56 - Noah

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NOAH

Wäre das Leben ein Billardspiel, dann wäre ich definitiv eine Kugel und kein Queue. Sich herumschubsen lassen, anstatt zuzuschlagen. Stur gegen eine andere Kugel prallen und hoffen, dass sie sich dabei nicht verletzt. Auf Widerstand treffen und einen neuen Weg einschlagen. Nachgeben. Mich lenken lassen.

„Woran denkst du?", reißt Clem mich aus meinen Gedanken und endlich kann ich den Blick von der weißen Kugel abwenden, die über den Tisch rollt und dabei eine rote trifft.

Ich zucke mit den Schultern. „Ich hatte gehofft, ich wäre besser, nachdem mein Cousin mir neulich ein paar Tipps gegeben hat. Aber trotzdem verliere ich hier gerade haushoch."

„Und? Dann verlierst du eben. Ist doch scheißegal. Du hast schon eine Freundin, die dich seit Jahren erträgt, also musst du niemanden mehr beeindrucken." Clem stößt mich mit dem Ellbogen an und grinst. „Wie hast du das mit Maya damals überhaupt hinbekommen?"

Ich verdrehe die Augen. Natürlich kennt Clem die Geschichte. Clem kennt all meine Geschichten.

„Ouh, ich bin dran! Schieb deinen Arsch zur Seite und mach Platz für mein Talent, Nimy!"

„Keine Sorge, dein mickriges Talent hätte hier auch genug Platz, wenn zehn Elefanten anwesend wären", kontert das kleine Sommersprossenmädchen, geht aber trotzdem zur Seite.

Nimy war schon immer ein Mensch für sich. Jemand, der in Welten abtaucht, die Normalsterbliche nicht sehen können. Aber heute Abend kommt sie mir noch abwesender vor als sonst. Die Sprüche, die sie von sich gibt, sind wie ein durchsichtiges Schutzschild - es beschützt Nimy, aber man sieht dennoch, dass sie sich ängstlich dahinter zusammenkauert und auf den vernichtenden Schlag wartet.

Okay, Noah, du hast in letzter Zeit definitiv zu viele Marvel-Filme gesehen.

Ich schüttele den Kopf und tippe eine Antwort an Travis, der gefragt hat, wann ich für die erste Bandprobe Zeit habe. Nachdem Nicole, die inoffizielle Freundin meines Cousins, mir die Nummer ihres Bruders gegeben hat, habe ich mich bei ihm gemeldet und nachdem klar war, dass wir denselben Musikgeschmack haben, wollte ich wirklich Teil seiner Band werden. Es ist vermutlich albern, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mir irgendetwas ohne Maya aufbauen sollte, seit Jonathan mir bewusst gemacht hat, wie sehr ich von ihr abhängig bin. Sie kann doch nicht immer der Planet sein, den ich umkreise, als wäre ich ihr persönlicher Mond. Das kann ja auf Dauer nicht gesund sein. Oder? Seltsamerweise stört es mich erst seit dem Abend mit Jonathan.

„Irgendwie ist das nur noch ein Clem-Nimy-Duell, was?" Maya ist von der Toilette zurück, schlingt ihre Arme um meinen Bauch und lehnt nun ihren Kopf an meine Schulter. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus. Maya ist wie das nach Hause Kommen nach einer langen, anstrengenden Reise. „Eleanor, hast du noch Lust mitzuspielen oder überlassen wir ihnen das Schlachtfeld?"

„Ich weiß nicht." Nachdenklich starrt Eleanor auf ihre Hände. „Ich bin nicht besonders gut in Billard."

„Wer ist das schon?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen und sofort hören wir ein lautes „Ich!" von Clem und Nimy, die einander daraufhin anstarren und im nächsten Moment zu lachen anfangen. Es dauert ein paar Sekunden, bis sie sich beruhigen.

„Ich denke, mir reicht es auch für heute", meint Nimy dann. „Sonst endet das noch in einem Blutbad."

„Also wollt ihr euch jetzt alle in euren Zimmern verkriechen wie die ärgsten Langweiler?", schnaubt Clem. „Palma und Dex sind gerade dabei, Phil zu entführen. Wir sollten auch irgendwas tun." Abwartend sieht sie uns an, aber keiner weiß so recht, was er darauf antworten soll. „Meinetwegen nichts so Bedeutendes. Aber einfach irgendwas. Das ist quasi unsere Abschlussfahrt, lasst uns wenigstens noch in irgendeiner Bar was trinken gehen."

FeuerwerkWhere stories live. Discover now