17 - Nimy

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NIMY

„Komm, Phil, du musst mir schon ein bisschen helfen. Du bist doppelt so groß wie ich, ich kann dich nicht tragen!" Verzweifelt versuchte ich, den drei Köpfe größeren Jungen von der Couch zu hieven. Hier konnte er ja nicht liegen bleiben.

„Willschlafen", nuschelte dieser nur und rollte sich noch ein wenig mehr auf der Couch zusammen. Ich seufzte. Dann würde ich mir wohl Hilfe holen müssen. Langsam ließ ich meine Augen durch den Raum wandern und entdeckte einen Kerl, der ganz in schwarz gekleidet an der Wand lehnte und ebenfalls zu mir hinübersah. Los, Nimy. Nicht jeder will dich begrabschen wie der ältere Opi vorhin.

„Kannst du mir vielleicht helfen?", brüllte ich ihm entgegen, doch an seiner Geste erkannte ich, dass er kein Wort verstanden hatte. Also zeigte ich auf Phil, der vor mir wie tot auf der Couch lag und dann auf eine Tür, hinter der sich meines Wissens nach ein Schlafzimmer befand. Der Junge gegenüber verstand, kam mir trotzdem nur zögernd näher. Hatte er etwa Angst? Vor mir? Ich war ein laufender Meter, was sollte ich ihm schon tun?

„Danke", sagte ich und lächelte ihn leicht an. Wow. Was für Augen. Eine Sekunde lang vergaß ich, wie man atmete.

„Kein Problem", erwiderte er mit der sanftesten Stimme, die ich je gehört hatte. Doch wie er sich nervös umsah und an dem Reißverschluss seiner Jacke spielte, merkte ich, dass es durchaus ein Problem war. Er erinnerte mich an Eleanor, die auch lieber unsichtbar und im Verdeckten blieb. Nimy, wach auf. Du starrst.

Peinlich berührt fuhr ich mir durch meine Locken, obwohl ich wusste, dass es eh nichts bringen würde und die wie immer in alle Richtungen abstanden. „Okay, also wir müssen ihn in dieses Zimmer da hineinbekommen."

Der Kerl nickte, machte jedoch keine Anstalten, Phil zu tragen. Was ist das denn für einer? Schöne Augen, aber nichts im Hirn? Gott, ich klang schon wie Clem. Nach einem Blick auf seine dünnen Ärmchen wurde mir sein Zögern klar.

„Okay, weißt du was. Wir schieben ihn einfach mit Couch zusammen einmal durch den Raum, dann kannst du gehen, okay?"

Kurz dachte ich, so etwas wie Erleichterung in seinen Augen zu sehen und das verletzte mich irgendwie. Was wollte ich denn? Ich kannte den Typen gar nicht! Ich wusste ja nicht einmal, wie er hieß.

„Wie heißt du eigentlich?", fragte ich ihn also, während wir mit vereinten Kräften den schnarchenden Phil durch den Saal schoben.

Erst dachte ich, er würde mir nicht antworten, doch dann sagte er doch etwas. „Ace."

Ace. Wer nennt sein Kind denn Ace?, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß. Doch dann schaute ich Ace von der Seite noch einmal unauffällig an. Bemerkte seine blasse Haut, die dunklen Augenringe und trotzdem dieses stechende Grün seiner Augen, die förmlich aus ihm herauszustrahlen schienen. Und dieser Name passte auf einmal perfekt zu ihm.

„Diese Tür?" Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir das Gästeschlafzimmer schon erreicht hatten. Zumindest hoffte ich, dass es das Gästezimmer war, so genau kannte ich mich in Dex Haus nicht aus. Phil hatte mir nur einmal ungefähr davon erzählt, wo sich was befand und ich betete, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag.

„Ja genau." Ich ging um die Couch herum, um die Tür zu öffnen und streifte dabei versehentlich Ace Arm. Oh mein Gott. Es war, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Das bildest du dir alles nur ein. Reiß dich jetzt zusammen, Nimy.

