vom Weg abgekommen

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Kapitel 1
Heute
„Es tut mir wirklich leid, Miss Mills, aber die Urkunde ist offensichtlich gefälscht," sagte der Anwalt an ihrem Küchentisch und nahm seine Brille wieder von der Nase und verstaute sie in dem Etui, neben dem Dokument. Für Laura war das nicht wirklich überraschend, sondern bestätigte lediglich eine längst gehegte Vermutung. Warum sollte es auch anders sein? Ihr Vater hatte jeden belogen und betrogen, der ihm begegnet war, seine Tochter war da offensichtlich keine Ausnahme.
„Wie sind die rechtlichen Grundlagen? Ich habe mit der Fälschung nichts zu tun und nahm das Haus im guten Glauben an, dass sie echt sei." Vielleicht gab es eine Chance auf ein Gewohnheitsrecht zu plädieren und damit zumindest weiterhin hier wohnen bleiben zu können. Eigentlich hatte sie nicht vor noch lange in diesem Haus bleiben zu müssen, aber so sehr sie das Vermächtnis ihres Vaters und ihre Mutter auch verabscheute: Mit ihrem winzigen Gehalt als Erzieherin konnte sie sich keine eigene Wohnung leisten. Egal wie schwer das Zusammenleben mit ihrer Mutter auch war. Und selbst wenn: Sie konnte ihre Mutter nicht zurücklassen – es war ihre Mutter!
„Die gute Nachricht ist, dass Sie für den Betrug nicht strafbar gemacht werden können, da sie davon nichts wussten. Aber das Land und auch dieses Haus gehört dem Back-Water-Rudel. Und ich befürchte nun, da das Rudel wieder erstarkt ist, werden sie dieses Land auch einfordern." Laura war die Letzte, die den Wölfen ihr Recht auf das Land streitig machen würde. Sie gehörte nicht zu Menschen, die der Meinung waren sie wären nur Tiere und hätten kein Recht darauf menschlich behandelt zu werden – ganz im Gegenteil. Ihr Vater hatte versucht nach der Spaltung des Rudels, vor circa einem Jahrzehnt, das Machtvakuum zu füllen und sich zum Bürgermeister wählen lassen. Die Folge waren weitere Diskriminierung des ansässigen Rest-Rudels gewesen. Sie zogen sich auf ihr Territorium zurück und nach diesem Erfolg hatte ihr Vater nichts anders zu tun gehabt, als sich selbst die Taschen zu füllen. Von Schutzgelderpressung, kleineren Drogendeals und Zwangsprostitution hatte er an allem mitverdient.
Nicht das ihn das reich gemacht hätte, hier oben in Alaska warfen selbst solche Dinge gerade genügend Geld ab, dass man sich ein Haus auf einem gestohlenen Stück Land errichten konnte. In einer bescheidenen Gemeinde wie hier gab es einfach nicht viel zu holen. Nicht das es seine Taten rechtfertigen oder ihn weniger als die zweimal lebenslänglich einbringen würde, die er auch erhalten hatte. Laura war fünfzehn gewesen, als ihr Vater anfing die Leute, um sich rum zu manipulieren, alt genug um zu wissen, was für Dreckskerl er war und wie falsch und hetzerisch seine rassistischen Aussagen waren, die er brachte, um das Rudel zu verdrängen.
Laura wusste nicht viel davon, auch nicht warum sich das Rudel spaltete, sie waren nicht wirklich aktive Gemeindemitglieder gewesen. Einige hatten zwar Geschäfte in der Stadt und trieben Handel, aber in der Regel lebten sie zurückgezogen und wollten nichts mit den Menschen zu tun haben: Hass auf beiden Seiten. Als sie dreizehn war überschlugen sich die Nachrichten mit der Ausschmückung von blutigen Kämpfen innerhalb des Rudels und das ein Teil davon das Gebiet verlasen hatte. Diese Bluttaten halfen ihrem Vater zwei Jahre später bei seiner Kandidatur und begründeten eine Verbrechensserie, die fünf Jahre andauerte.
