65 | Ich erstarre.

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Janis bleibt bis zum frühen Abend im Café und wir unterhalten uns über alles mögliche.

Er berichtet von seinen Klienten, die er als Personal Trainer betreut und die allesamt mehr Freude am Laufen und Spazierengehen haben, seit Iris mit dabei ist.

Gelegentlich kommen andere Gäste ins Café, essen Muffins, unterhalten sich gedämpft an den kleinen Tischen und ich genieße den Tag und Janis' Gesellschaft sehr.

Am frühen Abend entschließe ich mich, für heute Feierabend zu machen und schlage Janis vor, noch eine Runde am Strand spazieren zu gehen.

Da es heute den ganzen Tag recht warm und sonnig war, sind auch jetzt noch deutlich mehr Spaziergänger als bei unserer ersten Begegnung unterwegs.

„Hast du vielleicht Lust, morgen vorbeizukommen?", schlägt er mir vor, als wir wieder barfuß durch den Sand schlendern, während Iris wieder freudig ihre Kreise dreht. „Leon kommt morgen früh mit dem Zug an und meistens machen wir dann ein gemütliches Brunch bei uns."

„Ich möchte mich wirklich nicht aufdrängen, ihr genießt doch sicherlich die Zeit allein zusammen", winke ich ab und blicke nach vorn über den Strand.

Ein plötzlicher Schauer durchfährt mich, als hätte ich einen Stromstoß abbekommen und schlagartig erhöht sich meine Herzfrequenz.

Dort drüben, etwa fünfzig Meter vor uns, entdecke ich Arthur.

Arthur Moore in einer hellen Leinenhose, die Hände in den Hosentaschen und den Blick nach unten auf den Sand gerichtet.

Und neben ihm geht der freundliche Corin, der offenbar mit ihm redet.

„Felix?", fragt Janis besorgt neben mir und erst jetzt merke ich, dass ich stehengeblieben bin.

Mein Mund ist ganz trocken und ich spüre, dass meine Hände zittern. Mein Herz klopft schwer und schnell in meiner Kehle.

Janis folgt meinem Blick, entdeckt die beiden Männer, die ich anstarre, und sieht wieder zu mir zurück. Sofort scheint er zu verstehen, was los ist.
„Nicht wegrennen, okay?", sagt er ruhig neben mir. „Das wird nur peinlich."

Ich kann ihm nicht antworten. Ich kann nur Arthur ansehen und das Brennen in meinem Brustkorb spüren. Merkt er wohl auch, dass ich in der Nähe bin? Er sieht zumindest nicht so aus. Er wirkt eher gleichgültig auf mich.

„Komm", weist Janis mich an und stupst gegen meine Schulter. „Wir gehen einfach weiter." Und ohne, dass ich ganz verstehe, was passiert, nimmt Janis meine Hand und zieht mich weiter über den Sand.

Ich gehe wie mechanisch neben ihm her, starre noch immer auf Arthur und Corin, die sich mehr und mehr auf uns zubewegen. Corin redet weiterhin untentwegt, obwohl Arthur ihm nicht wirklich zuzuhören scheint.

Der Blick des sprechenden Mannes richtet sich nach vorn und verweilt auf mir. An seinen geweiteten Augen merke ich, dass er mich erkannt hat und zu meinem Entsetzen stupst er Arthur an, der nun seinen Kopf hebt.

Als seine dunklen Augen mich entdecken, habe ich das Gefühl, beinahe ohnmächtig zu werden. Einzig Janis' Hand, die meine hält, erinnert mich daran, dass ich noch existiere.

Arthurs Blick schießt auf unsere verschränkten Hände und der Schmerz in seinem Gesicht zeigt mir all das, was ich gerade fühle.

Das ist nicht richtig. Das alles hier ist nicht richtig. Dass Arthur mit Corin über den Sand spaziert. Dass Janis meine Hand hält, obwohl ich weiß, dass er es nur freundschaftlich meint und glaubt, mir einen Gefallen zu tun. Dass ich Arthur immer noch so sehr liebe und trotzdem nicht mit ihm zusammen bin. Nichts von alledem ist richtig und noch nie habe ich mich so falsch gefühlt.

Um zumindest eine Kleinigkeit wieder zu korrigieren, ziehe ich meine Hand aus Janis' Griff und schiebe sie in die Hosentasche meiner Jeans.

Arthur und Corin sind inzwischen auf einer Höhe mit uns und ich kann meine Augen nicht von Arthur abwenden. Er sieht mich ebenfalls weiterhin an, Corin neben ihm für den Moment verstummt.

Gern würde ich etwas zu Arthur sagen. Dass er mir fehlt. Dass ich mich frage, ob es ihm gut geht. Dass ich will, dass er glücklich ist.

Doch mein Mund ist vollkommen ausgetrocknet und meine Zunge klebt wie ein zäher Brocken an meinem Gaumen fest.

Janis schiebt mich mit seiner Hand an meinem Ellbogen einfach weiter an Arthur und Corin vorbei und wie ein Roboter setze ich einen Fuß vor den anderen in den Sand.

Und dann ist der Moment vorbei. Janis und ich gehen einfach weiter nebeneinander her und sogar Iris hat sich zu uns gesellt, trottet neben meinem Bein mit uns mit.

„Ist alles okay, Felix?", erkundigt sich Janis und ich schlucke gegen das trockene Gefühl in meinem Mund, obwohl der Kloß in meinem Hals sich keinen Millimeter rührt.

„Ich denke schon", krächze ich. Ich kann mich nicht umdrehen und ihnen hinterhersehen.

„Wenn du reden–"

„Nein", unterbreche ich ihn mit erhobener Hand. „Ich ... möchte nach Hause."

„Klar", lächelt Janis mitfühlend. „Soll ich dir noch meine Adresse geben?"

Fragend sehe ich ihn an. Was soll ich mit seiner Adresse?

„Brunch?", erinnert er mich und erst jetzt fällt mir seine vorherige Einladung wieder ein. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und öffne meine Kontakte. Nach der ersten Begegnung mit Janis hatte ich es wieder zum Leben erweckt. Zitternd schwebt mein Finger über dem Display, denn ich sehe meinen einzigen bisherigen Eintrag in meinen Kontakten.

Arthur.

„Soll ich?", bietet Janis an und streckt seine Hand aus, in die ich das Gerät lege. Mit flinken Fingern tippt er auf dem Display herum und gibt mir das Handy wieder. „Komm einfach, wenn du ausgeschlafen hast. Du brauchst nichts mitbringen und Jogginghose ist vollkommen okay als Dresscode."

„Danke, Janis", sage ich monoton, meine Gedanken noch immer bei Arthur, und mache mich langsam auf den Weg nach Hause.

Wunschdenken | ✓Where stories live. Discover now