44 - Eleanor

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ELEANOR

Und wenn es sich anfühlt, als würde die Welt stehen bleiben, dann gib ihr einen kleinen Schubs und sieh' zu, wie sie sich weiterdreht.

„Das gefällt mir", meint Palma und zeigt auf das Bild mit dem Waldmotiv und dem Schriftzug an meiner Zimmerwand.

„Danke." Ich weiß nicht ganz, wohin mit mir und bleibe unschlüssig im Türrahmen stehen, während sie mein Zimmer mustert. So gut ich kann, versuche ich es durch Palmas Augen zu sehen.

Fotos, auf die ich in geschwungenen Buchstaben meine Texte schreibe – wie das, das Palma zuvor angesprochen hat – bedecken die Wände, sodass sie trotz der weißen Farbe kunterbunt sind. Ein kleines Bett und ein Schrank in der einen Ecke, ein vollgeräumter Schreibtisch und ein Regal in der anderen. Aloe vera, eine weiße Orchidee und Lavendel stehen in Blumentöpfen auf dem Fensterbrett.

„So hätte ich mir dein Zimmer nicht vorgestellt."

Ich zucke leicht zusammen. Fast hätte ich vergessen, dass diese Stille um uns herum unterbrochen werden kann. „Wie hast du es dir denn vorgestellt?" Ich gehe ein paar Schritte auf Palma zu und setze mich auf das Bett.

„Keine Ahnung, vielleicht mit mehr verschlossenen Vitrinen und mehr Geheimnissen. Die Texte an den Wänden verraten mehr über dich, als ich gedacht hätte", gibt sie zu und lässt sich neben mir nieder. „Und dein Bücherregal auch. Plötzlich Fee – ist das dein Ernst?"

Ich kann nicht anders als zu lachen und komischerweise werde ich nicht einmal rot. „Es war mein voller Ernst, als ich dreizehn war, und dafür schäme ich mich kein bisschen." Wieso kribbeln meine Wangen dann? War ja klar, jetzt schießt mir das Blut doch noch in den Kopf. „Die Bücher sind eigentlich wirklich gut geschrieben", murmele ich hinterher.

„Ich kenne sie gar nicht, aber der Titel klingt schon recht vielsagend."

Um das Thema etwas davon wegzulenken, frage ich schnell: „Was hast du früher so gelesen?"

Eine kleine Falte bildet sich zwischen Palmas Augenbrauen und sie hält inne. „Wahrscheinlich würden dir die Titel nichts sagen. Die Situation in Mali war nicht so einfach und die meisten Kindergeschichten, die ich in die Hand bekommen habe, hat eine meiner Lehrerinnen selbst auf ein paar schmuddelige Zettel geschrieben."

Ich halte die Luft an. Selten habe ich eine Angst dieser Art empfunden. Ich will fragen, wie es denn so war, in Mali in die Schule zu gehen. Ob sie in diesem fremden Land eine glückliche Kindheit hatte. Ob sie als Mädchen dieselben Rechte gehabt hat wie ein Junge. Oder wie sie es geschafft hat, mit ihren Schwestern bis nach Beckshill zu kommen. Vor allem auch, wie sie es jetzt schafft, weiterzuleben. Aber ich fürchte mich so sehr davor, mit meinen Worten ein Erdbeben auszulösen, das Palma aus dem Gleichgewicht bringt, dass ich gar nichts sagen kann.

Doch wenn sie mich so ansieht wie in diesem Moment, habe ich das Gefühl, gar nichts sagen zu müssen. Es ist, als könnte Palma durch mich hindurch blicken und in den grauen, schweren Regenwolken meines Verstands zahlreiche Lichtstrahlen erkennen.

Wenn sie mich so ansieht wie in diesem Moment, vergesse ich die Angst.

„Ich bin froh, dass du da bist", sage ich leise.

„Ich auch." Sie lächelt mich an. „Auch wenn du mir die Frage von vorhin immer noch nicht beantwortet hast."

„Welche Frage?"

„Die Frage, wieso du hier ein ganz anderer Mensch bist als da draußen." Sie sagt es weder vorwurfsvoll, noch besorgt, sondern bloß ein wenig neugierig. Als würde sie die Wolken in meinem Kopf gerne vollständig auflösen.

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