Jetzt war das Rudel wieder da und sie waren definitiv nicht zurück nach Black Water gekommen, um nur an Rand ihrer Gemeinde zu existieren. Viele Menschen hatten Angst vor den Wölfen und erinnerten sich noch gut an die Gewalttat die vor zehn Jahren stattfand. Skepsis hatte sich in der Gemeinde breit gemacht, die mittlerweile niemand mehr traute. Die Kriminalität, die ihr Vater in die Stadt gelassen hatte, war immer noch nicht eingedämmt und die Anwesenheit des Rudels schien es nicht besser zu machen. Laura konnte beide Seiten mit ihrer Skepsis verstehen, aber das half ihr nicht.
Wenn nicht irgendetwas geschah, würde sie bald auf der Straße sitzen und wenn sie sich den tiefen, rauen Winter ansah, der draußen wütete – wohl eher im Schnee erfrieren.
„Was empfehlen Sie mir?", fragte Laura ihren Anwalt, der ihr bereits beim Prozess ihres Vaters treu zur Seite gestanden hatte. Ihr Vater hatte gewollt, oder besser dessen Anwalt, das sie für ihn Aussagte, um eine mildere Strafe zu erhalten. Sie hatte sich so sehr von ihrer Familie unter Druck gesetzt gefühlt, das sie sich ihrerseits einen Anwalt nahm um ihre Wahl war auf den gutherzigen und etwas greisen alten Mr Gold gefallen, der eigentlich seit Jahren nicht mehr als Anwalt tätig war, sondern eine Buchhandlung in der Innenstadt führte. Für sie hatte er eine Ausnahme gemacht und gleichzeitig ein Gehalt verlangt, das sie sich leisten konnte. Sie stand tief in seiner Schuld.
„Unter normalen Umständen würde ich Ihnen raten, dass Sie erst einmal das Gespräch mit Ihrem Vater suchen. Aber wir können davon ausgehen, dass er dabei versuchen wird Sie in sein Berufungsverfahren mit einzubinden." Ja das würde eine Familie wohltun: miteinander reden. Laura hatte Ihren Vater schon seit Jahren nichts mehr zu sagen und heute noch weniger.
„Ich bin mir sicher, dass meine Mutter ihn über unsere Lage bei ihrem nächsten Gefängnisbesuch informieren wird. Soll er sie für seine Scharade benutzen oder was auch immer Lockhardt vorschwebt, um meinen Vater aus dem Gefängnis zu holen. "Ich will mit ihm nicht zu tun haben", entfuhr es ihr schnaufend und brachte den Namen des Anwaltes ihres Vaters nur mit Verachtung heraus. Lockhardt hatte mindestens genauso viel Dreck am Stecken wie ihr Vater selbst.
„Das verstehe ich, aber dann bleibt Ihnen nur eine Möglichkeit: Sie müssen zu Konstantin Hunt und ihn darum bitten sie zumindest vorrübergehend hier wohnen zu lassen", meinte der alte Anwalt und legte seine faltige Hand über ihre. Obwohl Laura in ihrer warmen Küche saß und einen ihrer liebsten und dicksten Pullover trug, schauerte es ihr bei dem Gedanken. Sie hatte nicht wirklich Angst vor dem Alpha des Black-Water-Rudels, aber sie hatte einen gesunden Respekt, schließlich waren sich alle Medien in einem Punkt sehr einig gewesen: Konstantin Hunt hatte den früheren Alpha seines Rudels und einige seiner Männer im Alleingang getötet. Sie versuchte ehrlich ohne Vorbehalte an das Gestaltwandler Rudel heranzugehen, aber solche Dinge machten es einem dann doch sehr schwer.
