Rudeldynamik

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 Kapitel 22

Sie waren gerade vom Parkplatz des Schul- und Kindergartengeländes gefahren als Laura sich zu Konstantin drehte und ihm das verkündete, was er ohnehin bald erfahren würde
„Ich habe heute bei Shiny versagt. Irgendwie", das letzte Wort hing sie etwas später dran. Schließlich hatte sie zwar die Zustimmung, dass Shiny sich vorerst von Jason fernhalten würde, aber das hatte so absolut geklungen, dass es ihr angst machte.
„Irgendwie?"
„Sie hat eingewilligt, zu Jason etwas Abstand zu bewahren. Sie wusste, worüber ich mit ihr reden wollte noch bevor ich etwas sagen konnte, aber das ist nicht gut gelaufen. Sie war wütend auf Jason. Irgendetwas ist vorgefallen", sagte sie, doch als Konstantin von dieser Information kaum überrascht zu sein schien, runzelte Laura die Stirn.
„Mein Versagen überrascht dich nicht?", fragte sie und spürte dann wieder seine Handfläche in ihrem Nacken. Seine starken sehnigen Hände kneteten ihre Halsmuskeln und wenn sie hätte Schnurren können, hätte sie es vermutlich getan.
„Du hast nicht versagt. Shiny ist eine starke, dominante Wölfin. Wenn sie niemanden an sich heranlassen will, dann tut sie das auch nicht. Und sie misstraut als dominante Wölfin fast allen Fremden. Danke, dass du es versucht hast", sagte er und sein Daumen glitt einmal über eine besonders empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr, was sie fast zum Seufzen brachte. Doch sie fing sich schnell wieder und versuchte das Thema weiterzuverfolgen, auch wenn ihre Kehle plötzlich trocken war und sie dafür sterben würde, genau dort seine Lippen spüren zu dürfen.
„Ich verstehe nicht wirklich was das bedeutet: dominante Wölfin. Unterdrückt sie andere?", fragte sie, griff nach seinem Handgelenk und zog seine Hand auf ihren Schoß. Sie konnte sich nicht konzentrieren, wenn er sie berührte.
„Was? Nein. Dominante Wölfe sind die Wölfe, die das Rudel nach außen hin verteidigen. Viele besitzen diese Veranlagung dazu von Geburt an, aber es verfestigt sich in dem Moment wo sie die Welpenwitterung verlieren. Aber Shiny ist selbst in diesem Maßstab extrem beschützerisch und territorial. Sie wird nicht nur Mitglied meiner Verteidigungslinie, sie wird ohne Zweifel sehr schnell meine Offizierin werden." Eine Offizierin. Laura kannte den Begriff, sie hatte sich über die hierarchischen Schichten innerhalb eines Rudels informiert. Offiziere sind die Anführer der Verteidigungstruppen, mit denen fast jedes Gestaltenwandlerrudel seine Grenzen sicherte. Und zu ihrer Überraschung hatte sie gelesen, dass das Geschlecht im Rudel eine wirklich sehr untergeordnete Rolle spielte. Viele dieser Krieger, waren weiblich.
„Das weißt du jetzt bereits?", fragte Laura dennoch weiter. Schließlich war Shiny noch sehr jung und sie war eher davon ausgegangen, dass die Position an Erfahrung geknüpft war.
„Sie ist speziell."
„Inwiefern?", bohrte sie nach und sah, wie Konstantin nachdachte. Vertraute er ihr doch noch nicht oder versuchte er lediglich die richtigen Worte zu finden, damit sie als Außenstehende es auch verstand?
„Wenn ein Rudel beginnt zu zerbrechen, besonders wenn ein Alpha versagt, reagiert die Natur darauf manchmal indem sie kurz nacheinander zwei Alphas in ein Rudel wirft. Denn normalerweise bedeutet ein Versagen eines Alphas, dass ein Rudel zu groß geworden ist und gibt ihm so die Möglichkeit, sich ohne größeres Blutvergießen zu teilen. Shiny wurde geboren, da war ich gerade einmal vierzehn. Die Alpha-Witterung hatte sich gerade erst vollständig bei mir gefangen, aber das Rudel war immer noch tief gespalten. Noch sieben Jahre lang. Es gab zu viele Probleme."
Der Bruch des Rudels war zehn Jahre her und war definitiv eher den rassistischen Ansichten des ehemaligen Alphas zu verschulden und kein zu groß gewordenes Rudel, aber das wusste die Natur wohl nicht. Obwohl sie es schon erstaunte, dass diese Dynamik innerhalb eines Rudels dafür sorgte, dass tatsächlich zwei Alphas geboren werden.
