62 Scherbengericht - Teil 2

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Stiles hatte wieder und wieder über das Gerichtsverfahren nachgedacht, hatte sich bemüht, alles so objektiv wie möglich zu betrachten, er hatte es mit Derek und seinen Freunden ausgiebig diskutiert und hatte schließlich entschieden, dass es für Kate Argent absolut unmöglich war, einen Freispruch zu erwirken, angesichts der Schwere und der Vielzahl der Anklagepunkte gegen sie und der drückenden Beweislast. Ganz gleich welches Kaninchen ihre Anwälte also noch aus dem Hut zaubern würden, sie würde verurteilt werden. Es MUSSTE ganz einfach so sein, oder etwa nicht?

Und so gelang es Stiles an der Seite von Derek jeden Tag aufs Neue ein tapferes Gesicht aufzusetzen und sich seinen Weg durch eine sensationshungrige Reportermeute vor dem Gerichtsgebäude zu bahnen, welche dort geduldig wie Aasgeier auf eine sterbende Beute ausharrte. Es verwunderte nicht, dass diese Pressetypen sich derart auf diesen Fall stürzte, denn diese Geschichte hatte zugegebenermaßen alles, wovon ihresgleichen nur träumen konnte; ein gefallenes Supermodell, einen der reichsten Männer der Welt, Prostitution und Mord. Stiles konnte es diesen Leuten nicht einmal übel nehmen, dass sie sein Leben, sowie das von Derek und seinen Freunden gerade derart auseinandernahmen. Sie bedienten damit bloß den unersättlichen, ach-so-menschlichen Hunger nach Klatsch. Die Wahrheit hinter der Story interessierte dabei im Grunde niemanden, denn sie war viel zu langweilig.

Hatten sie den Pressetumult erfolgreich passiert, so empfing sie die unterkühlte, würdevolle Atmosphäre des großen, einschüchterndes Gerichtsgebäudes, wo sie dann im immer gleichen Sitzungssaal, welcher ihnen alsbald so vertraut wurde, wie ein zweites, ungemütliches Zuhause, endlose, zermürbe den Stunden der Verhandlung über sich ergehen lassen mussten.

Trotzdem Stiles rational klar war, dass eigentlich nichts schief gehen konnte, beobachtete er Kates zur Schau gestellte Zuversicht mit einer gewissen Beunruhigung. Wie konnte diese Frau angesichts ihrer Taten und der Situation, in welcher sie sich nun befand immer noch so aussehen, als habe sie das Recht auf ihrer Seite?

Glaubte sie am Ende gar selbst an ihre eigene Unschuld?

Oder war sie lediglich felsenfest überzeugt von ihrer eigenen Unbesiegbarkeit?

Dies waren die Frage, welche Stiles in den Nächten zwischen den Prozesstagen den Schlaf raubten und ihn dann allein im dunkeln Haus herumgeistern ließen.

Als Derek ihn einmal weit nach Mitternacht so vorfand, wie er im Wintergarten stand und hinaus in den dunklen Garten starrte, legte er bloß wortlos von hinten die Arme um ihn. Er erinnerte sich schließlich selbst noch allzu gut daran wie es war, nachts keine Ruhe zu finden.

Sie kehrten eine Weile später ins Bett zurück, doch Derek wusste, dass Stiles den Rest der Nacht ohnehin damit verbringen würde, mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit zu schauen, also fragte er seinen Geliebten unsicher:

„Wie kann ich dir helfen, Babe? Soll ich dich vielleicht im Arm halten, oder so?"

„Ich würde dich bloß wachhalten mit meiner Unruhe. Ich schlafe dann, wenn Kate verurteilt ist, abgemacht?" erwiderte Stiles leichthin.

„Das ist doch blöd! Kann ich denn überhaupt nichts machen?" fragte Derek unzufrieden: „Immerhin hast du mir damals auch geholfen. Irgendetwas muss ich doch auch für dich tun können?"

Stiles beugte sich zu einem Kuss zu ihm hinüber und versicherte:

„Du tust bereits alles; du liebst mich, du stehst zu mir, du teilst dein Leben mit mir. Ich bin ein sehr glücklicher Mann. Und diese Schlaflosigkeit geht schon wieder vorbei."

„Aber wenn wir... du weißt schon! Nach dem Sex bist du doch immer müde. Vielleicht hilft das ja?" schlug Derek vor.

Stiles schluckte hörbar, dennoch erwiderte:

SchlaflosWhere stories live. Discover now