein Kopf automatisch von Phil zu Dex weiter und ich stelle mir vor, dass er mit uns an diesem Tisch sitzt und mit seiner rauen Stimme einen sarkastischen Kommentar von sich gibt. „Als Steves Schicht dann vorbei war, habe ich gedacht, seine Augen fallen jeden Moment raus. Das war kinoreif. Ich hab mir das Lachen verkniffen und Phil hat sich bloß zu ihm hinübergedreht und mit vollem Mund gesagt: ‚Ift irgendwaf?'"

FeuerwerkWhere stories live. Discover now