Teil 1

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Meine Hände fest am Geländer der Terrasse geheftet, blickte ich hinunter auf die weiße Stadt und stellte mir nicht das Erste mal vor, dass ich verborgen hinter den Wolken hervor sehe.

Ich stellte mir vor, wie niemandem bewusst ist, dass ich nicht nur Gestein hoch am Himmel bin, wie sie es Jahrhunderte vermutet hatten, sondern hoch über ihnen auf die Welt starrte. Frei von allem und bestehend nur aus einem Ich-Bewusstsein. Dass ich tatsächlich existierte und die Welt fallen und auferstehen sah.

Als ich das erste mal in die weiße Stadt trat, musste ich feststellen, dass die Sonne nie unterging und das war auch das erste mal, dass ich mich nach dem dunklen Nachthimmel sehnte. Seit dem ist eine lange Zeit vergangen in der ich mich nicht nur einmal fragte, ob der Tod mich zuerst finden würde, oder ob ich mein zu Hause vorher noch ein einziges mal sehen würde.
Doch nun lebte ich schon seit Jahrzehnten, ohne mein zu Hause gesehen zu haben hier und mir war nicht einmal das Altern vergönnt, welches mich irgendwann in den Tod gewiegt hätte.
Zum Beginn war es noch erträglich, denn dieser Ort war auf den ersten Blick wunderschön und die Wesen hier freundlich gesinnt.
Doch mittlerweile fühlte ich mich fehl am Platz. Zwar passte meine äußere Hülle hierher in dieses helle Paradies. Doch mein Inneres sehnte sich Tag für Tag nach dem dunkel der Nacht, welches ich nicht einmal von hier unten bewundern konnte, weil der heilige Rat der Engel mir keinen Zutritt zur Erde gewährte.
Betrübt verfolgte ich nun weiterhin das Geschehen unten in der Stadt, während diese Gedanken meinen Verstand verdüsterten.
Leuchtende Seelen schwirrten umher und musterten ehrfürchtig die Engel, die ihren Aufgaben nachgingen und hier und da den Seelen ein Lächeln ins Gesicht zauberten.
Wieder dachte ich über die Reinheit dieses Ortes nach, was sich geradezu verstörend falsch anfühlte.

Das Gestein der niedrigen Gebäude war aus Sandstein und stand in keinem Kontrast zu den weißen Gewändern der umher trudelnden Menschen und Engeln.
Einzig allein der Himmel und das Wasser hatten ein kräftiges Blau und wirkten so unglaublich sündhaft neben dem Weiß der Stadt.
Um die Stadt herum erstreckte sich nichts als grünes Land, welches für den ersten Blick unendlich schien, aber eigentlich war es das nicht. Irgendwann würde man eine Barriere erreichen, die den Zutritt nur den Engel erlaubte, während die Seelen und die verbliebenen Menschen diese Barrieren nie passieren könnten.

Auch mir war es untersagt, was ich einst schmerzlich selbst herausfinden musste, als ich nach einem Ausweg zurück zu meinem Heim suchte.
Je länger die Zeit verging, desto schweigsamer wurde ich und in letzter Zeit verbrachte ich meine Zeit nur noch hier oben. Selbst die weichen Grashalme der Wiese, die einst wie balsam für mich wirkten, erzielten die gewünschte Wirkung nicht mehr. Ein anderer würde wohl sagen, dass ich in Verbitterung versank und vermutlich hatten sie recht. Es war mir aber gleichgültig was sie dachten, denn ich konnte nicht länger Fröhlichkeit heucheln, während mein Ich trauerte.

Ein Tippen gegen meine Schulter zwang mich, meinen Blick von der Stadt zu lösen und hinter mich zu sehen.
>>Devan<< stellte ich überrascht fest und verstummte zugleich, als ich seinen traurigen Ausdruck wahrnahm.
>>Warum hast du es getan?<<fragte er mich enttäuscht.
Verwirrt sah ich ihn an und überlegte,was er meinen könnte. Sein verurteilender Ausdruck war so enorm, dass ich für einen Moment tatsächlich in Erwägung zog, etwas falsch gemacht zu haben. Doch mir kam nichts in den Sinn. Ich brach nie eine Regel und auch Devan gegenüber war ich immer sehr freundlich. Denn er war hier im Grunde mein einziger Freund, weshalb ich auch stets auf seine Gefühle acht gab. Aus diesem Grund war es mir ein Rätsel, dass er mir so gegenüber trat.
>>Was meinst du?<<fragte ich ihn verstohlen und ging instinktiv einen Schritt zurück, als seine Hand an seine Seite schnellte.
>>Du hast alles zerstört<< antwortete er stattdessen und schlang ein Kristallseil um meine Handgelenke, welches sich schmerzhaft in mein Fleisch bohrte.
Bevor ich etwas sagen konnte, schnippte er mit seinem Finger, woraufhin ich nichts als Schwärze sehen konnte.
Er hatte mir meine Sinne genommen, schoss es mir durch den Kopf, während Angst langsam die Verwirrung in mir abzulösen schien.
Krampfhaft versuchte ich zu überlegen, was das bedeuten könnte.
Denn je länger ich darüber grübelte, desto sicherer wurde ich mir, dass hier etwas gewaltig schief lief und ich definitiv keine Schuld hatte.

