66 | Ich lasse los.

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Wie durch einen Tunnel gehe ich die Straßen entlang, nachdem Arthurs Anblick sich förmlich in meine Netzhaut eingebrannt hat. Irgendwann bleibe ich stehen und stelle fest: ich kann nicht nach Hause.

Ich will nicht in meinem leeren, gemütlichen Haus sitzen, in dem ich mit Arthur in einem Bett gelegen und auf meinem Sofa–

Ein lautes Schluchzen entgleitet mir und erschrocken schlage ich meine Hand vor den Mund. Ich blicke mich schuldbewusst um, kann zu meinem Glück jedoch niemanden entdecken. Mein Café ist nur etwa vier Blocks entfernt und so bewege ich mich im Laufschritt dorthin.

Immer schneller werden meine Schritte, meine Fäuste sind fest zusammengeballt und meine Lungen brennen, als ich über den Asphalt rase. Der Wind, der mir durch meine Geschwindigkeit entgegensaust, streift kühl über meine feuchten Wangen.

Atemlos und verschwitzt erreiche ich schließlich die Glastür und fummle mit zittrigen Fingern den Schlüssel ins Schloss. Das Glöckchen klingelt vertraut, als ich den duftenden Raum betrete und hinter den Tresen stürze.

Hier, ganz allein und ungesehen, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Ich schlage meine Hände vor mein Gesicht, sinke auf die Knie und lasse einfach los.

Wie ein kleines Kind weine ich, weil ich so traurig bin. Traurig und enttäuscht und verletzt und einsam. Und obwohl ich sicher bin, dass ich ein fröhlicher, optimistischer Mensch bin, glaube ich in diesem Moment, dass ich nie wieder etwas anderes fühlen werde. Dass ich Arthur Moore immer lieben und vermissen werde und mein Herz für immer gebrochen ist.

Das Glöckchen klingelt und ich erstarre panisch hinter dem Tresen.

Fuck, ich habe vergessen, hinter mir abzuschließen! Wer geht auch abends in ein Café?

Vielleicht bleibe ich einfach hier versteckt und hoffe, dass die Person wieder geht, wenn sie nicht bedient wird.

Leise Schritte kommen näher und ich blicke mich hilfesuchend mit aufgerissenen Augen um. Was, wenn ich gerade ausgeraubt werde? Wer überfällt schon ein Café?

Ein Quietschen lässt mich zusammenzucken und ich weiß, dass der Ausräuber soeben die Schwingtür zur Lagerkammer aufdrückt.

Café in Los Angeles wird ausgeraubt, während der Besitzer heulend hinter dem Tresen hockt sehe ich bereits die Schlagzeile vor meinem inneren Auge.

Das letzte Bisschen Würde in mir lässt mich meine Zähne fest zusammenbeißen, ich hole einmal tief Luft und drücke mich schwungvoll nach oben, ehe ich mir mit den Händen über meine vermutlich total verquollenen Augen wische.

Und dann wünsche ich mir, ich würde wirklich ausgeraubt werden, denn dort in der Schwingtür steht Arthur.

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