„So weit ich weiß, kann man ihn in der Bar „Black-Wolf" antreffen. Einer seiner Rudelmitglieder führt sie wohl in seinem Namen. Ich weiß das ist schwer, aber Sie sollten nicht all zu lange damit warten. Das Rudel wohnt quasi um die Ecke und wenn sie erst damit anfangen ihr Territorium wie vorgeschrieben zu kartografieren und die Patrolien aufzubauen, werden sie zwangsweise auf dieses Haus stoßen. Da ist es besser von selbst auf sie zuzugehen." Laura nickte resigniert. Natürlich hatte er recht und sie nahm sich vor ihn nach ihrer Schicht im Gemeindekindergarten aufzusuchen, möglichst solange die Sonne noch am Himmel stand – denn sie würde sich niemals während der Dunkelheit in die Bar eines Werwolfes trauen.
Wie aus Stichwort hörte sie einen Wagen vor ihrem Haus halten und wusste, dass dies wohl Melissa sein musste, die Pflegerin die sich den Tag über um ihre Mutter kümmerte, wenn Laura arbeiten ging. Ihr erscheinen sagte ihr deutlich, dass es auch für sie Zeit war in die Stadt zu fahren und arbeiten zu gehen.
„Ich danke ihnen Mr Gold. Ich bringe Sie noch zu Tür", sagte sie höflich und bot dem alten Mann ihren Arm an um ihm aufzuhelfen. Leider meinte es das Alter nicht gut mit dem Mann.
„Sehr gerne, Miss Mils. Ich hoffe sehr, dass es für sie gut ausgeht. Ich kann mich um Präzedenzfälle bemühen, falls es dennoch schiefgeht. Nur zur Sicherheit." Laura begleitete ihn zur Tür, half ihm mit der Jacke und dem Schal und öffnete die Tür.
„Danke nochmal", sagte sie und er nickte wohlwollend, bevor er sich auch höfliche an die Pflegerin wandte und zu seinem Auto ging, das selbst nach so wenigen Minuten bereits eine leichte Schneeschicht aufwies.
Melissa lächelte ihr freundlich zu und umarmte Laura knapp. Sie waren zusammen zur Schule gegangen und als ihre Mutter anfing immer mehr Hilfe im Alltag zu benötigen, hatte sie niemanden lieber gefragt als sie, um ihr zu helfen. Laura hatte Schwierigkeiten mit ihrer Mutter, nicht nur aufgrund ihrer politischen Einstellung auch die fortschreitende Krankheit trug seinen Teil dazu bei. Sie litt an Stimmungsschwankungen ausgelöst von einem Tumor in ihrem Gehirn, der dennoch auf einige Bereiche ihres Verstandes Druck ausübte und aus ihr immer mehr eine andere Frau machte.
„He, Laura. Wie geht es der alten Hexe heute?", fragte Mellissa und zog ihren Mantel aus ohne ihren Wagen aus den Augen zu lassen, wo jetzt auch langsam Carly ausstieg, Mellissas Tochter die in die erste Klasse der Gesamtschule nahe dem Kindergarten ging in dem Laura arbeitete. In der Regel nahm Laura sie deshalb immer mit in die Stadt.
„Heute früh hat sie weniger Galle gespukt, als gestern also scheint es ein guter Tag zu sein," erwiderte Laura und zog sich selbst ihren Mantel an und nahm ihren Schlüssel vom Hacken an der Wand.
„Ich mache mich lieber schnell los, bevor deine Tochter noch ungeduldig wird."
„Pah, wenn ich nur halb so gerne in die Schule gegangen wäre wie sie, wäre ich nicht mit siebzehn Schwanger geworden. Aber bereuen kann ich es dennoch nicht", meinte sie absolut liebevoll und obwohl sie so jung Mutter geworden war, konnte sich Laura einen neidischen Gedanken nicht verwehren. Melissa hatte es als Alleinerziehende nicht leicht gehabt, aber dafür hatte sie einen teuflisch guten Job hingelegt. Ihre Tochter war eines der am besten erzogensten Kinder, die Laura je hatte betreuen dürfen.