„Willst du damit sagen, dass Shiny ein Alpha ist?", das war eine überraschende Information, dann aber dachte Laura darüber nach. Moonshines Auftreten war definitiv selbstsicher und sie schien wirklich nicht einfach ein launischer Teenager zu sein. Sie war definitiv etwas einschüchternd und erinnerte sie damit stark an die Reaktionen, die Konstantin bei ihr ausgelöst hatte. Naja, zumindest bevor sie dazu übergegangen war den Mann im Kopf auszuziehen. Sie war gerade dabei sich in diesem Kopf-Porno zu verlieren, als Konstantin weiterredete.
„Sie hatte definitiv die Witterung als solcher und auch ihr gesamter Charakter hat dafürgesprochen, doch die Witterung verschwand als ich mit dem Rudel fortging und sich mein Teil des Rudels stabilisiert hatte. Hätte ich es nicht geschafft das Rudel zu ernähren und es zu schützen, wäre sie sicher ein Alpha geworden."
„Und was ist sie jetzt?"
„Eine verdammt dominante Wölfin, deswegen kann ich sie nicht einfach zu irgendetwas zwingen. Ich versuche möglichst mit Argumenten mein Rudel auf Kurs zu halten, aber manchmal ist es einfach notwendig dem Alpha heraushängen zu lassen und sich durchzusetzen. Bei Shiny beiße ich damit auf Granit." Konstantin konnte diplomatisch sein? Das war aber mal eine ganz neue Information. Natürlich war Laura klar, dass er kein wirklicher Tyrann war. Konstantin war unglaublich charismatisch, was ihm sicherlich half das Rudel zu führen aber als er in ihr Leben getreten war, hatte er einfach die Tür aufgetreten und sich einfach einen Platz gestohlen. Ich bin hier, leb damit! Ja, genau so war es gewesen und obwohl Laura darüber empört und wütend sein sollte, hatte sie sich einfach gefügt. Aber wie war es für ein fast Alpha-Teenie-Mädchen in einem Rudel?
„Führt das nicht zu Problemen?" Konstantin sah sie kurz an und grinste breit.
„Nein, Laura. Es ist sogar notwendig. Ich brauche keine Offiziere, die mir sagen, was ich hören will. Ich glaube nicht an Zufälle und ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein Zufall ist, dass Shiny Jasons Luna ist. Er ist meine rechte Hand, mein bester Freud und vor allem der erfahrenste Kämpfer im Rudel. Sie werden zusammen das Beta-Paar sein und zusammen mit uns ein starkes Fundament bilden, das nur wenige Rudel besitzen." Das leuchtete ihr ein, auch wenn sie es sich schwierig vorstellte. Jason schien ein stolzer Wolf zu sein und mit einem Wirbelwind wie Shiny an seiner Seite würde es für ihn nicht leicht werden, besonders nicht, wenn sie ein Alpha hätte werden können.
„Also ist Shiny dominanter als Jason?" Sie stellte sich das merkwürdig vor. Laura selbst empfand sich definitiv nicht als schwach, aber sie war froh, dass sie sich darauf verlassen konnte, dass Konstantin die Dinge regelte wenn sie ernst wurden.
„Jason ist definitiv ruhiger, während Shiny ein eher instabiles Temperament an den Tag legt. Aber so hierarchisch ein Rudel nach außen hin wirkt, ist es gar nicht. Nach den Alphas ist es schwierig eine Hierarchie in einem Rudel abzulesen, wir sind eben nicht nur Wölfe und folgen nicht rein unseren angeborenen Anlagen. Es gibt einige Wölfe die ich als dominant einstufen würde, die aber keinerlei Ambitionen haben das Land zu verteidigen, sondern in anderen Bereichen dem Rudel helfen. Aber wer dominant ist und wer nicht, ist immer ein subjektiver Eindruck, es sei denn es ist mit einer Witterung verbunden wie die beim Alpha und selbst die kann verschwinden, bevor man vom Welpen zum Jungwolf wird. Shiny mag zwar eine durchsetzungsfähige Person sein, aber ich habe die beiden miteinander erlebt: Das wird eine Beziehung auf Augenhöhe. Jason ist auch nicht ohne und Shiny wohl die einzige Frau, die ihm die Stirn bieten kann. Das wird sich zwischen ihnen schon einpendeln."
„Tatsächlich. Das klingt kompliziert", gab sie an und war nicht wirklich schlauer als vorher. Shiny war sehr viel jünger als Jason, da sollte er automatisch den dominanten Part in der Beziehung einnehmen, aber vielleicht war dieser Altersunterschied notwendig, um überhaupt eine Grundlage für eine Beziehung zu liefern. Jeder andere Junge in Shinys Alter wäre zweifellos mit ihr überfordert.
