12 - Maya

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MAYA

Mittwochnachmittag war für mich der schönste Teil der Schulwoche. Unsere Gruppe von fünfzehn Leuten sammelte sich im Bühnenraum und verbrachte zwei ganze Stunden mit meiner Leidenschaft: dem Theater. Klar, es war naiv, überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, aber insgeheim fantasierte ich oft davon, in Hollywood zu leben und als berühmte Schauspielerin auf der Kinoleinwand zu sehen zu sein. Noah könnte das wahrscheinlich nicht einmal verstehen, würde mich aber dennoch unterstützen, wenn ich ihm diesen geheimen, kindischen Wunschtraum je gestehen würde.

Nichtsdestotrotz liebte ich es, in andere Rollen zu schlüpfen, für eine Zeit nicht ich selbst zu sein und gleichzeitig der Welt zu zeigen, was ich zu bieten hatte. 

Aus diesem Grund stand ich gerade mit leicht verschwitzten Handflächen auf der Bühne und sprach für das Frühjahrsstück vor, das wir hauptsächlich für die Unterstufen aufführen würden. Ich spürte wie mein Herz immer ungeduldiger gegen meinen Brustkorb schlug, während ich darauf wartete, dass Mrs Ribar mir das Zeichen gab. Sie würde für meine Vorsprech-Szene in die Rolle des Peter Pan schlüpfen. Endlich setzte sich die Frau auf den Boden und sah mich an.

„Warum weinst du denn?“, fragte ich, darum bemüht, weniger mitfühlend, sondern eher neugierig zu klingen.

„Wie heißt du?“, stellte Mrs Ribar die Gegenfrage mit einer jungenhaften Stimme.

„Wendy Moira Angela Darling. Und wie heißt du?“

„Peter Pan.“

Das Ganze zog sich noch eine Weile, aber ich konnte meinen Text im Schlaf. Mir durfte nur nicht die Konzentration abhandenkommen. Ich musste meinen, was ich spielte und sagte – auch wenn der Text an dieser Stelle so viel Spannung besaß wie eine verschrumpelte Tomate.

„Ich nähe dir deinen Schatten wieder an!“, verkündete ich wenig später und fiel vor Mrs Ribar alias Peter auf die Knie. „Wahrscheinlich tut es ein bisschen weh.“ Ich machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann kicherte ich leise. „Und wahrscheinlich hätte ich ihn vorher bügeln sollen.“

„Oh, mein Schatten!“ Mrs Ribar sprang mit einer Dynamik auf, die ich ihr nicht zugetraut hätte. „Ach, mein Schatten! Was bin ich schlau. Ich habe mir meinen Schatten angenäht!“

Dann war es auch schon zu Ende. Dasselbe Spektakel würde sich für meine Lehrerin noch etwa zehnmal wiederholen. Sie tat mir jetzt schon leid.

Wieder in ihrer normalen Tonlage sagte sie zu mir: „Das war ziemlich gut, Maya. Ich freu mich darauf, das Videomaterial nachher noch einmal anzusehen. Nächste Woche kriegt ihr alle die Ergebnisse.“ Sie nahm immer alles auf, damit sie selbst den anderen Part spielen konnte, falls es nötig war und gleichzeitig keine Sekunde verpasste.

Ich mochte Mrs Ribar. Sie war eine aufgeweckte Kroatin, die vor fast zwanzig Jahren nach England gezogen war. Ziemlich sicher hatte sie die vierzig schon überschritten, aber trotzdem war sie noch zu viel mehr Unfug zu begeistern, als die meisten Lehrer in ihrem Alter. 

„Danke“, meinte ich – vollgepumpt mit Adrenalin und einem Hochgefühl, das sich schwer in Worte fassen ließ. Dann durfte ich für heute gehen. Da noch weitere elf Vorsprechen stattfinden würden, fiel der Rest der Stunde in dieser Woche für mich aus.

Noah, der bereits vor einer Stunde nach Hause gehen hätte können, wartete vor dem Bühnenraum auf mich und ich begrüßte ihn mit einem kurzen, aber gefühlvollen Kuss. Er musste merken, wie unglaublich glücklich ich war, denn er lachte.

„Lief es so gut oder liegt deine gute Laune an mir?“

„Beides.“ Ich grinste. „Also. Worauf hast du Lust? Pizza oder Chinesisch?“ Wir hatten ausgemacht, nach dem Vorsprechen essen zu gehen.

„Eigentlich... hätte ich überlegt, dass wir uns noch Phils Vorsprechen ansehen könnten? Ich bin echt gespannt, wie er sich so macht. Grad vorhin ist er auch hier draußen rumgelungert... Und war natürlich unser liebenswerter Klugscheißer.“

„Wie immer“, gab ich von mir. Eigentlich war ich ziemlich hungrig. In der Mittagspause hatte ich vor Nervosität kaum was runtergebracht. „Wann ist er denn dran?“

„Gleich nach Angie.“

Und Angie war gleich nach mir – also jetzt – an der Reihe. Sie war eine meiner besten Freundinnen und ich hätte fast vergessen, ihr die Daumen zu drücken. Bis jetzt. „Hm... Okay.“ Dann konnte ich immerhin Angie auch noch fragen, wie es ihr ergangen war.

Wenig später setzten wir uns in den Zuschauerbereich. Ich hatte Noah verboten, mir bei meiner Szene zuzusehen, weil es mich abgelenkt hätte, zu wissen, dass er dort unten saß und jeden meiner Atemzüge genauestens beobachten würde. Bei anderen Leuten machte mir das seltsamerweise nicht so viel aus, doch bei Noah bekam ich eine Gänsehaut, allein wenn er mich ansah.

„Und?“, flüsterte ich.

Angie zuckte mit den Schultern und wisperte zurück: „Hab mich einmal versprochen, war aber nicht schlimm.“ Dann ließ sie sich auf den Platz neben mir fallen. War ja klar, dass sie Phil auch zusehen wollte. Ich verkniff mir ein Grinsen. Angie schwärmte schon etwas länger für ihn, redete sich und allen anderen aber immer wieder ein, dass sie ihn eigentlich kindisch und bescheuert fand.

„Tinker Bell“, rief Phil leise. Sein Blick wanderte durch den Raum. „Tink, wo bist du?“

Es war egal, dass er über 1,75 Meter groß und achtzehn Jahre alt war, für ein paar Minuten verwandelte Phil sich in einen kleinen Jungen. Er war der Junge, der nicht erwachsen werden wollte.

„Los, komm her!“ Seine Miene hellte sich auf und ein spitzbübisches Grinsen zierte sein Gesicht, als wäre gerade endlich die gesuchte Fee vor ihm aufgetaucht. „Weißt du, wo sie meinen Schatten hingelegt haben?“

Es war wundervoll, Phil zuzusehen. Obwohl das Stück ja eigentlich für Kinder gedacht war, zweifelte ich nicht daran, dass er auch mit größeren Rollen kein Problem gehabt hätte. Sein Selbstvertrauen sprach Bände. Wie hoch waren die Chancen, dass es zwei Leute derselben Schule – desselben Theaterkurses – nach Hollywood schafften? Keine Ahnung, ob es insgeheim auch für Phil ein ernstgemeinter Traum war. Fest stand: Müsste sich jemand zwischen uns entscheiden, würde die Wahl auf ihn fallen.

Mein Blick wanderte zu Angie, deren Augen schon fast herzförmig aussahen. Ich grinste in mich hinein und flüsterte: „Er spielt das ziemlich gut, was?“

Sie sah mich nicht mal an, sondern machte bloß leise „Mhm“.

Vielleicht sollte ich die beiden verkuppeln. Angie würde zwar immer bestreiten, dass sie ihn ehrlich mochte, aber sie konnte mir nichts vormachen. Am Ende wäre sie mir doch dankbar.

„Noah“, meinte ich zu meinem anderen Sitznachbar. „Ich hab eine Idee.“

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Tut mir leid, dass dieses Kapitel einen Tag später als sonst kommt. Ich (KnownAsTheUnknown) war gestern den ganzen Tag unterwegs und hatte teilweise kein Internet :b

Was sagt ihr zu Mayas Idee? Ob das gut geht? ;) Und wie steht ihr allgemein dazu, Freunde zu verkuppeln/verkuppelt zu werden?

- liljaxxx & knownastheunknown -

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