„Ruf mich an wenn was sein sollte", meinte sie noch und Melisa lächelte so unverblümt fröhlich, wie sie es immer getan hatte.
„Na klar. Pass auf meine Carly auf!" Laura nickte, drückte die bereits ungeduldig zappelnde Carly zur Begrüßung fest an sich und nahm ihr dann die schwere Schultasche ab um sie in ihren Wagen zu scheuchen. Als Laura dabei zusah wie Carly zu ihr auflächelte und sich ihre niedliche Wollmütze mit Hasenohren gerade zupfte, wurde ihr das Herz schwer. Das Mädchen war zuckersüß. Hatte nicht die hübschen, blonden Haare ihrer Mutter geerbt aber dasselbe helle Gemüt. Und sie war wesentlich cleverer, als es für ein Mädchen in ihrem alter gesund war.
„Bereit für deine Mathearbeit?", fragte Laura und Carly nickte eifrig, während sie ihrer Mutter zuwinkte. Stolz hob das Mädchen den Kopf.
„Die sind doch Babyleicht!", verkündete sie fast etwas zu feierlich und legte sich den Sicherheitsgurt an, ohne das Laura etwas sagen musste. Laura lächelte glücklich, dieses Kind vermochte es immer ihr Hoffnung zu machen und nicht nur sie. Laura liebte alle Kinder einfach, auch die anstrengendsten in ihrer Gruppe und wünschte sich für die eigene Zukunft nichts anderes, als selbst eine Familie zu gründen. Etwas das wohl auf sich warten lassen würde. Ihre letzte Beziehung war drei Jahre her und momentan standen die Männer bei ihr nicht gerade Schlange. Na ja, bis auf einen aber an den wollte sie jetzt nicht denken.
Sie fuhr die alte Straße entlang, die den Namen eigentlich gar nicht verdiente. Zwar war sie irgendwann einmal geteert worden, aber die Kälte und der ständige Schneefall hier mitten im Nirgendwo hatten ihren Tribut gefordert und den Weg so stark beschädigt, dass es ein Wunder war mit einem normalen Wagen, wie den ihrem, überhaupt noch hier lang fahren zu können. Laura fuhr keines der Autos, die für diese Gegend typisch waren. Da sie nie vorgehabt hatte, längere Touren zurückzulegen und sicherlich auch nie durch einen der für Alaska typische Wälder fahren würde hatte sie sich für eine Spritsparenden Kleinwagen entschieden, was sie im Nachhinein bereute. Mit einem Jeep oder irgendeinem anderen Offroader wäre sie sicherlich besser durch den Winter von Alaska gekommen. Aber daran konnte sie jetzt nichts mehr ändern und versuchte sich so weit wie möglich auf die Fahrbahn zu konzentrieren und jedem der Schlaglöcher auszuweichen, die ihren Wagen nur unnötig ins Rutschen bringen würden.
Als sie den Wald verließ, in dem ihr Haus stand und am Rand des Black-Water-Teritoriums ankam, aber half ihr diese Aufmerksamkeit kaum noch. Die Straße war nicht geräumt worden und sie war kaum einige Meter aus dem Wald heraus, der zuvor den Großteil des Schnees abgehalten hatte, da drehte auch schon ihr Heckantrieb durch und mit einem kurzen Satz stand sie quer auf der Straße. Carly erschrak so heftig, dass sie kurz aufschrie und Laura entwischte ein Fluch, für den sie sich sofort selber tadelte. Man fluchte nicht vor Kindern.
„Stecken wir fest?", fragte die sechsjährige und Laura gab langsam Gas um einzulenken was aber gar nicht half. Ja, sie steckten fest und sofern nicht gerade Hulk einen Abstecher bei ihnen einlegte, würden sie einen Abschleppdienst brauchen der sie hier herausholte.
