32 | Warum kann ich nicht atmen?

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Wieder weiß ich nicht, wie viel Zeit vergeht oder wo ich mich befinde. Zu behaupten, dass mir diese ständige Dunkelheit und Orientierungslosigkeit nicht allmählich auf die Nerven geht, wäre eine Lüge.

Dieses Mal ist allerdings irgendetwas anders, denn es ist nicht nur dunkel, sondern auch irgendwie kalt und nass und ich stelle fest, dass ich nicht mehr atmen kann.
Das ist gar nicht gut!

Ich wedele mit meinen Armen um mich herum, versuche, irgendetwas zu ertasten, das mir einen Hinweis gibt, wo ich mich befinden könnte. Meine Beine stimmen in das Gehampel mit ein und kurz bevor meine Lungen drohen zu zerbersten, wird mir klar: ich schwimme!
Okay, es ist aktuell eher ein Tauchen und es wird dringend Zeit, Luft zu holen.

Mit schnellen, kraftvollen Stößen befördere ich mich nach oben und durchbreche prustend die Wasseroberfläche. Reflexartig schüttele ich mir die Haare aus dem Gesicht und blicke mich suchend um.

Wie es scheint, befinde ich mich in einem Hallenbad mit einem Sportschwimmbecken, in dem einige Schwimmer ihre Bahnen ziehen. Mit leichten Zügen kraule ich zum Beckenrand und ziehe mich nach draußen.

Meiner Erfahrung nach muss Arthur hier irgendwo in der Nähe sein, denn anders kann ich es mir nicht erklären, weshalb ich nicht mehr im Dunkeln bin.

Als ich mich allerdings umsehe, erkenne ich nur eine Gruppe Frauen, die sich zum Nichtschwimmerbecken bewegen und allesamt sehr schwanger aussehen.

Ich selbst kenne nur eine Schwangere: Tessa.

Unter den dickbäuchigen, miteinander redenden Frauen kann ich sie jedoch nicht entdecken, obwohl ich mir in meiner sitzenden Position mit den Beinen noch immer im Wasser beinahe den Hals verrenke.

„Entschuldigung", sagt eine weibliche Stimme hinter mir und ich drehe mich ruckartig um.

Eine überaus skeptisch dreinschauende Tessa in einem dunkelblau-weiß-gestreiften Badeanzug steht bedrohlich über mir, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Tessa", rufe ich überrascht. „Wie..."

„Wie ich dich erkannt habe?", lacht sie und schüttelt den Kopf. „Schätzchen, als du dich gerade aus dem Wasser gezogen hast, hat eigentlich nur noch passende Laufstegmusik gefehlt. Ich glaube, die Frau dort hinten hatte nicht geplant, mit Klamotten Baden zu gehen."

Meine Augen folgen ihrem Finger und ich sehe eine Frau mittleren Alters, die sich gerade samt Jeans und etwas, das in trockenem Zustand vermutlich mal eine Bluse sein sollte, aus dem Becken zieht, während sie immer wieder verstohlen zu mir herüberblickt.

Verlegen räuspere ich mich und reibe mit der Hand über meinen Nacken.

„Ich will nur eins wissen, bevor Arthur gleich aus der Umkleide kommt", zischt Tessa und mein Blick schießt wieder zu ihr. „Hast du vor, ihn zu verarschen? Denn wenn dem so ist, dann gnade dir Gott, mein Freund. Ich mag vielleicht schwanger sein, aber das bedeutet nicht, dass ich dir nicht deinen–"

„Nein!", unterbreche ich sie und hebe beschwichtigend die Hände. „Auf gar keinen Fall!"

„Was hast du dann mit Corin zu schaffen?", will sie mich verhören.

„Mit Corin? Ich habe überhaupt nichts mit Corin zu schaffen."

„Und warum wusste Arthur nicht, dass er in deinem Café war, wo Arthur sich zu dieser Zeit ebenfalls aufhielt?"

Hilfe, hatte Arthur nicht gesagt, sie sei Immobilienmaklerin? Meiner Auffassung nach wäre sie eine hervorragende Polizistin oder Staatsanwältin.

„Weil Arthur in der Kammer war", erkläre ich wahrheitsgemäß. „Und ich bin diesen Corin erfolgreich losgeworden, bevor er mir wieder alles versaut."

„Versaut? Wieso versaut?"

Ich seufze und lasse meinen Kopf hängen.
„Weil er gefühlt immer dazwischenfunkt, wenn Arthur und ich uns näherkommen und ich allmählich glaube, dass–"

„Schhhhhht!", zischt Tessa und setzt ein breites, sehr zähnelastiges Lächeln auf, als sie an mir vorbeisieht. „Nicht hingucken, er kommt", presst sie zwischen ihren Zähnen hervor. „Ich glaube dir, aber tu ihm weh und ich tue dir mehr weh."

Ich nicke ergeben und gucke auf ihren großen, runden Bauch. Immerhin hat sie gesagt, ich darf mich nicht umdrehen, obwohl ich am schnellen Schlagen meines Herzens spüre, dass es Arthur sein muss, der sich uns nähert.

Hat er wohl eine Badehose an? Oh Gott, er sieht bestimmt göttlich aus, wenn er nass ist.

Sehnsuchtsvoll schließe ich meine Augen, denn allein die Vorstellung–

„Felix?", höre ich da auch schon seine Stimme. „Was tust du denn hier?"

Wunschdenken | ✓Where stories live. Discover now