„Es ist schwer zu erklären. Wer sich wem unterordnet ist nicht nur mit einem Instinkt verbunden, sondern hat auch etwas mit Vertrauen zu tun. In Friedenszeiten zum Beispiel, wenn ein Rudel keine äußeren Bedrohungen fürchten muss, wird kein dominanter Wolf es je wagen zum Beispiel einer Mutter zu widersprechen unabhängig davon wie dominant oder nicht dominant sie ist. In allgemeinen nehmen Mütter bei uns eine hohe Stellung ein und gerade die ruhigen Wölfe, die von dem Schutz der dominanten profitieren, bilden den inneren Kern der ein Rudel zusammen hält. Vor zehn Jahren hat es genau an diesem inneren Halt gefehlt, der letztendlich zum Bruch führte. Das konnten auch keine dominanten Wölfe verhindern."
„Dennoch weiß ich nicht, ob wir Shiny nicht doch irgendwie unter die Arme greifen sollten. Ich habe gesehen, wie sie und Jason sich furchtbar gestritten haben. Sie hat geweint und dann hat sie irgendetwas von Verzicht gesagt. Das klang ziemlich ernst und ..."
„Moment. Sie hat geweint?", unterbrach Konstantin sie sanft und Laura nickte, bis ihr einfiel, dass er sich auf die Straße konzentrieren muss.
„Ja. Wie gesagt, sie haben sich gestritten."
„Bist du dir sicher?", fragte er überrascht und wieder nickte sie.
„Ja, wieso?"
„Also erstens: Jason fällt in die Kategorie Stiller-Wolf, er streitet nicht. Ich habe nie erlebt, dass er in irgendeiner Form laut geworden wäre. Egal welche Meinung er vertritt, er vertretet sie sachlich und fast schon ein wenig kalt und das wichtigste: Shiny weint nicht. Ich habe sie zuletzt weinen sehen als sich das Rudel gespalten hat und ihre Eltern sich entschlossen haben, hier zu bleiben. Seitdem ist diesem Mädchen nie wieder eine Träne über die Wange gekullert." Sagte er und Laura hätte eifersüchtig werden können, da Konstantin dieses Mädchen so eindringlich im Auge behielt. Allerdings war das angesichts ihrer späteren Position wohl erforderlich. Sie würde mit Jason das Betapaar bilden.
„Das kannst du nicht wissen", gab Laura dennoch zu bedenken. Egal wie hart eine Frau äußerlich auch wirken mag, wenn sie allein in ihrem Bett lag und weinte, würde es niemand bemerken. Bei ihr selbst hatte es ja auch nie jemand mitbekommen. Die Tatsache, dass sie anscheinend von ihren Eltern verlassen wurde, war Hinweis genug. Das Mädchen tat ihr leid.
„Doch Laura, Shiny ist niemand der mit seinen Gefühlen hinter den Berg hält. Wenn sie sauer ist, ist sie sauer, wenn sie fröhlich ist, ist sie fröhlich und wenn sie trauert, sucht sie offen Trost beim Rudel."
„Sie hat ihre Gefühle für Jason doch auch verschwiegen, oder?", gab sie zu bedenken und das brachte Konstantin tatsächlich zum Verstummen. Eine Weile fuhren sie Wortlos weiter bis Konstantin erklärte:
„Ich rede mit Jason, egal was er gesagt hat er muss es in Ordnung bringen." Da wiederum konnte Laura nur zustimmen, dennoch musste sie das Dilemma ansprechen.
„Aber er darf sich ihr nicht nähern."
„Ich weiß. Es ist zum Verzweifeln", knirschte er und Laura umfasste die Hand in ihrem Schoß fester, um ihm zu signalisieren, dass sie das schon schaffen würden. Gemeinsam. So verweilten sie eine Zeitlang und Laura musste seine Hand nur einmal freigeben, als Konstantin in den Off-Road-Modus schalten musste, um durch den immer dickeren Schnee zu kommen. Langsam aber sicher wurde es wirklich klirrend kalt. Die Sonne stand noch immer am Himmel und dennoch zeigte das Thermometer bereits arktische Minus dreizehn Grad.
Das Licht fluoreszierte leicht über den Spitzen der Nadelbäume hinweg und Laura fragte sich, ob es schon Zeit war für Polarlichter war. Aber als sie das Territorium erreichten, stellte sie fest, dass es nicht die Sonne war die auf das Magnetfeld der Erde traf, die für dieses Licht sorgte, sondern ein Krankenwagen. Um genau zu sein: Ein Krankenwagen und ein Notarzt die auf ihren Autodächern mit stummem Blaulicht vor Lauras Haus standen. Und dann war es wieder da, das merkwürdige Gefühl, dass sie bereits vorhin gehabt hatte nur diesmal mitsamt der Erkenntnis, dass es vorbei war. Ihre Mutter hatte sie allein gelassen.

Beta: Geany

Die Rückkehr des Wolfes- Alaska Werewolves Bd. 1Where stories live. Discover now