„Bleib hier drinnen!", ordnete Laura an und stieg aus dem Wagen um sich das Schlamassel aus der Nähe anzusehen. Die Schneeflocken wurden dicker und würden sie innerhalb von wenige Stunden so weit eingeschneit haben, dass sie ihren Wagen erst im Frühjahr wiederfinden konnte. Immer noch leise vor sich hin fluchend ging sie um das Auto herum und versuchte mit Händen und Füßen den Schnee von den Reifen zu entfernen damit diese wieder greifen konnten. Es half nicht viel und anstatt weiter Zeit zu verschwenden, holte Laura ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Empfangsprobleme hatten sie hier draußen seit einige Wochen längst nicht mehr. Das Wolfsrudel hatte im Herzen ihres Territoriums einen eigenen Sendemast angebracht und damit der ganzen Stadt vollen Empfang beschert. Über die Gründe wollte sich Laura gerade keine Gedanken machen, sie war einfach nur froh, dass sie nicht wie eine blöde herumstiefeln und einen Balken Empfang suchen musste.
>>Werkstatt Andrew<< meldete sich eine Stimme am Telefon und Laura seufzte innerlich erleichtert auf.
„He, Darley, hier ist Laura, ich bin mit dem Wagen ungefähr einen Kilometer vor Stadt stecken geblieben und müsste herausgezogen werden." Am anderen Ende der Leitung drang ein tiefes Stöhnen bis zu ihr durch.
>>Ehrlich, Laura. Das ist das dritte Mal diesen Winter, du brauchst einen anderen Wagen! Einen, den man in Alaska auch benutzen kann!<<, sagte Darley Andrews, eine von nur zwei Autowerkstätten in der Kleinstadt und Laura konnte absolut nichts sagen, was ihm in diesen Punkt widersprechen würde. Sie wusste es selbst, aber hatte leider kein Geld für ein neues Auto – sie war schon zufrieden nicht auf der Straße zu landen. Aber von ihrem kleinen Wohnungsproblem wusste noch keiner von ihren Bekannten und sie würde dafür sorgen, dass es so blieb.
„Wenn du einen zu verschenken hast, gerne doch. Kannst du kommen?", fragte sie und wusste eigentlich, dass diese Frage unnötig war. Darleys tiefe Stimme drang mit einem leisen männlichen Lachen an ihr Ohr, das ihr vor noch wenigen Jahren Herzklopfen verursacht hat. Darley Andrews war schon immer ein wahrer Hingucker gewesen und einer der wenigen noch brauchbaren Singles in der Stadt, mit denen sie sich ernsthaft vorstellen konnte etwas anzufangen. Mit seiner großen, kräftigen aber dennoch schlanken Erscheinung den dunkelblonden, steht's durcheinander geratenen Haar und diesen himmlischen schokoladen farbenden Augen sah er einfach zum anbeißen gut aus. Aber leider hatte er nie auch nur einen Versuch unternommen ihr mehr entgegenzubringen als die Freundschaft, die sie seit der Schulzeit pflegten. Allgemein schien er wenig Interesse an Dates zu haben, seit er in der Werkstatt seines Vaters mitarbeitete war er eigentlich durchweg beschäftigt.
„Klar doch. Ich bin in etwas einer halben Stunde da," versprach er und Laura wollte ihm gerade dafür danken, als sie einen Motor hörte, sich umdrehte und zu zusah, wie ein riesiger schwarzer Jeep sich mit Leichtigkeit seinen Weg durch die Schneemassen bahnte. Einen Vorteil daran in einer Kleinstadt – oder in ihrem Fall etwas außerhalb zu leben - war definitiv die Tatsache, dass so etwas wie Nachbarschaftshilfe noch existierte und die Chance groß war, dass diese Leute ihr helfen würden. Und tatsächlich verlangsamte das Fahrzeug.
„Moment, da hat gerade wer angehalten. Ich schaue mal, ob die mir helfen und melde mich dann nochmal", sagte sie schnell.
