9 - Phil

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PHIL

Ich liebte Sport einfach. Es war schon keine Liebe mehr, sondern etwas noch viel stärkeres. Vielleicht hatte ich eine Sportobsession, ich wusste es nicht. Und eigentlich war es mir auch egal, solange ich den Sport hatte, war ich glücklich. Ich konnte all meine Gefühle loslassen und mich, so verrückt es auch klang, irgendwie erden. Dex würde dich schlagen, könnte er diese Gedanken hören, meldete sich eine Stimme in den Ecken meines Kopfes und ich musste grinsen.

„Was ist so lustig, Kumpel?“, ertönte sogleich seine Stimme neben mir und ich schlug den grauen, verbeulten Spind zu, aus dem ich soeben unser Literaturbuch herausgeholt hatte. „Nichts Wichtiges.“

„Nichts Wichtiges? Du hast ausgesehen, als wärst du auf Drogen und würdest von Einhörnern begleitet ins Schlaraffenland fliegen.” Wir durchquerten die Aula und ich konnte nur den Kopf schütteln.

„Deine Sprüche werden von Tag zu Tag schlechter, Dixi-Boy“, meinte ich lachend und rannte los, als Dex mir auf die Schulter klopfen wollte. Seine Schulterklopfer waren nämlich kein Klopfen, sondern eher ein Trümmern. Wenn Dex dir auf die Schulter klopfte, zertrümmerte er etliche Knochen gleich mit. Okay, das war ein wenig übertrieben, aber es war wirklich nicht schön, Dex’ Faust gegen die Schulter geknallt zu kriegen.

Außer Atem erreichten wir unseren Raum, ich eine Armlänge vor ihm und schnappte mir Clem, die ebenfalls schon da war, als Schutzschild. Jeder Normalsterbliche würde mich ratlos ansehen und sich verzweifelt fragen, wer sich denn einen Menschen als Schutzschild nahm, der halb so groß war wie man selbst. Doch ich war nun mal kein Normalsterblicher, ich war Phil McKinley, die Intelligenzbestie.

Denn, wie erwartet, ging Clem sofort auf Dex los, als er versuchte, über sie hinweg an mich heranzukommen. Die zweite Auseinandersetzung an diesem Tag, bei langem kein Rekord.

Manchmal fragte ich mich, ob die Beiden das einfach brauchten. Vielleicht würde ihnen ihr Lebenssinn abhanden kommen, würden sie sich einmal nicht anblaffen?

Während der 1,60 Meter große Mensch vor mir und der fast zwei Meter Riese in eine großartige, hitzige Diskussion ausbrachen, wer wen wo auf keinen Fall anfassen würde, lehnte ich mich sichtlich entspannt und mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen gegen die Tür hinter mir. Ich liebe es, wenn meine Pläne aufgehen. Schlau zu sein hatte auf jeden Fall seine Vorteile und ich war mir sehr wohl ihrer bewusst.

Noah und Maja kamen händchenhaltend von der anderen Seite des Flurs auf mich zu und Noah flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, was Maya zum Strahlen brachte. Immer diese Pärchen. Ich freute mich ja wirklich für sie, doch manchmal war es einfach anstrengend zu sehen, wie verliebte Menschen die ganze Zeit aufeinander hockten. Wurde das denen nicht auch irgendwann mal zu viel?

„Unser Lieblingspaar wieder vereint, wie ist das schön“, meinte Noah grinsend, als die beiden mich und die zwei Streithähne erreicht hatten.

Augenblicklich hörten Dex und Clem auf, sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen wie „angepinkelte Gesichtsbratsche“ oder „dreckfressende Nacktschnecke“ und durchbohrten Maya mit solchen Blicken, dass einem Angst und Bange wurde.

„Wir sind kein Paar“, riefen sie gleichzeitig aus und guckten dann jeweils den anderen böse an, da dieser gleichzeitig genau dasselbe gesagt hatte. Oder, weil sie wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben der gleichen Meinungen waren, was einfach weltverändernd war. Noah hatte wohl ähnliche Gedanken im Kopf, denn ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er wackelte demonstrativ mit den Augenbrauen und ich prustete los.

„Was ist?!“, fragten Dex und Clem und verstummten abrupt, als ihnen bewusst wurde, dass sie schon wieder unisono geredet hatten. Zwei Mal hintereinander die gleichen Wörter zur gleichen Zeit – das war wohl zu viel für sie und sie waren so verschreckt, dass sie erst einmal für eine Weile still waren.