Eine Ewigkeit später blendete mich das Licht. Die Sinneseindrücke erdrückten mich, nachdem mir zuvor alles verwehrt geblieben ist.
>>Wir haben uns heute hier versammelt meine Brüder und Schwestern, um Vergeltung zu verüben. Unsere Jelaya, der wir alles gaben und sie stets willkommen hießen, hat uns verraten.
Sie ist bei dem Versuch gescheitert, das ewige Licht zu stehlen, um die Mauern des Himmels einzureißen und zurück zu ihrer Heimat zu finden, dank unserem Bruder Asbeel und so ist dir ihr Urteil gestattet. Mögest du dein Urteil Weise fällen.<< sprach eine mir fremde Stimme.
Mein Körper war von dem Schock eingefroren,während ich in die Gesichter der Engel an dem ovalen Tisch sah.
Nur mit Mühe überwand ich diesen Moment der Schwäche, um mich zu verteidigen.

>>Ich habe weder etwas gestohlen, noch jemals den Versuch gewagt. Es muss eine Verwechslung sein.<<versuchte ich Klarheit zu schaffen. Aber es schien zwecklos.
Sie alle sahen zu Asbeel, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Als dieser sich nun zu mir wandte, erschien für einen Moment ein Lächeln auf seinem Gesicht, welches mit Sicherheit nur für meine Augen bestimmt war.
Darin war nichts mehr als Spott und Hohn auszumachen.
>>Jelaya wird in die Hölle verbannt. Sie soll erst wieder zurückkehren können, wenn die Hölle nicht mehr das Reich der Menschen besudelt.
Sie soll Vergebung erfahren, wenn der Teufel und seine Dämonen gänzlich besiegt sind.<< fällte Asbeel sein Urteil.

Nur Vage nahm ich wahr, wie ich auf die Knie fiel und meine Hände an meinen Mund presste.
>>Ihr verbannt mich zu ewigen Qualen.<< stellte ich fest. >>Zu Unrecht<<setzte ich an.
>>Du wagst es, uns eines Unrechtes zu bezichtigen?<< ertönte das Grollen aus dem Mund von Rumsal, einem Engel am ovalen Tisch.
Meine Fassade bröckelte nun gänzlich und egal wie sehr ich mich dagegen wehrte, ich konnte die Wut in mir nicht zügeln.
>>Meinetwegen könnt ihr an diesem Tisch sitzen. Nur weil ich meine Heimat verließ und euren Krieg beendet habe, könnt ihr an diesem Tisch sitzen und dieses Urteil über mich fällen.
Ein Urteil zu Unrecht, denn ich habe das Verbrechen, für das ich bezichtigt werde, nicht begangen.
Die Hölle verachtet mich, gerade wegen jener Taten von mir, die euch befreit haben und ihr wollt mich dorthin verbannen. Also ja. Ihr verbannt mich zu ewigen Qualen. Zu Unrecht!<< fügte ich mit bebender Stimme hinzu.

>>Erfülle deine Aufgabe und du kannst heimkehren.<<stellte Asbeel nochmals klar und ignorierte meine Worte. Ich fixierte seine braunen Augen und löste mich schließlich von dem platinblonden langen Haar. Er hatte mich schon immer im Visier gehabt, doch dass er so weit gehen würde, hätte ich nie für möglich gehalten.
Heimkehren. Ich kann niemals heimkehren, auch nicht dann, wenn ich das was sie von mir verlangen, erfüllen könnte. Denn selbst, wenn ich diese unmögliche Aufgabe erfüllen sollte...mein Heim war bei den Sternen, unerreichbar und hoch am Nachthimmel.

Galle stieg meinen Hals empor, als ich meinen Gedanken freien lauf ließ.
Sie hatten es verdient, schoss es mir durch den Kopf und obwohl ich mich für diesen Gedanken schämte, konnte ich nicht verhindern, dass genau dieser Gedanke sich in mir fest setzte.
Asbeel zog mich an meinem Arm mit sich und flog mit mir an den Rand des Himmels. Dort, wo das Portal zur Hölle ragte und nur in seltenen Fällen benutzt wurde.
Ich sah nicht hinunter. Denn ich wollte nicht, dass er die Angst in meinen Augen sah. Asbeel sollte stattdessen die Verachtung in ihnen erkennen.

>>Warum?<<fragte ich ihn schließlich und hielt seinem ausdruckslosen Blick stand.
>>Erfülle deine Aufgabe, alles andere geht dich nichts an.<< erwiderte er kalt und stieß mich vom Rand.
Wut flammte im ersten Moment in mir auf, weil Asbeel mir den Grund verwehrt hatte und Angst löste diese Wut nun ab, als die Luft um mich zu knistern begann und die Hitze meine Haut zu versengen drohte.
Meine Haare peitschten um mein Gesicht, gefolgt von meinen bleichen Gewändern und als ich den Boden erreichte, war da kein Aufprall.
Ganz im Gegenteil. Ich lag dort, als wäre ich nie gefallen.
Bevor ich mich aufrichten konnte, beugte sich eine Gestalt über mich und erinnerte mich schmerzlich daran, an welchem Ort ich nun war.

Queen of Hell - Fallender SternWhere stories live. Discover now