74 - Maya

202 30 33
                                    

 MAYA

Während die Flammen vor meinen Augen tanzen, kann ich nicht anders, als traurig zu sein. Wieso müssen die Dinge, gerade wenn sie so schön sind, ein Ende nehmen? Ich glaube, wir haben uns alle noch nie so gut miteinander verstanden wie in den letzten Tagen. In ein paar Wochen ist der reguläre Unterricht vorbei und die Prüfungsphase im vollen Gang. Ich will gar nicht daran denken und ohne es verhindern zu können, zittere ich. Kann sein, dass es auch an der kühlen Nachtluft liegt, die trotz des Feuers meiner Körper umklammert.

„Ich will eigentlich gar nicht damit anfangen", beginnt Miss O'Hara. „Aber was habt ihr denn nach der Schule so vor?" Hat sie meine Gedanken gelesen?

Während Phil zwei neue Marshmallows an seinem Stock anbringt, ergreift er das Wort. „Reich und berühmt werden."

„Ach und wie stellst du das an, mon chéri?", fragt Palma in herausforderndem Ton.

„Mit meinem hübschen Gesicht geht das ganz leicht, keine Sorge. Ich werde ein Video von der Theateraufführung vom letzten Jahr an ein paar Hochschulen schicken. Da meldet sich bestimmt jemand. Bei mir als Macbeth schmelzen sie alle dahin."

„Ist das nicht der verrückte, machthungrige König, der am Ende getötet wird?", wirft Eleanor verwirrt ein. Sie sitzt auf der anderen Seite des Lagerfeuers und ihr Gesicht sieht aus wie ein Gemälde aus orangenem Licht und Schatten.

„Ganz genau." Mit einem Mal verziehen sich Phils Lippen zu einem Grinsen. „Damit hau ich sie alle um. Es kann schließlich nicht jeder einen Verrückten spielen."

Ein Gewicht drückt auf meinen Brustkorb. Ich genieße es, mit dem Literaturkurs hier zu sein, aber gleichzeitig versetzt es mir einen Stich. Wo werden wir nächstes Jahr alle verstreut sein? Werden wir einander noch sehen und miteinander reden? Werden wir noch befreundet sein? Oder werden wir so tun, als würden wir einander nicht kennen, wenn wir uns zufällig im Supermarkt über den Weg laufen?

„Gibst du mir was ab?", frage ich Noah leise und rücke ein Stück näher an ihn heran. Seine Marshmallows sind gerade fertig geworden.

Etwas überrascht hält er mir den Stock vor die Nase und ein süßlicher Duft steigt mir in die Nase. „Vorsicht, heiß", sagt er schmunzelnd und ich lächle müde zurück. Als wüsste er, was in mir vorgeht, nimmt Noah meine Hand in seine, streicht sanft darüber und ich fühle mich augenblicklich etwas besser.

Das Gespräch der anderen, von wegen Phil sei selbst so verrückt, dass das keine Schauspielerei sei, habe ich nur halb mitbekommen. Ich höre erst wieder richtig zu, als Phil mit Clem Witze darüber reißt, dass Dex bestimmt einmal Müllmann wird.

„Ja, du gabelst ja jetzt schon jede auf, die du auf der Straße findest", bemerkt Phil glucksend.

„Ist ja gut, jetzt beruhigt euch bitte wieder ein bisschen." Miss O'Haras Augen funkeln im dämmrigen Licht. „Palma, was ist mit dir?"

„Ich möchte für einige Zeit nach Frankreich gehen. Nina, bei der ich wohne, hat dort Verwandte. Wahrscheinlich suche ich mir für den Anfang einen kleinen Job in einem Café und dann sehe ich weiter." In mir wächst ein wenig Neid, aber kaum hat sie das gesagt, senkt sie den Kopf. Fast, als wäre es ihr peinlich.

„Wow, das klingt aufregend! Du musst uns unbedingt am Laufenden halten", kommentiert Miss O'Hara begeistert. „Und du, Eleanor?"

„Puh", macht sie bloß. Dann zieht sie ihren geflochtenen Zopf etwas straffer, wodurch sich nur noch mehr Haarsträhnen lösen und er unordentlicher aussieht als zuvor. „Ehrlich gesagt weiß ich absolut nicht, was ich machen will."

