54 - Ace

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ACE

Seit einigen Minuten stehen wir jetzt schon hier. In einer Sackgasse, die so ausgestorben wirkt, dass in den letzten fünf Minuten nicht ein einziges Auto zu hören gewesen ist. Dann hätten wir zumindest einen Grund gehabt, uns zu bewegen und irgendetwas zu sagen, aber da der liebe Gott wie immer nicht auf meiner Seite ist und natürlich kein Auto vorbeigekommen ist, starren Nimy und ich uns an, ohne uns wirklich anzusehen. Sie scheint durch mich hindurch zu schauen und ich fixiere irgendeinen Punkt oberhalb ihres Kopfes, wodurch ich eigentlich einfach nur geradeaus gucke und der Sonne dabei zusehe, wie sie langsam und immer weiter untergeht.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, um meine vorherige Aussage zurückzunehmen, und Nimy weiß nicht, was sie sagen soll, um die Wahrheit hinter meinen Worten ein wenig abzufedern. Dabei gibt es da nichts abzufedern. Ich habe alles genau so gemeint, wie ich es gesagt habe, auch wenn Nimy das nicht sehen möchte.

„Nimy, du-"

„Lass gut sein, Ace."

Sie sieht mich nicht an, während sie spricht, und noch nie zuvor habe ich meinen Namen so sehr verabscheut wie in diesem Moment. In ihrem Mund klingt er so verheißungsvoll, so wunderschön, und ich bin das genaue Gegenteil davon. Ich bin es nicht wert, dass sie mich so nennt. Ich bin dieses Leben nicht wert und Nimy schon gar nicht, genauso wenig sie mich wert ist. Schon verrückt wie ein Wort zwei so gegensätzliche Bedeutungen haben kann.

„Ich wollte das hier wirklich mit dir versuchen, Ace." Schon wieder sagt sie meinen Namen, als würde sie die Welt darin erkennen, dabei bin ich nicht einmal ein winzig kleiner Regentropfen. Doch sobald der Gedanke an Regen in meinem Kopf erst einmal da ist, merke ich, wie sich meine Augen mit Wasser füllen. Das hier ist das Ende. Die Sintflut. Ich bin schwach, nicht stark genug. Kann nicht einmal normal atmen, geschweige denn normal denken und fühlen tue ich auch viel zu vieles. Kann man in sich selbst ertrinken?

„Ace, hörst du mir zu?" Erst Nimys Rütteln an meinem Arm holt mich aus den Tiefen meines Gedankenmeeres zurück an die Oberfläche. „Jetzt verstehe ich, wie es den anderen mit mir immer gehen muss, wenn ich in meine eigene Welt abdrifte", meint sie leise und um ihre Mundwinkel huscht ein kleines Lächeln.

„Deine Welt ist sicherlich eine andere als meine", gebe ich von mir, ohne darüber nachzudenken. Wieso bin ich so? Wieso rede ich solchen depressiven Müll? Das will sich doch niemand anhören.

„Vielleicht magst du mir ja von ihr erzählen." Nimy klingt mit einem Mal so schüchtern, dass ich meine Augen von dem fiktiven Punkt über ihrem Kopf löse und sie anschauen muss, um mich zu vergewissern, dass sie wirklich noch vor mir steht und ich sie mir nicht bloß einbilde. Ich strecke meine Hand nach ihren Haaren aus und wickle eine Locke um meine Finger.

„Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du das tust", gesteht sie und ein leichter Rotton breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Trotzdem lasse ich die Strähne nicht los, sondern ziehe noch ein wenig fester an ihr, bis Nimy gezwungen ist, einen Schritt an mich heranzutreten. Meine Augen saugen jedes Detail von ihr auf; ich sehe das Flackern ihrer Wimpern, ihre leicht geöffneten Lippen, die mit Sommersprossen übersäte Nase.

„Tanzende Sommersprossen", flüstere ich und hoffe, dass Nimy sich an unser erstes Treffen im Park erinnert, als ich nach einer Panikattacke in ihren Armen auf dem Boden gelegen habe. Wieder einmal fällt mir auf, wie unglaublich schwach ich bin und wie oft ich von Nimy gerettet worden bin. Können diese Rettungen alle umsonst gewesen sein? Zeigt Gott mir womöglich durch Nimy seinen Beistand, seine Anwesenheit, seinen Zuspruch? Bin ich es, wider aller Erwartungen, doch wert, hier zu sein?

„Ace...", beginnt Nimy und ich höre ihrer Stimme an, dass sie nun am Ende angekommen ist. Wenn ich jetzt nicht rede, wird sie mich nicht noch einmal retten.

FeuerwerkWhere stories live. Discover now