24 - Palma

245 38 34
                                    

PALMA

„Und ihr macht keinen Ton und seid schön brav, ja?“, schärfe ich meinen Schwestern ein, die sich mit großen Augen im Just chill umsehen. Da Nina heute Abend ein Date hat und ich nicht wollte, dass sie es wegen Tali und Nali absagt, habe ich die beiden kurz entschlossen mit ins Café genommen. Obwohl sie schon zwölf Jahre alt sind, lassen Nina und ich sie nicht gerne alleine zu Hause, weil ihnen die verrücktesten Ideen in den Kopf kommen, sobald sie wissen, dass niemand auf sie aufpasst.

Einmal, als sie in der Schule das Thema Fotosynthese durchgenommen haben, wollten sie ausprobieren, ob Pflanzen nicht nur Zucker herstellen, sondern ihn auch aufnehmen können. In ihrer kindlichen Fantasie haben sie somit vor jede Blumenvase Süßigkeiten hingelegt, um zu sehen, ob etwas passieren würde. Als nichts geschah, kam ihnen in den Sinn, dass Blumen vielleicht keine Schokolade mögen und wollten nun einen Kuchen backen, was schließlich mit dem Piepen des Rauchmelders und einem hysterischen Anruf an Nina endete, sie hätten die Küche in die Luft gesprengt. Alleine lässt man meine Schwestern also lieber nicht, denn ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

„Und du stehst da drüben?“, fragt Tali neugierig und zeigt auf den Tresen, der direkt gegenüber von ihnen steht, damit ich sie gut im Blick habe.

„Genau. Und da ich jetzt arbeiten muss, bleibt ihr schön still hier sitzen und schaut euch einen Film an“, sage ich und drehe meinen Laptop zu ihnen um. Es gibt nicht vieles, mit dem man meine Schwestern dazu bringt, leise zu sein, aber sobald sie einen Film schauen dürfen, sind sie mucksmäuschenstill und verfolgen mit großen Augen das Geschehen. So auch heute, da ich ihnen zum ersten Mal erlaubt habe, The Hunger Games zu sehen.

„Palma? Kannst du mir helfen?“, ruft Onkel Jack mir zu, der gerade fünf Tische gleichzeitig bedient. Mit einem letzten Blick auf meine Schwestern überlasse ich sie sich selbst und der Filmwelt von Hollywood und eile meinem Chef zu Hilfe.

„Bin schon da“, lächle ich ihn an und binde mir schnell meine Schürze um. Jack zeigt mir zwei Daumen nach oben und schon fange ich an, die Bestellungen aufzunehmen, die von allen Seiten auf mich einprasseln.

Das Just chill ist ein beliebter Ort, besonders Freitagabends. Obwohl es mit seinem altertümlichen Stil und den grünen 80-iger Jahre Sesseln nicht jedermanns Geschmack ist, kommt man trotzdem gerne hierher und trifft sich mit Freunden auf den ein oder anderen Kaffee oder auch mal ein Bier. Wenn man mich fragt, ist es die herzliche Art von Onkel Jack, die die Leute immer wieder anlockt. Allein, wenn man ihn sich ansieht, kann man nicht anders, als zu lächeln. Er ist ein wirklicher Sonnenschein und ich habe ihn noch kein einziges Mal, seit ich hier arbeite, traurig erlebt.

Nachdem der erste Ansturm nachgelassen hat und das Café mit entspanntem Gemurmel, viel Gelächter und Wärme erfüllt ist, lasse ich mich erschöpft an den Tresen sinken und stoße mit Jack an, dass wir auch diesen Abend erfolgreich gemeistert haben.

„Was würde ich nur ohne dich tun, Ajana?“, fragt er mich grinsend und setzt sich auf einen Barhocker neben mir.

Er ist der Einzige, den ich kenne, der sich weigert, mich Palma zu nennen. „Ajana klingt doch viel schöner und keineswegs wie ein Nachname“, hat er gemeint, als ich ihn einmal darauf angesprochen habe. „So einen schönen Nachnamen darfst du nicht unentdeckt lassen.“

Genau so ist Onkel Jack. Er schenkt den kleinsten Dingen eine ungeheuer große Bedeutung und das bewundere ich an ihm.

„Gehören die zu dir?“ Immer noch grinsend zeigt er auf Nali und Tali, die mit offenen Mündern auf den Laptop vor ihnen starren. Ich nicke und muss lachen, als die beiden sich synchron die Hand vor den Mund halten, als hätten sie sich erschrocken.