„Ist das zu glauben? Es ist auf einmal so leise und friedlich hier“, gluckste ich und hielt Noah die Faust hin zum Einschlagen.

„Lebensziel erreicht, Dex und Clem sind für einen Moment leise“, ergänzte er grinsend und klopfte mit seiner Faust gegen meine.

„Macht ihr euch nur lustig“, murmelte Clem, doch sie klang ungewöhnlich leise und schielte immer wieder unauffällig zu Dex, der sie mit weit aufgerissenen Augen ansah und seit einer Minute kein einziges Mal mehr geblinzelt hatte.

„Schon auf Einhörnern unterwegs?“, fragte ich ihn grinsend und legte ihm mitfühlend einen Arm um die Schultern. „Wenn du sanft durch seine Mähne fährst, fühlt es sich an wie im Paradies“, provozierte ich ihn weiter, doch Dex schüttelte nur den Kopf, machte den Mund auf, als würde er etwas sagen wollen, sah zu Clem und machte ihn wieder zu.

„Was habt ihr getan?“ Nimy lief so schnell auf uns zu, dass sie fast schon rannte. Ihre Locken flogen hinter ihr her und ihre Tasche schlug ihr gegen die Beine, doch das hielt sie nicht auf. „Wie habt ihr es geschafft, dass sie endlich still sind?“, fragte sie uns außer Atem und fuhr sich durch die Haare, woraufhin diese erst recht zu Berge standen. Trotzdem konnte man nicht leugnen, dass Nimy wirklich hübsch war. Mit diesen Locken, den unzähligen Sommersprossen und ihren Kurven drehten sich durchaus die Jungs nach ihr um, doch ihr schien das gar nicht aufzufallen.

Wir konnten ihr leider nicht mehr von unserem soeben erfahrenen Wunder berichten, da Miss O’Hara in diesem Moment mit Palma und Eleanor im Schlepptau sich unserem Raum näherte und vorsichtig aufschloss. Nachdem jeder sich auf seinen Platz gesetzt hatte – Clem und Dex immer noch schweigend – blickte Miss O’Hara uns an und lächelte leicht.

„Wir haben heute das Vergnügen wieder eines eurer Gedichte zu hören.“ Ihre Augen wanderten über unsere Gesichter und blieben schließlich bei Dex hängen. „Möchtest nicht du uns heute erzählen, was dir so auf dem Herzen liegt?“ Dex hatte seine Stimme mittlerweile anscheinend wiedergefunden, denn er schenkte ihr ein aufreizendes Lächeln.

„Ich und Phil haben ein Gedicht zusammen geschrieben, er möchte es gerne vortragen“, behauptete der Spinner doch tatsächlich und schenkte mir einen Das-ist-meine-Rache-für-vorhin-Blick.

Sollte mir recht sein, schließlich floss jede Beteiligung am Unterricht in unser Abitur mit ein, das wir in einem Jahr absolvieren würden. Vor uns murmelte Clem etwas von „Nur der Esel nennt sich immer zuerst“, doch entweder hörte Dex es nicht oder es war ihm egal.

„Aber gerne doch.“ Ich stand auf und stellte mich vor den Kurs, wobei mein Blick kurz bei Palma und Eleanor hängenblieb, die nun direkt vor mir saßen und beide etwas auf ihren Block kritzelten. Und Palma soll Dex beleidigt haben? Echt schwer zu glauben. Meine Gedanken verscheuchend blickte ich auf den kleinen Zettel in meiner Hand und begann, mit lauter Stimme unser Gedicht vorzutragen.

„Es fehlt etwas, seit du nicht mehr da bist. Habe nicht nur dich verloren, sondern mich gleich mit. Und ich weiß nicht, wie ich mich je wiederfinden soll, da du nicht wiederkommst.“

Ich schaute auf und sah niemanden an außer Dex. Alle, die ihn nicht so gut kannten wie ich, hätten wohl nie das Glitzern seiner Augen bemerkt, doch mir konnte er nichts vormachen. Ich wusste genau, dass es keine Rache gewesen war, mich unser Gedicht vortragen zu lassen.

Auch wenn er das vielleicht gerne so darstellte, um nicht zuzugeben, dass er es einfach nicht vorlesen konnte. Denn eigentlich war es nicht unser Gedicht.

Es war einzig und allein das von Dex, in dem er ausdrückte, was er mit normalen Worten einfach nicht sagen konnte.

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- liljaxxx & knownastheunknown -

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