25 - Eleanor

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ELEANOR

Was hab ich mir nur dabei gedacht? Ich verfluche mich selbst schon dafür, dass ich in das Just chill gegangen bin. So eine Szene zu machen und jemandem weinend um den Hals zu fallen, ist eigentlich nicht meine Art. Ich bin zwar ein gefühlsbetonter Mensch und weine ziemlich oft, aber normalerweise lieber für mich.

„Willst du dich in den Mitarbeiterraum setzen?", fragt Palma mich besorgt, als hätte sie gerade meine Gedanken gelesen. Ihre Hand ruht auf meiner Schulter und löst ein kribbelndes, komisches Gefühl in mir aus.

Ich nicke und werfe kurze Blicke durch das Café. Beinahe jeder Tisch ist besetzt. Die meisten Gäste kenne ich nicht, aber unweit von uns sitzt Dex bei zwei jungen, dunkelhäutigen Mädchen, die fast identisch aussehen.

Palma bedeutet mir, ihr zu folgen und mit wackeligen Schritten betrete ich den Bereich hinter dem Tresen. Der Mann an der Kasse beäugt uns skeptisch, aber er fragt nicht weiter nach. Scheinbar vertraut er Palma.

Wenig später finde ich mich in einem kleinen Lagerraum wieder, der außerdem einen quadratischen Tisch und drei Klappstühle enthält. Zögernd lasse ich mich auf den Platz neben Palma sinken, die sich bereits gesetzt hat.

„Du... Ich... äh." Großartig. So macht man sich Freunde. Man platzt weinend herein und bringt dann kein Wort heraus.

„Beruhig dich erst einmal." Aufmunternd lächelt sie mich an. „Willst du eine Tasse Tee? Du trinkst doch keinen Kaffee, oder?"

Das hat sie sich gemerkt? Als ich einmal mit meiner Stiefmutter hier war, hab ich ihr erklärt, dass ich Kaffee zu bitter finde, während Palma daneben stand.

„Das wär nett." Ich schniefe. „Ich will dich aber nicht zu sehr von der Arbeit abhalten. Es tu-tut mir leid."

Sie macht eine abwehrende Handbewegung. „Pas de souci. Schon gut. Die da draußen werden ein paar Minuten ohne mich auch überleben." Trotzdem steht sie auf. „Ich bin gleich wieder da und bring dir deinen Tee."

Mein Atem geht zu schnell. Ich bin nervös und aufgewühlt und irgendwie verzweifelt, ohne den Grund genau zu kennen, und fühle mich elektrisch aufgeladen und müde und verwirrt und mir ist kalt.

Palma kommt viel zu früh zurück. Eigentlich wollte ich mir noch zurechtlegen, was ich jetzt am besten sage, aber dafür ist es wohl zu spät. „Danke", murmele ich, ringe mir ein Lächeln ab und schließe die Hände um die angenehm wärmende Tasse.

Palma setzt sich wieder und schweigt einfach nur. Wahrscheinlich will sie mir keinen Druck machen, aber mit jeder Sekunde, in der sich diese Stille ausdehnt, fällt es mir etwas schwerer, den Mund aufzumachen. Jetzt gib dir verdammt nochmal einen Ruck!

„Ich glaube, du kennst meine Stiefmutter, Sara. Wir waren schon ein paarmal gemeinsam hier", beginne ich und Palma nickt. „Sie ist schwanger, also naja, sie war schwanger, äh, wird schwanger gewesen sein. Das Baby kommt heute Nacht. Und i-i-ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll." Ein neuer Kloß bildet sich in meinem Hals. Was stimmt bloß nicht mit mir, dass ich immer so schnell zu weinen beginnen möchte? Ich atme tief durch. „Meine Mum macht das alles auch ziemlich fertig, weil mein Vater uns verlassen hat, als sie mit mir schwanger wurde. Und jetzt hat er dann seine eigene, neue Familie und ist auf einmal bereit für die Verantwortung und... ja, okay. Vielleicht hat er sich verändert. Immerhin ist es achtzehn Jahre her, seit er meine Mum verlassen hat... aber... Wir waren ihm nicht einmal den Versuch wert, verstehst du?"