„Bist du eigentlich nie am Arbeiten?“, ertönt eine neckische Stimme und ohne hinzusehen weiß ich, dass Dex und Phil das Café betreten haben. Niemand zieht mich so gerne auf wie die beiden.

„Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr“, lache ich ihn an und lasse mich von ihm in den Arm nehmen. Dann bücke ich mich, um auch Phil zu umarmen – nur ist da gar kein Phil.

„Er wollte heute nicht mitkommen.“ Ich beobachte Dex genau und bemerke so den Schmerz in seinen Augen, der für eine Sekunde lang aufblitzt. „Heute war kein guter Tag.“ Ich merke, wie Jack sich entfernt und uns alleine lässt, nicht ohne Dex mitfühlend auf die Schulter zu klopfen.

Es tut mir weh, zu sehen, wie sehr Dex darunter leidet, seinen Freund verloren zu haben. Dass es den alten Phil nicht mehr gibt, hat er wohl schon erwartet. Doch auch der neue scheint manchmal so, als möchte er sich nur in seiner eigenen Welt einschließen und nie wieder herauskommen. So habe ich mich auch gefühlt, als ich meine Mutter verloren habe und ich weiß sehr gut, dass man dieses Loch ohne Hilfe nicht so schnell wieder verlassen kann.

„Ich werde mal mit ihm reden“, verspreche ich ihm und lege ihm tröstend eine Hand auf den Arm.

Früher hätte er sie weggestoßen, doch mittlerweile scheint er es sogar zu mögen, wenn ich ihn berühre. Als würde die ganze Last abfallen, die er auf seinen Schultern trägt, sobald er mich nur sieht. Nicht nur Phil hat sich verändert, denke ich mir und frage mich, was das wohl zu bedeuten hat.

„Wir sind viel zu melancholisch“, unterbricht Dex diesen Moment und ist wieder der alte. „Wo kann ich mich hinsetzen, damit meine schöne Palme mir ein Bier herzaubern kann?“

Ich verdrehe die Augen wie immer, wenn er versucht, mit mir zu flirten und bin doch erleichtert, dass er wieder er selbst ist und seine Fröhlichkeit nicht verloren hat. „Such dir einen Platz aus, sonst lässt du mich doch auch nicht entscheiden.“

Seine Augen funkeln mich an, während seine Lippen sich zu einem spöttischen Lächeln verziehen. „Und wo, ma belle, finde ich hier noch einen Platz?“ Seiner Handbewegung folgend blicke ich mich im Café um und bemerke, dass wirklich alle Tische belegt sind. Nur am Tisch meiner Schwestern ist noch ein Stuhl frei.

Dex, der meinem Blick gefolgt ist, guckt mich erstaunt an. „Sind das etwa noch weitere Palmen?“ Seine Verblüffung ist so wundervoll, dass ich am liebsten ein Foto davon machen und es mir einrahmen würde.

„Das sind meine Schwestern Nali und Tali“, seufze ich und weiß schon, was als nächstes kommt.

„Denen kann ich ja ein wenig Gesellschaft leisten“, grinst Dex mich an und schon ist er weg und haut meine Schwestern vollkommen von ihren Sitzen, als er sich neben sie setzt und ein Gespräch mit ihnen anfängt. Sogar ihren Film vergessen sie und sind so in heller Aufregung, dass ich nicht anders kann, als zu lachen und mich kopfschüttelnd umzudrehen, um die Gäste weiter zu bedienen.

Nur komme ich gar nicht so weit, da ich geradewegs in Eleanor renne, die wohl die ganze Zeit hinter mir gestanden und darauf gewartet hat, dass ich sie wahrnehme.

„Hey, Eleanor“, begrüße ich sie lächelnd, bis mir auffällt, dass sie am ganzen Körper zittert und ihre Augen ganz rot vom Weinen sind. „Bist du okay?“

Einen Moment lang starrt sie mich nur an wie ein verschrecktes Reh und dann, als ich sie vorsichtig in den Arm nehme, schüttelt sie langsam den Kopf und hält mich so fest, als hätte sie Angst, ich würde mich in Luft auflösen, sollte sie mich je loslassen.

----

Welcher Charakter sagt euch denn momentan am meisten zu? Wer ist für euch am sympathischsten? Am interessantesten? ;)

- liljaxxx & knownastheunknown -

FeuerwerkDonde viven las historias. Descúbrelo ahora