„Okay, das ist es", verkündete ich, nachdem ich einen Blick in das Zimmer geworfen hatte und hoffte, dass Ace das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkte. Er schaute mich einen Moment zu lang an, schüttelte dann jedoch verwirrt den Kopf, als wüsste er selbst nicht, was er gerade tat, und schob dann die Couch samt Phil in das kleine Räumchen, das eigentlich gar nicht so klein war. Es standen ein Bett, Waschbecken und sogar ein Fernseher darin. Und jetzt auch die graue Ledercouch, auf der Phil tief und fest schlief. Ich hoffe bloß, er sabbert nicht in der Nacht oder muss sich übergeben.

„Ja, dann...", fing Ace nach einem Schweigen an und räusperte sich leicht. Ich errötete ein wenig.

„Es tut mir echt leid, dass ich manchmal so in Gedanken bin, das ist nicht, weil ich dich ignoriere oder du langweilig bist" - super, Nimy. Mach ja so weiter - „sondern weil ich einfach sehr schnell in meiner eigenen Welt bin", versuchte ich mich rauszureden. Boden, tu dich auf und verschluck mich.

„Das kenne ich", sagte Ace leise und seine Stimme klang noch viel weicher als zuvor. Ich war mir sicher, ich würde gleich wie Honig dahinschmelzen.

„Träumst du auch viel?", fragte ich vorsichtig, um ihn nicht zu verscheuchen. Doch anscheinend nicht vorsichtig genug. Sein Blick hetzte durch den Raum, bis er an mir hängen blieb. Es war, als würde er mich mit seinen Augen durchbohren und in meine Seele sehen. Genau, Nimy. Und als nächstes reitet er auf einem Einhorn davon.

„Ich muss jetzt gehen", presste er hervor und ich fragte mich, was ich falsch gemacht hatte.

„Ähm, okay?" Wahrscheinlich sah ich so verwirrt aus, wie ich klang. Mit weit aufgerissenen Augen und zu allen Seiten abstehenden Haaren. Manchmal hasste ich meine Locken, die eine Naturgewalt für sich waren.

Ace verschwand so leise, als würde er schleichen. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen. Oder so, als hätte er gelernt, sich unsichtbar zu machen.

Um meine Gedanken abzuschütteln, lief ich schnell zur Tür und schloss sie energisch hinter mir. Dann setzte ich mich neben Phil und strich ihm ein paar Haare aus dem Gesicht. Er sah so süß aus, wenn er schlief. Wie ein kleines, unschuldiges Kind. Trotzdem machte ich mir irgendwie Sorgen, wieso er sich so abgefüllt hatte. Und wieso Dex nicht da gewesen war, um sich um ihn zu kümmern. Haha. Dex. Ja klar.

Bei dem Gedanken an Dex fiel mir Clem wieder ein, die ich eigentlich anrufen sollte, sobald ich diese Party hier verlassen konnte. Wegen ihres Basketballtrainings konnte sie nicht kommen und erwartete dafür eine genaueste Berichterstattung von mir. Seit dem Vorfall letzte Woche mit Angie und Dex hatten wir uns rasch wieder vertragen. Ich hatte ihr klargemacht, dass ich sie so liebte, wie sie war, nur dass sie es vielleicht nicht immer auf die Spitze treiben musste, weil die anderen nicht so eine unerschöpfliche Liebe zu ihr hegten. Und ich machte ihr deutlich, dass auch Freundlichkeit nicht vollkommen überbewertet war.

Ob es an unserem Gespräch lag oder an etwas anderem, seitdem herrschte zwischen Dex und Clem irgendwie Funkstille. So etwas hatte es noch nie gegeben und an den verständnislosen Blicken meiner Freundin konnte ich merken, dass sie es auch nicht verstand. Es war, als wäre ihr ihr Spielpartner abhanden gekommen und das wurmte sie doch mehr, als sie zugeben wollte.

Einem Impuls folgend gab ich Phil einen leichten Kuss auf die Wange, zog meine Klamotten aus und schlüpfte nur in Unterwäsche in das große Doppelbett, dass ich nun, da Phil auf der Couch schlief, ganz für mich alleine hatte. Dann schnappte ich mir mein Handy und wählte Clems Nummer.

Das konnte eine lange Nacht werden.

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Soso... da ist Ace also endlich ;)
Was sind eure ersten Eindrücke?

- liljaxxx & knownastheunknown -

FeuerwerkWhere stories live. Discover now