60 | Ich arbeite.

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Die Tage vergehen und ich lebe weiter. Es wird nicht dunkel, egal wie sehr ich es mir wünsche. Schlafen ist nicht das Gleiche, ich träume von Arthur und Sternschnuppen und wache schweißgebadet auf, während ich verzweifelt nach Türklingeln taste, die nicht da sind.

Mein Handy ist aus.
Irgendwann war der Akku leer und ich habe beschlossen, dass es weniger schmerzt, wenn ich es ausgeschaltet lasse. So kann ich mir selbst einreden, dass Arthur versucht hat, mich anzurufen.

Mehr als einmal musste ich mich selbst davon abhalten, mich einfach in mein Auto zu setzen und zu seiner Wohnung zu fahren.

Doch was würde ich sagen? Wieder bei ihm klingeln und ihm sagen, dass ich keine Antwort auf seine Frage habe? Dass ich enttäuscht und wütend darüber bin, dass er einfach gegangen ist, nachdem ich ehrlich zu ihm war? Dass ich froh bin, dass ich nicht mit ihm geschlafen habe, weil ich mich dann vermutlich noch mehr in ihn verliebt hätte? Wäre das überhaupt möglich gewesen?

Ich bin im Café, arbeite, bediene Gäste, mache Feierabend, fahre nach Hause, gehe manchmal joggen und manchmal sitze ich nur auf meiner Terrasse und starre in meinen Garten hinaus.

Ein Tag gleicht dem anderen und ich fühle nichts außer Schmerz und Enttäuschung und Leere.

•••

„Danke und bis bald!", verabschiede ich eine Gruppe älterer Damen, die gemeinsam an zwei kleinen Tischen Kaffeeklatsch bei von mir selbst gebackenem Apfelkuchen gehalten haben.

Schnatternd verlassen die Omis mein Café und ich blicke ihnen lächelnd nach. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es schon früher Abend ist und ich voraussichtlich nicht mehr mit vielen Gästen zu rechnen habe. Ich mache mich also daran, die Tische abzuräumen und überlege, ob ich heute Abend noch eine Runde joggen gehen sollte.

Das Glöckchen am Eingang ertönt unerwartet und ich drehe mich verwundert um.

Herein kommt eine blonde Frau, die offenbar ein Baby in einer Art Tragegurt vor ihren Bauch geschnallt hat. Tessa.

Sämtliches Blut in meinem Körper sackt eine Etage nach unten und mir wird für einen Moment schwindelig, so dass ich mich an der Tischkante festhalten muss.

Was will sie hier?

„Felix?", fragt sie neben mir und als ich aufschaue, blicke ich in ihr besorgtes Gesicht.

„Hey", zwinge ich mir ein Lächeln auf und gehe in die Offensive. „Herzlichen Glückwunsch! Wie geht es dir? Wie geht es dem Kleinen? Möchtest du einen koffeinfreien Kaffee oder darfst du jetzt wieder normalen Kaffee?"

„Was ist passiert?", fragt Tessa unumwunden und an ihrem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass meine Ablenkungsversuche kläglich gescheitert sind.

„Was ... äh ... was meinst du?", stelle ich mich dumm, bekomme jedoch sofort das gesamte Ausmaß von Tessas erhobener Augenbraue zu sehen, was mir unmissverständlich klar macht, dass sie sich nicht von mir verarschen lassen wird.

Resigniert lasse ich mich auf einen der Stühle an dem Tisch sinken und hole tief Luft.
„Arthur ist gegangen." ist alles, was ich ihr berichten kann.

„Dieser bekloppte Volltrottel", murmelt Tessa vor sich hin und legt schuldbewusst die Hände über die Ohren des schlafenden Säuglings an ihrer Brust. „Mist, ich wollte nicht vor ihm fluchen", erklärt sie leise.

Trotzdem mir gar nicht danach ist, muss ich ein wenig lächeln.
„Ich denke, er hat nichts mitbekommen", beruhige ich sie.

„Hat er wirklich nicht", seufzt Tessa und blickt sich hilfesuchend um. Hat sie damit das Baby oder Arthur gemeint?

„Kann ich dir helfen?" Eilig springe ich auf und folge ihrem Blick zum Tresen. „Einen Kaffee? Oder Tee?"

„Gern einen Milchkaffee mit ganz viel Milch und nur ein wenig Kaffee für den Geschmack. Und könntest du mir auf einen dieser Hocker helfen? Vielleicht habe ich Glück und das Würmchen schläft so weiter", bittet mich Tessa und ich nicke eifrig.

Am Hocker vor dem Tresen stütze ich ihren Ellbogen, während sie sich hinaufhievt, ihre Hand dabei schützend über den Kopf des Babys gelegt.

„Er ist wirklich zauberhaft", lächle ich, während ich den schlafenden Carlo betrachte.

„Danke. Wir sind alle furchtbar verliebt in ihn, obwohl er eigentlich nur schläft und quakt."

Ich widerstehe dem Drang, das Baby kurz zu berühren und eile stattdessen um den Tresen herum zur Kaffeemashine.

„Wo ist dein Mann?", erkundige ich mich unverfänglich, denn noch immer ist es mir ein Rätsel, warum Tessa so kurz nach der Geburt allein in meinem Café aufschlagen sollte. „Gary, richtig?"

„Gary, das stimmt", gibt Tessa meiner Erinnerung recht. „Der baut so einen Käfig für Carlo zusammen. Er und Arthur sind nicht besonders talentiert, was handwerkliche Arbeiten betrifft, darum habe ich die Gelegenheit genutzt und das Weite gesucht."

Bei der Erwähnung von Arthurs Namen zieht sich mein Brustkorb wieder schmerzhaft zusammen und mir fällt der Löffel, mit dem ich im Begriff war, den Milchschaum in Tessas Tasse zu befördern, scheppernd aus der Hand.

„Ich habe also nicht viel Zeit", erklärt Tessa weiter. „Darum sollten wir lieber gleich zur Sache kommen."

Wunschdenken | ✓Where stories live. Discover now