Feuerwerk

67 - Ace

ACE

Nach Dex' Text herrscht erst einmal Schweigen im Publikum. Nicht dass es davor laut gewesen wäre, nein. Aber nun sind selbst die letzten Gespräche verstummt, die ein Zeichen dafür waren, wie wenig es die Zuschauer interessiert hat, was hier auf der Bühne vorgetragen wird. Anscheinend hat Dex sie irgendwie gepackt, dabei hat er nicht einmal mit einer besonders lauten Stimme vorgetragen. Er klang einfach nur total lässig und entspannt, als würde ihn die ganze Welt nicht interessieren und jeder könne ihn kreuzweise. Clem zu meiner Linken schnaubt einmal leise, als wisse sie nicht, was sie dazu sagen soll, und diese Tatsache zaubert ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Sie einmal sprachlos zu sehen, ist irgendwie... cool. Schräg. Verwirrend. Aber hauptsächlich cool.

Ich drehe meinen Kopf kaum merklich nach rechts, um die Reaktionen meiner Mitschüler einzufangen. Noah und Phil grinsen amüsiert vor sich hin, Nimy legt lachend eine Hand auf Phils Schulter und sagt etwas zu ihm, von dem ich nur „auf einer Gartenliege also" verstehe, und Eleanor und Palma sehen aus wie das genaue Spiegelbild von den beiden Jungs neben mir. Einzig und allein Maya hat kein Lächeln im Gesicht, sie sieht eher etwas pikiert aus. Einige Sekunden später schüttelt sie allerdings den Kopf, fängt sich wieder und dreht sich zu uns um, um Eleanor heranzuwinken.

„Ihr dürft nicht so lange Pausen zwischen den einzelnen Texten machen, das verwirrt das Publikum", zischt sie uns zu, während Eleanor sich ganz klein zu machen versucht, als könne sie sich damit Mayas Röntgenblick entziehen. Doch keine Chance. „Eleanor, jetzt komm' schon. Wir haben das doch besprochen und du hast gesagt, du kriegst das hin."

Unter welchen Umständen auch immer Eleanor das zu Maya gesagt hat - sie gelten anscheinend nicht mehr. Das blonde, zierliche Mädchen sieht aus, als würde sie sich jeden Moment übergeben, und ich würde es ihr nicht einmal übelnehmen. Eleanor ist diejenige von uns, die mir am ähnlichsten ist. Wir mögen es beide nicht, vor großen Menschenmassen zu reden und im Scheinwerferlicht zu stehen. Wir machen uns lieber klein und unsichtbar, aber heute geht das nicht. Heute sind wir als Gruppe hier. Heute sind wir ein Team.

„Du schaffst das, Eleanor", höre ich mich zu ihr sagen und mir entgeht nicht, wie die anderen mich erstaunt anstarren.

Allerdings nur einen kurzen Moment, denn dann wendet sich auch Phil an sie und nickt bekräftigend. „Du haust sie alle von den Stühlen."

Als Eleanor schließlich vortritt und sich neben Maya stellt, zittern ihre Hände. Neben mir murmelt Clem vor sich hin und ich weiß selbst nicht, was heute mit mir los ist, als ich auch schon nachfrage.

„Ich sagte, dass Maya ihre Lehrerhaltung ruhig mal aufgeben und eher einen Arm um El legen könnte. Die Kleine macht sich doch gleich in die Hose." Mir entweicht ein Lachen, denn Eleanor ist gute zehn Zentimeter größer als Clem und sicher keine „Kleine". Doch insgeheim gebe ich ihr recht. Was nützt es uns, alle genau im richtigen Takt vorzutragen, wenn wir darüber vergessen, wie viel Überwindung dieses Vortragen den ein oder anderen kostet? Ich denke dabei nicht nur an Eleanor, sondern auch an mich. Vermutlich werde ich genauso verschreckt aussehen wie sie, wenn ich an der Reihe bin.

„In meinem Schrank tümmeln sich Kisten und noch mehr Kisten", ertönt es auf einmal leise aus den Lautsprechern und aus dem hinteren Bereich der Aula werden sofort Rufe laut, man könne nichts verstehen. Ich kann beinahe sehen, wie Eleanor vor meinen Augen kleiner und unscheinbarer wird und verspüre zum ersten Mal seit Langem den Drang, jemand anderen außer mir selbst in Schutz zu nehmen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme. Palma hat ihren Platz verlassen und sich neben Eleanor gestellt, um ihr beruhigend die rechte Hand auf den Rücken zu legen. Mit der linken greift sie nach dem Mikro und hält es vor ihren Mund.

„In meinem Schrank tümmeln sich Kisten und noch mehr Kisten, die wie Spinnenweben in den Ecken nisten und nicht mehr fortzukriegen sind."