33 - Clem

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CLEM

„Schoko-Augen?", frage ich verwirrt und runzle die Stirn.

Dex erwidert meinen Blick, öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Offenbar kann er sich seine Gedanken selbst nicht erklären. Jetzt gerade würde ich am liebsten in seinen Kopf klettern, um herauszufinden, was da wohl vor sich geht. Wäre so etwas möglich, hätte ich auch früher über seine Mutter Bescheid gewusst.

Ich drehe den Kopf zur Seite, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen und flüstere: „Vermisst du sie?"

Fuck. Denk doch mal nach, bevor du sprichst, Clem!

„Okay, scheiße, tut mir leid. Das war... ich wollte nicht... vergiss es", plappere ich schnell und sehe ihn wieder an, um seine Reaktion zu erkennen.

Aber er lächelt nur hinter einem traurigen Blick und fragt: „Hast du dich gerade bei mir entschuldigt?"

„Äh... ich schätze schon."

„Bist du betrunken?"

„Eigentlich nicht", gebe ich zu. 

„Dann hatten wir wohl gerade unser erstes Mal." Ein Grinsen, so breit, dass es nicht in sein Gesicht passt, strahlt mir entgegen. Doch meine Wangen laufen knallrot an, das spüre ich genau, während meine Hände schwitzen und schwitzen und schwitzen. Scheiße, ist das widerlich. Sieht er das? Nein, der kann das doch nicht merken, so besoffen, wie der Idiot ist. Oder?

„Wo bleiben deine Zickereien, Pumuckl?" Er lehnt sich zu mir rüber und stupst mich mit der Schulter an, als wäre es das Natürlichste der Welt. Aber das ist es, verdammt nochmal, nicht. Seit Monaten haben wir kein richtiges Wort miteinander gewechselt. Und jetzt tut er so, als wären wir die besten Freunde, obwohl wir das nie waren?

„Nenn mich nicht Pumuckl, du wandelnder Aschenbecher", gebe ich im Versuch, normal zu klingen, pampig von mir.

Und Dex lacht einfach nur.

Was tun wir bloß hier? Wir sitzen am Straßenrand auf einem Fleckchen Gras und blinzeln dem Leuchtschild des Green Light Club's entgegen, während immer wieder Grüppchen von Teenagern hinaus- oder hineingehen. Wenige Meter links von Dex befindet sich seine schmackhafte Kotze.

Ich wollte heute Abend Spaß haben, mich ablenken, tanzen, einige Shots trinken und vielleicht einen der Idioten aufgabeln, die da drinnen herumtorkeln und trotzdem nicht völlig hirnamputiert wirken. Manchmal brauche ich solche Abende. Manchmal kommt Nimy mit. Manchmal nicht.

Ich bin keine Hure. Aber ein bisschen Spaß, ein paar Gedanken in Alkohol ertränken, sich auch mal begehrenswert zu fühlen... wem schadet das denn?

Heute war so ein Abend, aber irgendwie hat es absolut nicht funktioniert. Noah und Maya schwirren zu sehr in meinem Kopf herum. Es ist, als hätten sie ein Zelt in meinem Gehirn aufgeschlagen und würden nun dort campen. Wenn ich dran denke, was sie da drin wahrscheinlich anstellen... Wäh. Nein. Stopp. Aus. Mir die beiden beim Vögeln vorzustellen, hat mir gerade noch gefehlt.

Ich hab den Club eigentlich verlassen, um meine große Schwester anzurufen, die mich abholen soll. Aber die dumme Ziege hebt nicht ab. Und so hab ich Dex entdeckt – so angesoffen, dass er sein eigenes Spiegelbild wahrscheinlich nicht wiedererkennen würde – und ihn vor der Sterilisation durch das Mädchen bewahrt, dessen Speichel er vorhin wahrscheinlich auch ausgekotzt hat.

„Gehst du zu Fuß nach Hause?", fragt Dex auf einmal und klingt dabei fast schon wieder klar im Kopf.

Ich schüttle den Kopf. „Diesen scheißlangen Weg tue ich mir heute nicht mehr an."

„Also wirst du abgeholt?", hakt er weiter nach. Wahrscheinlich will er jetzt auch noch mitfahren, der Arsch. Dabei wohnt er doch nur zwei Straßen weiter.

