68 | Ich will arbeiten.

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Arthur kommt nicht zurück.

Ich weiß nicht, wie lange ich hinter dem Tresen gekauert und geweint habe, aber irgendwann bin ich aufgestanden, habe das Café abgeschlossen und mich nach Hause geschleppt.

Ich habe wieder einmal kaum geschlafen, aber irgendwann mit der Dämmerung kam der Entschluss, dass es so nicht weitergehen kann.

Es hilft niemandem, wenn ich leide und so wie Arthur gestern ausgesehen hat, ihm neben mir am allerwenigsten. Ich sollte nach vorn schauen, mich mit der Tatsache abfinden, dass er sich anders entschieden hat und mein eigenes Leben leben. Der Schmerz wird irgendwann vergehen.
Hoffe ich.

Es gibt viele Menschen, die allein glücklich sind, oder? Dann kann ich das sicherlich auch.

Fake it 'til you make it heißt es doch.

Voller Tatendrang steige ich in mein Auto, als mir Janis' Bruncheinladung wieder einfällt. Kurz überlege ich, schreibe ihm dann jedoch einen schnellen Text.

Janis

Hey Janis,
hier ist Felix.
Ich muss die Einladung
leider absagen, mir
ist heute einfach mehr
nach arbeiten. Bitte
seid nicht böse und
grüß Leon und Iris
von mir.

Lächelnd stecke ich mein Handy ein und fahre los. Irgendwie weiß ich, dass Janis mich verstehen wird.

•••

Als hätte ich es geahnt, ist es heute im Café ungewöhnlich trubelig. Immer mal wieder kommen Leute herein, um Getränke, Muffins oder Sandwiches zum Mitnehmen zu kaufen.

Das Wetter ist traumhaft und scheint alle aus ihren Häusern zu ziehen.

Beinahe alle Tische sind mit frühstückenden und sich unterhaltenden Gästen besetzt und ich flitze gelegentlich zwischen ihnen herum, um leeres Geschirr oder Nachbestellungen entgegenzunehmen.

Im Ofen ist bereits das dritte Blech Muffins und ich bin so beschäftigt und zufrieden damit, dass ich erst durch ein Bellen von Iris auf ihre Anwesenheit und die ihrer Besitzer aufmerksam werde.

„Hey!", begrüße ich die Männer freudestrahlend und lasse mich bereitwillig von Janis umarmen.

„Wir dachten uns, wenn du nicht zu uns kommst, kommen wir eben her", lacht er. „Ich hoffe, das ist okay für dich?"

„Na klar", freue ich mich und betrachte seinen Freund Leon, dem ich heute zum ersten Mal begegne.

Er ist groß und sehr drahtig, seine Haare sind vermutlich dunkelblond, aber so kurz rasiert, dass es sich nur erahnen lässt. Seine Augen strahlen blau und schauen mich freundlich an.

„Du musst Leon mit dem Faible für Götternamen sein", begrüße ich ihn und reiße kurz überrascht die Augen auf, als auch er mich ganz selbstverständlich umarmt.

„Nicht nur Götter, glücklicher Felix", lacht er, als er sich wieder von mir löst und seinen Arm um Janis legt.

Ich lächle verlegen und kratze mir den Nacken.
„An dem Glücklich arbeite ich noch", gebe ich zurück. „Möchtet ihr euch setzen? Kann ich euch was bringen? Leider habe ich gerade nur die Hocker am Tresen frei, aber so könnten wir uns auch unterhalten."

Leon und Janis haben sich auf den Hockern platziert, ehe ich meinen Satz beendet habe und Iris liegt bereits zusammengerollt zu ihren Füßen.

„Wir haben zumindest das geschnittene Obst mitgebracht, aber wenn du zwei Milchkaffee und die Frühstückskarte für uns hättest, würden wir gern mal schauen", sagt Janis und holt eine große Schale voller geschnittener Äpfel, Orangen und allerlei anderem Obst hervor.

Lächelnd reiche ich beiden eine Karte und mache mich wieder einmal an der Kaffeemaschine zu schaffen.

Während Leon und Janis über ihre Bestellung nachdenken, beobachte ich die beiden. Ich stelle fest, wie sehr ich mich über ihren spontanen Besuch freue und wie sympathisch die beiden mir sind. Sie wirken sehr harmonisch zusammen, wie Leon gelegentlich über Janis' Rücken streicht oder Janis ihn liebevoll in die Seite knufft, weil er ihm einen albernen Bestellvorschlag macht.

Unweigerlich denke ich daran, dass Arthur und ich das auch hätten haben können und konzentriere mich wieder auf meine Arbeit an der Kaffeemaschine.
„Normale Milch oder lieber eine pflanzliche Alternative?", rufe ich meinen beiden Freunden zu und lasse zugleich meinen Blick durch das Café wandern.

Ein Tisch wird gleich zahlen, die anderen sind alle jeweils noch in ihre Gespräche vertieft, stelle ich fachmännisch fest.

„Wenn du Hafermilch hast, nehme ich gern die", lässt Leon mich wissen und Janis nickt zustimmend.

„Kein Problem, hole ich euch. Ich kassiere nur kurz dort drüben ab", antworte ich und eile um den Tresen herum zu dem Tisch, an dem die Dame mir schon zuwinkt.

Das schmutzige Geschirr bringe ich zurück zu meiner Arbeitsstation, nachdem die Gäste gezahlt und dankend mein Café verlassen haben, und eile ein weiteres Mal nach vorn, um den Tisch abzuwischen.

„Jetzt hole ich euch die Hafermilch", lache ich Janis und Leon zu, die mein Gewusel interessiert beobachtet haben, und verschwinde in der Lagerkammer.

Prüfend sucht mein Blick die Regale ab, doch ich muss vergessen haben, Hafermilch nachzuordern, stelle ich fest. Auf dem Block, der neben den Ordnern liegt und für meine Bestellnotizen dient, erkenne ich, dass ich Hafermilch zwar schon notiert, aber offenbar noch nicht bestellt habe.

Seufzend greife ich eine Packung Mandelmilch und eine Packung Reisdrink, um diese beiden als Alternativen vorzuschlagen.

„Ich habe gerade nur noch Soja-, Mandel- oder Reismilch", erkläre ich bedauernd, als ich wieder durch die Schwingtür gehe und Leon und Janis die Packungen zeige.

Beide jedoch haben sich umgedreht und beobachten interessiert die neuen Gäste, die sich soeben an dem frei gewordenen Tisch platzieren.

Vermutlich zieht das Gerücke der Stühle die gesamte Aufmerksamkeit auf sich, damit der Kinderwagen nicht im Weg steht, denn es sind Tessa und Arthur, die gerade mein Café betreten haben.

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