63 | Ich lerne jemanden kennen.

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„Dafür, dass dein Name irgendwas mit Glück bedeutet, erscheinst du mir aber gerade nicht besonders glücklich", lässt Janis mich wissen. „Hast du Lust, ein Stück mit Iris und mir zu gehen?"

Ich nicke und zucke gleichzeitig mit den Schultern, während ich meine Schuhe und Socken greife.
Janis' Ehrlichkeit beeindruckt mich und ich muss zugeben, dass ich ihn mag.
Nicht auf diese Arthur-Art, aber er ist mir sympathisch.

„Es ist gerade nicht besonders leicht für mich", gebe ich zu und wir setzen uns beide in Bewegung, während Iris weiterhin über den Strand tollt, gelegentlich kurz zu uns kommt, um dann gleich wieder abzudüsen.

„Solche Phasen hat jeder vermutlich einmal", sagt Janis. „Sie helfen uns doch zumindest, die guten Dinge als nicht so selbstverständlich zu nehmen, aber wenn man gerade drinsteckt, ist diese Gewissheit nicht immer tröstlich."

„Bisher lief es eigentlich immer irgendwie gut bei mir", überlege ich und blicke gedankenverloren auf meine Füße, die durch den Sand stapfen.

„Dann bist du wohl wirklich ein Glückskind, Felix", lacht Janis neben mir. „Möchtest du mir erzählen, warum es gerade nicht so gut läuft? Manchmal hilft es schon, die Dinge etwas von außen betrachten zu lassen."

„Es ist irgendwie kompliziert", murre ich.

Ich kann diesem wildfremden, freundlichen Mann doch nicht erzählen, dass ich bis vor Kurzem noch nicht einmal existiert habe. Er wird mir wohl kaum glauben, dass Arthur mich einfach herbeigewünscht hat, mich aber nun offenbar nicht mehr will, weil er glaubt, dass ich ihn nur liebe, weil er mich erschaffen hat und ich von Glück reden kann, dass ich nun nur allein bin, anstatt in ewiger Dunkelheit dahinzudriften.

Allein der Gedanke an diese knappe Zusammenfassung meiner Situation schmerzt wieder so sehr in meiner Brust, dass ich zittrig einatme und mehrmals mit den Augen blinzle, weil ich nur noch verschwommen sehe.

Genau diesen Moment sucht sich Iris aus, mit einem gigantischen Stock auf uns zugelaufen zu kommen und ihn uns schwanzwedelnd zu präsentieren.

„Den nehmen wir aber nicht mit nach Hause", meckert Janis lachend mit ihr und versucht spielerisch, ihr ihren Fund zu mopsen, was sie nur trippelnd um uns herumlaufen lässt, damit er sie nicht zu fassen bekommt.

„Wie kommt man überhaupt dazu, seinen Hund Iris zu nennen?", versuche ich, das Thema zu wechseln.

Janis lacht und lässt seine fellige Freundin mit ihrem Fundstück weiterrennen.
„Die Idee kam von Leon. Er hat ein Faible für Namen mit Bedeutung. Iris ist in der griechischen Mythologie die Botin zwischen Menschen und Göttern und auch noch die Göttin des Regenbogens."

„Wow", mache ich. „Das finde ich total schön. Und Leon ist ...?"

„Mein Lebensgefährte", erklärt Janis. „Darum auch der Regenbogen. Wir führen leider seit zwei Jahren eine Fernbeziehung, aber das hat hoffentlich bald ein Ende. Du hast hoffentlich kein Problem mit Homosexualität, Felix?"

Schnell schüttle ich meinen Kopf und seufze: „Ganz im Gegenteil, meine komplizierte Situation hängt auch mit einem Mann zusammen."

Janis klopft mir aufmunternd auf die Schulter.
„Dass es was mit der Liebe zu tun hatte, dachte ich mir fast. Ist ja eigentlich immer so. Und wenn du bereit bist, darüber zu reden, was es zwischen dir und deinem Süßen so kompliziert macht, bin ich gern für dich da, wenn du magst."

„Das ist sehr freundlich von dir, Janis", erwidere ich, beschließe aber, dass ich zunächst nicht über Arthur und mich reden möchte.

•••

Janis und ich spazieren noch beinahe eine Stunde am Strand entlang, während Iris weiterhin übermütig herumtobt.

Er erzählt mir von seinem Freund Leon und wie sie sich über eine Datingseite im Internet kennengelernt haben. Dass Leon in Portland ein Yogastudio hat und sie trotz Fernbeziehung noch von Glück reden können, dass es nur Portland und nicht Boston oder New York ist.

Iris war ein Welpe, den Leon eines Tages in einem Karton vor seinem Studio fand. Janis war zu der Zeit gerade für zwei Wochen im Urlaub bei ihm, so dass er sich tagsüber um die Kleine kümmern konnte und bis heute redet Leon davon, dass das Schicksal ihnen den Hund brachte.

Da Janis hauptberuflich Personal Trainer ist und Iris bei Leons Yogastunden mehr Spaß daran hatte, die Teilnehmer zu beschnuppern und abzulenken oder beim Alleinsein in der Wohnung das Mobiliar anzukauen, hatten sie recht schnell entschieden, dass der gemeinsame Hund in Los Angeles bei Janis leben sollte.

„Wir suchen gerade noch nach einer geeigneten Location, aber über kurz oder lang haben wir geplant, dass Leon hier ein Studio eröffnet, in dem ich auch gut meine Klienten treffen kann", endet Janis' Erzählung.

„Ich kenne eine Immobilienmaklerin", fällt mir Tessa ein. „Wenn ich sie mal wieder treffe, könnte ich sie gern fragen, ob sie vielleicht einen Tipp hat."

„Das wäre absolut fanatisch!"

„Und wenn ihr mögt, kann ich auch einen Aushang in meinem Café machen. Manchmal sehen sowas ja die richtigen Leute."

„Da hast du recht. Ich freu mich total, dass wir uns heute getroffen haben, Felix", sagt Janis auf seine nette Art.

„Ich mich auch", stimme ich ihm zu und an der Art, wie er auf seine Armbanduhr schaut, erkenne ich, dass sein Spaziergang für heute wohl beendet ist. „Du kannst ja mit Leon darüber sprechen und einfach bei mir im Café vorbeikommen", schlage ich vor und nenne ihm die Adresse.

Janis pfeift Iris heran, um sie mit ihrer Leine zu verbinden und umarmt mich herzlich.
„Das mache ich, Felix. Wir sehen uns im Café."

„Bis bald, Janis", verabschiede ich mich lächelnd von ihm und blicke ihm und seiner Hündin nach, als sie sich langsam von mir entfernen.

Wunschdenken | ✓Where stories live. Discover now