„Na klar, ich bleibe in der Nähe vom Telefon", entgegnete Draley mit einem merkwürdig enttäuschten Klang in der Stimme und verabschiedete sich. Laura drückte gerade auf den roten Hörer ihres Telefons als die Tür des schwarzen Ungetüms aufging und nach einer großen, schlanken Frau auch ein noch sehr viel größerer Mann ausstieg, bei dem ihr fast sofort die Luft wegblieb.
In den Medien hieß es immer, dass es ein eigenartiges Gefühl war einem Werwolf zu begegnen und da Laura in der Nähe eines Rudelterritoriums aufgewachsen war und den einen oder anderen Wolf bereits gesehen war, war ihre Reaktion nun doch überraschend. Ein merkwürdiges Prickeln breitete sich in ihrem Nacken aus und lief ihre Wirbelsäule herab, bis sie glaubte, vor Hitze fast sterben zu müssen. Der Mann war größer als alle Männer, die sie bis jetzt gesehen hatte, ein Riese. Die Schultern so breit, dass er sicherlich einen Türrahmen ausfüllen würde und sich deutlich unter der Jacke abzeichneten Muskeln. Er strahlte eine raue und furchteinflößende Aura aus, die Laura fast anschrie: Dominanter Wolf! Sehr dominanter Wolf!
Sie mussten zu dem gerade zurückgekehrten Teil des Rudels gehören und sie konnte nicht leugnen, dass sie überrascht war, wie gewöhnlich sie waren. Sie hatte sich, obwohl sie sich bemühte nicht in Klischees zu denken, immer vorgestellt sie würden nicht nur wild und ursprünglich aussehen, sondern sich auch so kleiden. Sie Wölfe waren immer so selten in die Stadt gekommen, dass alle annahmen sie seinen Selbstversorger und würden auch so aussehen.
Aber obwohl gerade der Mann mit den extrem kantigen Gesichtszügen und den unrasierten Wangen sehr danach aussah, waren sie es nicht. Seine Augen lagen tief und trugen einen strengen und auch abschätzenden Blick zur Schau, der ihr unter die Haut ging. Vielleicht lag es aber auch nur an diesem verstörenden Silber, das Laura selbst aus dieser Entfernung genau sehen konnte. Sie leuchteten fast. Sein wahnsinniger Körper – sie hatte ja gescherzt das sie einen Hulk brauchen würde – steckte in einer schwarzen, teuer aussehenden Lederjacke, dazu trug er Jeans und schwere Boots. Keine Handschuhe, kein Schal, was die Theorie über den Wolf nur bestätigte, denn dass die Gestaltwandler der Kälte wesentlich besser trotzdem als die Menschen war weitläufig bekannt, ihre Körpertemperatur lag, wie bei ihren tierischen Verwandten, wesentlich höher als bei den Menschen.
Er hatte dasselbe dunkle, fast pechschwarze Haar wie die Frau, schien aber wesentlich seltener zu Lächeln. Denn während er einfach nur da stand und sie ansah, kam die Frau mit einem offenen Gesichtsausdruck auf sie zu, dennoch konnte Laura sich aus irgendeinen Grund nicht von dem Mann abwenden und stand wie betäubt einfach hier mitten auf der verschneiten Straße und hatte das Gefühl, gleich zu ersticken so intensiv war seine Aura, selbst über die Entfernung hinweg.
Dabei war er nicht mal im klassischen Sinne attraktiv. Er war zu rau, zu groß und zu ... wild. Anders konnte sie es nicht beschreiben, selbst wenn da nicht die fünf übel aussehenden Narben gewesen wären die quer über seine linke Gesichtshälfte verliefen und ihn noch brutaler aussehen ließen, hätte ein Blick gereicht, um das Bild eines kämpfenden Werwolfs in ihren Kopf zu setzen. Und dieser Werwolf starrte sie direkt an. Bereit zuzuschlagen, bereit um sie zu zerfleischen, bereit um sie zu seiner Beute zu machen. 

Beta: Geany

Die Rückkehr des Wolfes- Alaska Werewolves Bd. 1Where stories live. Discover now