„Glaub ja nicht, dass du mich auch so leicht um den Finger wickeln kannst, damit ich dir jeden Wunsch von den Lippen ablese, bis du wieder eine deiner Schlampen findest, die das an meiner Stelle tun kann." – das will ich eigentlich sagen.

Aber dann kommt mir in den Sinn, dass er vielleicht niemanden hat, der ihn abholt. Wenn seine Mutter... Ich will es gar nicht weiter durchdenken. Im Normalfall hätte er wohl Phil anrufen können – aber das kann man auch vergessen. Was ist mit seinem Dad?

Noah, was hast du nur mit mir angestellt, dass ich mir jetzt ernsthaft Sorgen über solche Dinge mache? Bei dem Gedanken an meinen – ehemaligen? – Sandkastenfreund zieht sich meine Brust zusammen und ich empfinde nur noch eins: Angst. Sie hassen mich. In Wahrheit hassen sie mich alle. Und ich hab nicht einmal das Recht dazu, deswegen sauer zu sein.

Ich räuspere mich. „Meine Schwester geht nicht an ihr Handy. Aber ja, sie sollte mich abholen."

Er kratzt sich am Hinterkopf und lächelt dann irgendwie verlegen, was ihn deutlich jünger aussehen lässt. „Willst du mitkommen? Ist ja nicht weit bis zu mir."

Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, aber plötzlich springe ich auf. Unglaubliche Wut beginnt in mir zu brodeln. Ich hätte es wissen müssen... „Was soll die Scheiße? Glaubst du wirklich, dass ich jetzt einfach so mit zu dir gehe und dir deinen-"

„Beruhig dich, Clem", unterbricht er mich mit langsamer Stimme. Ächzend und vor allem schwankend kämpft auch er sich auf die Füße. Dann starrt er auf mich herab und ich fühle mich einmal mehr wie ein Zwerg. „Wir haben zwei Gästezimmer und eine Couch. Ich werde dich nicht anrühren."

Ich verschränke die Arme vor der Brust und tue einfach so, als wäre mir das jetzt kein bisschen peinlich. „Gut. Das wäre nämlich absolut widerlich."

„Ja, absolut", stimmt er schnell zu.

Wir starren einander an, obwohl wir kaum etwas sehen können in dem fahlen Licht. Mein Herz macht mir Angst. Es ist so laut und gruselig. Wie kann es sein, dass ich dieses Klopfen so gut höre, wo doch gerade auf der anderen Seite der Straße ein Dutzend betrunkene Vollpfosten herumschreien?

„Also?", fragt er noch einmal mit hochgezogener Augenbraue nach.

Doch bevor ich ihm eine Antwort geben kann, vibriert das Handy in meiner Hosentasche und Oliver Sykes stimmt den Song „Deathbeds" an.

Eyes like a car crash

I know I shouldn't look but I can't turn away.

„Sieht so aus, als würde ich doch abgeholt werden", höre ich mich murmeln und Dex macht einen Schritt zurück. Er kramt eine Zigarettenpackung aus seiner Jackentasche und die Welt holt mich ein. Auf einmal höre ich alles. Das Geschrei, den dumpfen Bass, der aus dem Club kommt und einige Autos, die an uns vorbeizischen. „Kommst du allein zurecht, Kotzbrocken?"

„Klar, Giftzwerg."

Die nächste halbe Stunde verbringe ich wie in Trance. Dex verschwindet mit einem Nicken und ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt hier war. Ich warte alleine in der Kälte. Dann erscheinen die Scheinwerfer von Mums Auto vor meinen Augen und wie eine Motte werde ich davon angezogen.

Wenig später liege ich zuhause in meinem Bett und versuche, nicht an Dex zu denken. Ich versuche es. Aber nicht an etwas denken zu wollen, ist nur ein anderer Weg, um daran zu denken. Oh, verdammte Scheiße. Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiß, doch in einer Sache bin ich mir ziemlich sicher:

Sich in ihn zu verlieben, wäre emotionaler Selbstmord.

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In diesem Sinne: FROHE WEIHNACHTEN ;)
Wir hoffen, ihr genießt diese Zeit mit euren Liebsten und sammelt schöne Momente <3

- liljaxxx & knownastheunknown - 

PS: Tut mir leid, dass es nicht sonderlich weihnachtlich ist, aber ich (knownastheunknown) konnte einfach nicht widerstehen, den Song "Deathbeds" oben dranzuhängen. Ich finde ihn viel zu passend für dieses Kapitel ^^

FeuerwerkHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin