Prolog

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Prolog
10 Jahre zuvor
Konstantin warf den alten Wolf gegen die Wand und versuchte ihn dort festzuhalten, um seine Verwandlung zu verhindern. Denn wenn der alte Wolf seine Bestie entfesselte, würde ihm selbst nichts anderes übrig bleiben als seinem Beispiel zu folgen und dieser Kampf würde erst enden, wenn einer der beiden Tot war. Theoretisch sollte Konstantin das nicht abschrecken, jeder Wolf musste einmal töten, aber er hatte nicht vor barbarische Traditionen zu befolgen, die vorsahen, dass er den alten Alpha töten musste, um an seine Stelle zu treten.
„Du zögerst Junge, so wirst du nie ein Alpha werden!", spottete der alte Wolf, ließ sein Gesicht zu dem eines Wolfes werden und schnappte nach Konstantins Kehle. Er wich den scharfen Fängen aus , verpasste seinen Gegner einen so heftigen Schlag gegen den Kiefer, das er fast zu Boden ging, ging dann dennoch weiter auf Abstand. Der Wolf mochte alt sein, aber Maximilian Crow war nicht umsonst vierzig Jahre lang das tyrannische Oberhaupt dieses Rudels gewesen, wenn zu seiner natürlichen Kraft eines Alpha nicht auch Verschlagenheit dazukommen würde.
Konstantin betrachtete kurz die tiefen Wunden von Krallen auf seinem Brustkorb und seinen Armen. Zeugnisse der Ergebenheit die Maximilian Wächter dem alten Alpha entgegengebracht hatten, als sie ihn mitten in der Nacht versucht hatten zu ermorden. Der alte Feigling, hatte es nicht mal selbst über sich gebracht ihn anzugreifen.
„Ich will dich nicht umbringen Max und ich hatte auch nie vor dir das Black-Water-Rudel zu entreißen. Ich werde gehen zusammen mit allen anderen die von deiner rassistischen Propaganda die Nase voll haben!", verkündete Konstantin so kühl und unemotional wie er es gestern Abend schon getan hatte. Das war der Auslöser für den Mordanschlag auf Konstantin gewesen. Es entsprach nicht den Traditionen und das Rudel würde eine Spaltung nicht überleben – zumindest der Teil, der bei Max blieb würde es nicht überstehen, denn zurückbleiben würden die alten und verbohrten Wölfe, die in einer Welt lebten die nicht mehr die ihre war.
Die Zeiten hatten sich geändert. Die Gestaltwandler hatten bereits vor Jahrzehnte ihre Rechte als Bürger dieses Staates zugesprochen bekommen und die Menschen fingen an sie als mehr zu sehen als Tiere und Monster aus ihren Horrorgeschichten – es wurde Zeit, das sie sich auch so benahmen. Konstantin wusste von den Rudeln in Europa und Amerika, die sich den Menschen gegenüber relativ offen Zeigten, die ihre Lebensart erklärten und den Menschen um ihre Territorien herum die Angst nahmen. Nur in hier, im unwirklichen, kalten und rauen Alaska weigerten sich Mensch und Gestaltwandler noch sich gegenseitig zu akzeptieren.
Diese Annäherung hätte mit seiner Schwester beginnen können, die sich in den Kopf gesetzt hatte einen Menschen, einen Navy Seal, zu heiraten und nun sein Kind unter dem Herzen trug, aber der alte Alpha hatte sie lediglich vor die Wahl gestellt: Abtreibung oder Verbannung. Seine Schwester, so stolz und furchtlos wie jede Wölfin, hatte mit hocherhobenem Kopf die Verbannung gewählt. Dieser Konflikt hatte das Rudel gespalten und da auch Konstantin den Ausschluss nicht akzeptierte und bereits die Witterung eines Alpha hatte, war es an ihm ein neues Zeitalter anbrechen zu lassen. Denn weder seiner Schwester noch dieses Kind würden ohne ein Rudel überleben. Es war zu tief in ihrer Seele verankert, der Wolf in ihnen brauchte die Gemeinschaft.
„Es ist unnatürlich sich mit Menschen zu paaren, Junge. Dieser Bastard in deiner Schwester wird nie ein Wolf sein! Sie werden ihn jagen und zur Strecke bringen, genauso wie ich dich jagen und strecken werde, wenn du versuchst mein Rudel zu stehlen!" Der Gegenangriff war überraschend schnell für einen Wolf in seinem Alter, aber Konstantin hatte ja gewusst, dass es so kommen würde und hatte rechtzeitig genug Raum zwischen sich und Maximilian gebracht, um seinen scharfen Klauen zu entgehen, die ihn unweigerlich die Bauchdecke aufgerissen und seine Eingeweide freigelegt hätten.
Konstantin war mit seinen gerade einmal dreiundzwanzig Jahren ganz sicher kein so geschickter Kämpfer, dafür war er jünger, wendiger und definitiv schneller als der alternde Wolf vor ihm. Sobald er den Gegenangriff ausgewichen war, ließ Konstantin sich fallen, trat Maximilian die Füße weg und rollten sich auf seinen, nur noch kurzen, Leitwolf um ihm am Boden festzunageln.
„Zwing mich nicht dazu dich tatsächlich zu zerfleischen, alter Mann. Lass mich und die, die mit mir geh wollen ziehen und dann kannst du dein kleines zerfallendes Königreich behalten", blaffte er den Mann unter sich an und versuchte ihn auf dem Boden zu halten. Er wollte ihn wirklich nicht umbringen, wollte seine Herrschaft nicht mit Blut beginnen. Er wollte einfach besser sein, als dieser Abschaum unter ihm. Aber so einfach würde Maximilian es ihm nicht machen.
Der Alte Wolf schaffte es auf den Bauch liegend eine seiner Pranken loszubekommen und sie Konstantin in den Oberschenkel zu rammen, was insoweit ablenkte, dass er abgeworfen wurde und Maximilian die Gelegenheit gab sich vollständig zu verwandeln. Anstelle eines alternden Mannes fand sich Konstantin Angesichts zu Angesicht mit einem Wolf wieder, der sehr viel Größer war als seine tierischen Artgenossen und in dessen Augen grausame Intelligenz glitzerte. Konstantin knurrte ihn warnend an, dazu musste er nicht in seiner tierischen Gestalt sein aber Maximilian ließ sich davon nicht abhalten und sprang auf ihn zu.
Konstantin wich dem Maul der Bestie aus und verwandelte sich ebenfalls. Sein Wolf übernahm die Kontrolle über seinen Körper und fiel, sich seiner eigenen Rolle als Alpha mehr als bewusst, den andere Wolf in blanker Blutlust an. Konstantin wusste, dass er Gewinnen würde, er spürte, dass die Zeit des alten Gestaltwandlers vorbei war und er würde sogar soweit gehen zu behaupten: Maximilian wusste es ebenfalls. Klauen rissen aneinander und Fänge versenkten sich in den Körper des jeweils anderen Wolfes. Konstantin heulte auf, als fünf scharfe Klauen ihn einmal quer über sein tierisches Gesicht fuhren und so viel Blut in sein linkes Auge floss, dass er schon glaubte es ebenfalls verloren zu haben. Aber diese Attacke verschaffte ihn auch einen Moment der Unachtsamkeit beim anderen Wolf und mehr brauchte es nicht.
Als er das Genick des alten Alphas zwischen seine eigenen Fänge spürte, konnte er das Tier nicht davon abhalten zuzudrücken bis das hässliche Knacken den Raum erfüllte und es unter ihm sofort still wurde. Für eine Sekunde wollte der Wolf weitermachen, seinen Gegner zerfleischen und dem Rudel präsentieren, damit auch jeder verstand, dass er ab jetzt der neue Alpha war. Aber Konstantin schob die Bestie zurück in seinen Käfig, trat von dem Toten weg und verwandelte sich unter größter Anstrengung zurück, denn der Wolf weigerte sich mitten drin aufzuhören. Instinkt und Menschlichkeit rangen eine Weile miteinander, bis Konstantin sich durchsetzen konnte und selbst wieder die komplette Kontrolle übernahm.
Besudelt mit Blut, ungeheuren Schmerzen und einen ebenso schlechten gewissen, verließ Konstantin das Haus seines ehemaligen Alpha und fand sich auch mit der Tötung der anderen Männern konfrontiert die er hatte in Kauf nehmen müssen, um an Maximilian heranzukommen. Auf der einfachen Holzterrasse und auf den Weg vor dem Haus lagen drei weitere Leichen, eine davon gefangen in seiner Wolfsgestalt und der Drang um seine verlorenen Rudelmitgliedern zu trauern war allgegenwärtig in seinem Inneren.
Der Konflikt von Schuld und Trauer setzte ihm zu, doch er ließ sich ihn nicht anmerken. Niemals durfte jemand auch nur erfahren, das er nur unter Zögern getötet hatte, denn nun war er der Alpha und er musste Stark sein, damit auch das Rudel stark blieb.
Es war der Himmel, der die Tränen vergoss, die er sich niemals erlauben würde zu vergießen. Denn mitten in dem sich zurückziehenden Tageslichtes rumorte es im Himmel und der Regen viel auf die Welt. Das kühle Wasser wahr das angenehmste war er in diesem Moment empfinden konnte, es brannte zwar in seinen Wunden, wirkte aber wie Balsam auf seine Seele.
Vor dem Haus, einige Meter entfernt, hatten sich bereits andere Wächter eingefunden. Gute Männer und Frauen, die geschworen hatten ihren Leitwolf und ihr Rudel zu schützen. Nicht einmal die Hälfte dieser älteren und erfahrenden Wölfe würde Konstantin hinter sich scharen können. Viele hatten hinter der Entscheidung ihres Alphas gestanden und damit bewiesen, dass sie nur bessere Befehlsempfänger abgaben und keinerlei Ambitionen hatte mehr zu sein. Dennoch neigten sie in einer respektvollen Bewegung den Kopf. Alle, ausnahmslos. Denn egal wie was sie von ihm persönlich hielten, egal wie dominant ihre eigenen Wölfen schien, keiner würde sich gegen die Alphawitterung zu wehr setzen können. Sie würden ihn akzeptieren und der Gedanke daran machte Konstantin krank.
Nein, er wollte diese Männer und Frauen nicht. Sie hatten eine junge Frau aus ihrem Rudel verstoßen und würden nur weiter Unruhe und Hass in die neue Generation einbringen. Entschlossen wischte sich Konstantin das Blut aus der Stirn und war etwas erleichterter, dass sein linkes Auge zwar zugeschwollen war, aber nicht beschädigt.
„Kiera!", rief er in den Regen herein und eine Frau trat aus der Reihe. Die Gefährtin von Maximilian und die führende Wächterin. Wenn er von irgendeiner Ehrlichkeit erwartete, dann von ihr.
„Maximilian ist tot, aber ich habe nicht vor seinen Platz einzunehmen. Ich will kein Rudel, dass mir nur folgt, weil ihr Instinkt es ihnen gebietet. Wer mir folgt, wird meine Ansichten mittragen und offen gegenüber jeglicher Vermischung von Menschen und Wölfen sein!", rief er ihr entgegen und die Frau knurrte nur widerwillig. Einige der anderen Wächter folgten ihrem Beispiel, taten so ihre Ablehnung kund. Das war wohl alles was er von diesen Wölfen erwarten konnte.
„Ich hatte vor heute Nacht das Land zu verlassen, zusammen mit einigen anderen und etwas Neues aufzubauen. Maximilian weigerte sich uns ziehen zu lassen und ließ mich im Schlaf angreifen. Er forderte mich nicht zu einem Duell!", verdeutlichte er und machte den Wächtern, den dominanten Wölfen um sich herum klar, dass Maxmilian selbst sich nicht an Traditionen hielt, sondern hinterhältig handelte, so wie er es immer tat. Wäre sein Blut, seine Witterung nicht gewesen, hätte er sich nie als Alpha behaupten können.
„Und da er das nicht tat, erkenne ich meine Verantwortung auch nicht an. Ich verlasse dieses Land, so wie ich es vorhatte. Ich weiß, dass genug von euch mir nicht folgen werden und damit genug hier bleiben um die Wölfe zu schützen, die ihr Zuhause nicht verlassen möchten." Sie wären nicht das erste Rudel, das ohne geborenen Alpha klar kommen musste, aber normalerweise war das immer nur eine vorübergehende Phase. Die Natur würde das Gleichgewicht herstellen, indem bei einem der folgenden Geburten ein Alpha zur Welt kam. Hier würde das nicht passieren, denn alle jungen Wölfen würden mit ihm gehen. Kinder verließen ihre Eltern, angesehene Mitglieder ihre Freunde, denn das Zerwürfnis innerhalb des Rudels war tief und nicht zu heilen. Zurückbleiben würde ein hart eingemotteter Kern von Wölfen, die mit ihren Ansichten einfach aussterben würden.
Mit diesen Worten verließ er die kleine Lichtung und ließ die Ignoranz und den Hass endlich hinter sich. Einige Wächter folgten ihm. Die, die auch schon gestern beschlossen hatten ihm zu folgen und Konstantin war dankbar für jeden der älteren Wölfe, die ihn mit Rat und Tat beiseite stehen würden, während er mit nicht mal dreißig Männern und Frauen, viele davon noch sehr viel jünger als er, weiter in den Norden, tiefer in die Wälder wandern würde. Doch er würde zurückkehren. Es würde Jahre dauern aber irgendwann würde er zurückkehren. 


Beta: Geany 

Die Rückkehr des Wolfes- Alaska Werewolves Bd. 1Where stories live. Discover now