„Da bist du nicht die einzige", meldet sich Nimy. „Ich glaube, darüber mache ich mir erst ernsthaft Gedanken, wenn ich meinen Abschluss habe. Ich kann ja immer noch nicht begreifen, dass wir alle fast mit der Schule fertig sind."

„Mir geht's ähnlich", meint Ace und blickt auf das Mädchen dicht neben ihm herab. „Wenn ich Glück habe, kann ich ein Praktikum bei einem Fotografen machen. Aber mal sehen."

Ein verständnisvolles Nicken geht durch die Runde. „Ihr habt ja noch genug Zeit. Außerdem kommt es oft ganz anders als man denkt und es ergeben sich Möglichkeiten, an die man jetzt noch gar nicht denken würde. Schwebt sonst jemandem etwas Bestimmtes vor?" Erwartungsvoll wendet sich unsere Lehrerin Noah, Clem, Dex und mir zu.

„Ich bin mir noch unsicher. Vielleicht mache ich nach der Schule ein soziales Jahr, um mehr Zeit zum Nachdenken zu haben. Außerdem bin ich jetzt in einer Band. Wer weiß, was sich dadurch ergibt", erklärt Noah.

Wir haben schon oft über unsere Zukunftspläne geredet und ich kenne seine Optionen. Altenpfleger, Lehrer, Jugendbetreuer, Musiker. Oft kommt es mir so vor, als könnte er alles machen und er wäre glücklich. Ja, wahrscheinlich würde er auch nachts als schlechtbezahlter Tellerwäscher in einem Lokal arbeiten, wenn er dafür tagsüber als Straßenmusiker auftreten könnte, und hätte dabei ein Lächeln auf den Lippen.

Aber wir haben uns auch offen darüber unterhalten, dass wir beide unsere Ziele haben und sie nicht füreinander auf den Kopf werfen. Ich werde Noah nicht im Weg stehen. Mal angenommen, er hat eines Tages die Chance, mit einer erfolgreichen Band durchs Land zu reisen und würde überlegen, abzulehnen, weil er mich an der Uni zurücklassen muss – ich will nicht seine Ausrede sein, um zuhause zu bleiben. Oder er wacht eines Tages auf und denkt sich, dass es cool wäre, nicht an der Universität von Beckshill, sondern woanders zu studieren – wer bin ich, dass ich ihm da dreinreden würde?

Unsere Zukunftspläne und unsere Zukunftspläne sind völlig verschiedene Dinge.

Plötzlich trifft mich ein Ellbogen an der Seite und ich blicke auf. Miss O'Hara sieht mich abwartend an. „Und meine in Gedanken versunkene, unaufmerksame Traumfrau wird Psychologie studieren", antwortet Noah schließlich für mich und Clem flucht leise vor sich hin.

„Du also auch? Ich dachte schon, ich wäre dich endlich los", grummelt sie dann. Es ist seltsam, aber ich kann inzwischen heraushören, dass sie es als Scherz meint. Ein Grinsen liegt auf ihren Lippen und ihre Körperhaltung wirkt entspannt. Glücklich. 

„Wer weiß, ob ich den Aufnahmetest schaffe." Ich klaue noch ein Marshmallow von Noah. „Oder ob du ihn schaffst."

Nun lacht Clem laut auf. „Seit wann kannst du denn so biestig sein? Wollen wir darum wetten, wer mehr Prozent schafft?"

„Klar."

Der Mund voller Zucker, der Bauch voller Wärme, der Kopf voller sich drehender Gedanken. Eigentlich war ich bis vor ein paar Tagen noch recht planlos, was meine Zukunft angeht. Aber ich will lernen, mich selbst zu verstehen und ich will lernen, anderen zu helfen, denen ähnliche Geister im Kopf herumspuken wie mir ab und zu.

----

Was sind eure Pläne für nach der Schule? :) Oder - wenn ihr schon fertig seid - habt ihr alles so umgesetzt, wie geplant? 

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH AN LILJAXXX, die einen Watty für ihr Poesiewerk "Weil alles klein anfängt" gewonnen hat! Ich hab's dir immer schon gesagt: Du hast Talent. Und ich bin wahnsinnig froh und stolz, deine Schreibpartnerin zu sein.

Leider sind wir dem Ende von "Feuerwerk" schon unglaublich nahe. Wenn jemand Marshmallows hat, um uns zu trösten... immer her damit.

- liljaxxx & knownastheunknown -

FeuerwerkWhere stories live. Discover now