Dann erst fällt mir wieder ein, was Palma durchmachen musste und durchmachen muss und ich fühle mich wie der schrecklichste Mensch auf Erden, dass ich mit diesen dummen Sorgen ausgerechnet zu ihr renne. Wieso überhaupt? Was hat mich zu Palma geführt? Ich kann es mir beim besten Willen nicht erklären.

„Tut mir leid, ich hab so dumme Sorgen. Und du... Also ich sollte lieber froh sein, wegen dem, was ich hab. Und nicht herumjammern, dass mein Vater uns im Stich gelassen hat. Er hat versucht, es besser zu machen... aber... man kann die Zeit nicht zurückdrehen." Jedes Wort, das ich von mir gebe, klingt in meinen Ohren bescheuert. Es wird immer dümmer, sinnloser und taktloser.

„Hey", meint Palma und ich sehe ihr zum ersten Mal in die Augen, seit ich zu sprechen begonnen habe. „Es ist okay, sich Sorgen zu machen. Bei so etwas sollte man nie anfangen, Vergleiche anzustellen. Würden wir das tun, müsste sich jeder von uns schlecht fühlen, wenn wir Phil gegenübertreten. Dann dürften wir doch alle gar keine Ängste mehr haben, oder? Wem würde es etwas bringen? Phil würde sich nicht gut dabei fühlen und wir auch nicht, wenn wir all das unterdrücken und in uns hineinfressen." Ein kleines Lächeln bildet sich um ihre Lippen. „Also, noch einmal konkret. Was sind deine Sorgen?"

„Ich... Ich schätze, ich hab Angst, dass mein Vater diese neue Familie uns immer vorziehen wird. Und dass Mum damit nicht umgehen kann. Und dass ich meinen Halbbruder hasse, weil er das Leben bekommt, das ich hätte haben sollen."

Ich fühle mich so leer wie eine ausgequetschte Zitrone und mein Hirn ist Matsch, als ich Palmas Blick erwidere. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, alles durch meine Tränen loswerden zu müssen. Es geht mir besser. Ich bin leichter. Meine Ketten sind gelöst und ich schwebe.

„Wenn du deinen Bruder in den Armen hältst, wird es dir schwerfallen, ihn zu hassen." Ihr Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen und mal wieder bewundere ich den Kontrast von weißen Zähnen zu dunkler Haut. „Ich habe zwei kleine Schwestern, ich weiß, wovon ich spreche. Egal, was sie anstellen, man hat sie immer lieb. Sei einfach ein bisschen optimistischer, Eleanor. Du kannst versuchen, viel Zeit mit deinem Bruder zu verbringen und eine Bindung zu ihm aufbauen, dann bist du deinem Vater vielleicht auch näher... Und rede mit deiner Mutter darüber. Sonst frisst sie das alles noch in sich hinein, weil sie dich nicht damit belasten will."

Ich weiß nicht, wo die Worte herkommen, die ich als nächstes sage, denn eigentlich sind sie mir schrecklich peinlich, aber wahrscheinlich geht mein Hirn davon aus, dass ich heute schon so viele Grenzen überschritten habe, dass es egal ist.

„Manchmal tanze ich mit Mum durch's Haus, während wir ganz laut irgendwelche Lieder der Beatles aufdrehen. Das hilft fast bei allen Dingen. Sie liebt die Beatles."

Palma lacht leise. „Das klingt wundervoll. Ich glaube, ich komme mal vorbei."

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Seid ihr auch so emotionale Menschen wie Eleanor, die gerne mal losheulen? xD Sowas hat schon oft was Befreiendes... ^^

- liljaxxx & knownastheunknown - 

FeuerwerkWhere stories live. Discover now